Feministischer Jahresrückblick: So war das Jahr 2024 für Frauen
Das Jahr 2024 neigt sich dem Ende zu und wir ziehen Bilanz: Wie jedes Jahr gab es Heldinnen und Bösewichte. Glanzstunden der Emanzipation und neue Tiefpunkte, zum Beispiel beim Thema Gewalt gegen Frauen. Neben viel Hoffnung war auch Sorge. Feministische Chancen, die wahrgenommen und leider auch viele, die verpasst wurden. Wir haben die Highs und Lows für Sie zusammengefasst.
Wahlen weltweit: Europawahl, AfD-Siege und #KHive
Politisch sah es in diesem Jahr ziemlich düster aus. Das zeigte sich schon im Juni bei den Europawahlen: Die AfD erzielte deutliche Gewinne, die Ampelparteien und die Linke gingen als Verlierer aus den Wahlen hervor. Auch EU-weit gibt es einen Rechtsruck. In Österreich und Frankreich wurde jeweils eine rechte Partei stärkste Kraft. Ähnlich waren die Ergebnisse der Landtagswahl in Thüringen: Hier wurde die AfD stärkste Kraft, die erwiesenermaßen in Teilen rechtsextrem ist und mit Björn Höcke einen Spitzenkandidaten hat, der offiziell als „Faschist“ bezeichnet werden darf. Für Frauen sind diese Wahlergebnisse eine große Bedrohung. Denn je stärker antidemokratische und antifeministische Kräfte werden, desto mehr stehen Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit auf dem Spiel.
Die größte Enttäuschung dieses Wahljahrs fand aber im November in den USA statt. Monatelang hatte Vizepräsidentin Kamala Harris einen Wahlkampf geführt, der Frauenrechte in den Mittelpunkt stellte. Wäre sie als erste Frau ins Weiße Haus eingezogen, wäre das ein riesiger Gewinn für die Frauenbewegung gewesen. Im Wahlkampf musste sie sich jede Menge misogynen Mist anhören – wurde als „kinderlose Katzenfrau“ beleidigt und wegen ihres lauten Lachens verspottet. Gleichzeitig feierten Frauen sie als feministische Ikone. Am Ende reichte das leider nicht – und den USA steht ein verurteilter Sexualstraftäter als Präsident bevor.
Von Country-Frühling bis Brat-Sommer: weibliche Power in der Musik
2024 war das Jahr weiblicher Künstlerinnen in der Musik. Im März veröffentlichte Beyoncé ihr Country Album „Cowboy Carter“ und schrieb damit Geschichte: Als erste Schwarze Frau führte sie die Charts der US-Country-Alben an. Doch sie war in diesem Jahr nicht die einzige Frau, die die Musikindustrie ordentlich aufmischte. Charli xcx läutete mit ihrem Album „brat“ den Pop-Girl-Summer ein. Mit ihren Songs über Eskapismus, Trotz und darüber, dass es „manchmal so verwirrend ist, eine Frau zu sein“, sang sie anscheinend vielen aus der Seele. Dabei rebellierte sie gegen Schönheitsideale und das Patriarchat, das uns Frauen gegeneinander ausspielen will.
Ihren Pop-Queen-Thron teilte sich Charli xcx dieses Jahr mit Chappell Roan und Sabrina Carpenter. Auch diese zwei zielten ganz klar auf ein weibliches Publikum ab und gaben genau das, was wir so dringend brauchten: den female gaze. Natürlich ging auch die Erfolgsgeschichte von Taylor Swift 2024 weiter: Bei den Billboard Music Awards in Los Angeles räumte die Sängerin gleich zehn Preise ab und sicherte sich damit den Titel der am meisten ausgezeichneten Künstlerin in der Geschichte der Veranstaltung. Auch beim Spotify-Jahresrückblick schrieb sie mal wieder Geschichte: In Deutschland war erstmals seit 2017 kein Deutschrapper der meistgestreamte Act, sondern Taylor Swift.
Neue Gesetze sollen Frauenrechte stärken
Gewalt gegen Frauen und Mädchen hat auch in diesem Jahr stark zugenommen. Während der Fußball-Europameisterschaft der Männer gab es einen klaren Anstieg, was mutmaßlich mit dem Anstieg von Alkohol und Testosteron zu tun hatte. UN Women forderte umfassende politische Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Und die Politik antwortete: Ende November wurde im Kabinett ein Gewalthilfegesetz beschlossen, das allen Betroffenen einen Schutzanspruch auf Hilfe einräumen soll. Ob es vor der Wahl verabschiedet wird, ist unklar. Außerdem machten CDU und CSU Anfang Dezember den Vorschlag, den Mordparagrafen zu reformieren. Wer seine körperliche Überlegenheit ausnutzt, soll nicht mehr für Totschlag verurteilt werden, sondern für Mord.
Im Bereich der reproduktiven Rechte gibt es ebenfalls News: Ein neues Gesetz soll Schwangere vor sogenannter „Gehsteigbelästigung“ schützen. Protestaktionen von Abtreibungsgegner*innen dürfen nun nicht mehr im Umkreis von 100 Metern von Beratungsstellen, Praxen und Kliniken stattfinden. Wer sich nicht daran hält, muss bis zu 5.000 Euro Strafe zahlen. Auf diese Weise sollen solche Versammlungen eingeschränkt werden, um einen ungestörten Zugang zu den wichtigen Einrichtungen zu ermöglichen.
Weniger Fortschritte gab es 2024 beim Paragraf 218: Die Ampelkommission hat sich für eine Teillegalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ausgesprochen – ein wichtiger Schritt hin zu mehr Selbstbestimmung. Doch mehrere Parteien, vor allem die Union, blockieren. Derweil geht Frankreich in Europa voran: Dort wurde dieses Jahr das Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankert.
Ausgezeichnet: ein Jahr für Frauen in der Literatur
Dieses Jahr haben Frauen die Literaturwelt übernommen. So ging der renommierteste literarische Preis der Welt an eine Frau: Die Südkoreanerin Han Kang räumte den Nobelpreis für Literatur ab. Sie ist für ihre kritischen, offen feministischen Geschichten bekannt, in denen sie auch die Rolle der Frau in ihrem Heimatland kritisiert. Han Kang ist die 18. Frau, die den Literaturnobelpreis erhält (gegenüber 103 Männern).
Auch der wichtigste deutsche Literaturpreis – der deutsche Buchpreis – ging an eine Frau. Martina Hefters erhielt den Preis für ihren Roman, „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“. Doch leider wurde ihr dieser Moment von einem Mann mit gekränktem Ego geklaut: Ihr Mitnominierter Clemens Meyer meinte nämlich, er müsse sich durch einen Wutanfall Aufmerksamkeit verschaffen. Auf die Jury und Gewinner*innen schimpfend verließ er den Saal, Beobachtenden zufolge sprach er von einem Verrat an der Literatur. Ach ja, und noch eine große Frau hat dieses Jahr mit ihrem Buch für viel Trubel gesorgt: Unbestritten auf Platz 1 der Sachbücher-Bestseller-Liste ist Angela Merkels Biografie „Freiheit“.
Zwei starke Frauen bewegen mit Offenheit
Kein Jahr ohne neue #Metoo-Skandale. Im September wurde Sean „P. Diddy“ Combs verhaftet. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm zahlreiche Sexualverbrechen vor, neue Anklagen kommen laufend hinzu. Außerdem laufen seit Monaten mehrere zivilrechtliche Verfahren wegen Vergewaltigung, Missbrauch, Körperverletzung und Sexhandel.
Aufgehoben wurde dieses Jahr hingegen ein anderes, historisches #MeToo-Urteil: das gegen den Ex-Filmproduzenten und verurteilten Sexualstraftäter Harvey Weinstein. Doch ein anderer Vergewaltigungs-Prozess aus dem Jahr 2024 wird uns wohl mindestens genauso in Erinnerung bleiben: In Frankreich stand ein Mann vor Gericht, weil er seine Frau betäubt und mindestens 50 weiteren Männern zur Vergewaltigung angeboten haben soll. Die Geschädigte, Gisèle Pelicot, bestand darauf, dass der Prozess öffentlich stattfindet. Damit wollte sie auf das Schicksal anderer Frauen hinweisen und bewirken, dass „die Vergewaltigungskultur endet und sich die Gesellschaft ändert“.
Auch Prinzessin Kate Middleton rettete mit ihrer Offenheit womöglich dieses Jahr einige Leben. Nachdem sie im März ihre Krebsdiagnose bekannt gab, berichteten britische Medien und Einrichtungen über einen Run auf die Krebs-Infoseiten des englischen NHS (National Health Service), Websites von Krebsstiftungen und Forschungsinstituten. Von mehreren 100 Prozent Zuwachs war hier die Rede! Dank ihrer riesigen Reichweite auf Social Media könnte das auch international bewirken, dass mehr Menschen zur Vorsorge gehen.