Film und Fernsehen: Was macht eigentlich ein Intimitäts-Koordinator?
Änderungen nach der Kontroverse um Jenna Ortegas neuen Film "Miller's Girl"
Dass für Sex-Szenen in Hollywood immer öfter sogenannte Intimitäts-Koordinatoren, im englischen Intimacy Coordinator genannt, engagiert werden, gilt als positives Zeichen für mehr Kontrolle und Schutz der Schauspielerinnen und Schauspieler am Set. Nun hat es jedoch um eben diesen Beruf eine Kontroverse gegeben.
Die kommt von "Miller's Girl", dem neuen Film von Jade Bartlett mit Jenna Ortega und Martin Freeman in den Hauptrollen. Der Film handelt von einer sexuellen Beziehung einer 18-jährigen Schülerin mit ihrem älteren Lehrer. In den USA ist der Film bereits im Januar angelaufen (deutscher Kinostart ist der 14. März 2024), und unmittelbar danach hagelte es auf X - ehemals Twitter - Kritik am Altersunterschied zwischen der 21-jährigen Ortega und dem 52-jährigen Freeman.
Daraufhin betonte die Intimitäts-Koordinatorin des Films, Kristina Arjona, im Gespräch mit der Daily Mail im Februar, dass bei den Dreharbeiten nichts ohne die Einwilligung der Darsteller geschehen sei. In dem Interview erklärte sie, dass sie mit den Schauspielern über die "Nacktheitsgrade" gesprochen habe, mit denen sie sich wohlfühlten, und wie sie auch bei Sex-Szenen eine "angemessene Distanz" wahren könnten.
Das Problem dabei: Als Angestellte der Filmproduktion hat Arjona eine Vertraulichkeitsvereinbarung mit der Produktionsfirma Lionsgate unterzeichnet, wie Deadline berichtet. Damit dürfte sie über keine Details von den Dreharbeiten berichten, weswegen ihr Interview in Hollywood für reichlich Diskussion und eine Überarbeitung der Arbeitsvorgaben eines Intimitäts-Koordinators geführt hat.
Doch was macht ein solcher Intimitäts-Koordinator eigentlich?
Was ist ein Intimitäts-Koordinator?
Die Rolle eines Intimitäts-Koordinatoren ist in den Richtlinien der Schauspielergewerkschaft SAG-AFTRA festgehalten. Darin ist er als "ein Vertreter" beschrieben, als "Bindeglied zwischen Schauspielern und Produktion sowie als Bewegungscoach und/oder Choreograf bezüglich Nacktheit, simuliertem Sex und anderen intimen und übermäßig exponierten Szenen".
Jessica Steinrock, die als CEO eines der führenden Trainingsprogramme der SAG-AFTRA für Intimitäts-Koordinatoren leitet, erklärt Yahoo Entertainment, dass Intimitäts-Koordinatoren sicherstellen, dass Sex-Szenen auf eine für alle Beteiligten sichere und ethisch vertretbare Weise gefilmt werden - nicht nur für die Darsteller, sondern für die gesamte Crew.
"Unsere Rolle ist es, dafür zu sorgen, dass Grenzen gewahrt werden und die Schauspieler ihre beste Arbeit abliefern können", sagt Steinrock. "Der Intimitäts-Koordinator ist dafür da, das gesamte Produktionsteam zu unterstützen, und wir arbeiten darauf hin, dass der Regisseur seine Vision umsetzen kann, ohne dabei die Grenzen der Darsteller zu verletzen."
"Einvernehmen und Autonomie" seien die Grundpfeiler des Berufstands. "Intime Szenen bringen ein hohes Maß an Verwundbarkeit mit sich, und Schauspieler verdienen es, in solchen Momenten fachliche Unterstützung zu haben", betont Steinrock. "Mit zunehmender Nachfrage ist die Rolle am Set gewachsen, und damit auch der Bedarf an qualifizierten Profis."
Wann sind Intimitäts-Koordinatoren ins Rampenlicht gerückt?
In vergangenen Jahren war der Dreh von intimen Szenen "bestenfalls wechselhaft", wie Steinrock über die Zeit sagt, als es noch weniger Vorschriften gab, die "Machtmissbrauch verhindern oder eingreifen würden, wenn Schauspieler zu etwas überredet werden würden".
Mit der #Metoo-Bewegung wurde alles anders.
2017 wurde Alicia Rodis am Set der HBO-Serie "The Deuce" die erste offizielle Intimitäts-Koordinatorin. 2018 hat der US-Sender die Anwesenheit eines Intimitäts-Koordinatoren am Set bei jeglichen Szenen mit Nacktheit oder simuliertem Sex zur Vorgabe gemacht und damit neue Maßstäbe in der Branche gesetzt.
"Die meisten Sender sind dem Beispiel gefolgt, und das Gewerbe ist gewachsen", so Steinrock. 2020 zog auch die Gewerkschaft SAG-AFTRA nach und legte fest, dass Schauspieler die vertragliche Vereinbarung, in der Umfang von Nacktheit und Sex-Szenen definiert werden, mindestens 48 Stunden vor dem Dreh derselben erhalten sollen. Laut Steinrock erlaube dies "mehr Raum, um mit vollem Wissen eine Einwilligung erteilen" zu können.
Was sagen Schauspieler zur Arbeit mit Intimitäts-Koordinatoren?
Schauspieler haben nach ersten Erfahrungen mit Intimitäts-Koordinatoren sowohl Lob als auch Kritik geäußert.
"Game of Thrones"-Star Sean Bean wurde heftig kritisiert, nachdem er im Gespräch mit Variety im Jahr 2022 gesagt hatte, dass die Koordinatoren Sex-Szenen "die Spontanität" rauben würden. Wie der Brite meinte, würde "die natürliche Art und Weise, wie Liebhaber miteinander umgehen, ruiniert, indem jemand daraus eine technische Übung macht".
Jennifer Aniston hat Variety 2023 erzählt, dass sie einen Intimitäts-Koordinator für ihre Sex-Szenen mit Jon Hamm bei "The Morning Show" abgelehnt habe: "Wir haben Erfahrung damit - wir kriegen das schon alleine hin", meinte sie.
Toni Collette und "Grey's Anatomy"-Star Ellen Pompeo zeigen sich hingegen unschlüssig. Collette sagte der Times, dass die Koordinatoren sie noch nervöser machen würden, während Pompeo Variety sagte, dass "Intimitäts-Koordinatoren ein ganz neues Fass an Problemen aufmachen, auch wenn die Absicht dahinter eine gute ist".
Eine ganze Reihe an Stars wie Emma Stone, Sam Heughan, Amy Schumer, India Amarteifio und Jonathan Bailey loben die neue Vorgehensweise dagegen.
"Sie am Set zu haben fühlte sich an, als hätte ich ein Sicherheitsnetz, eine Choreografin und einen Haltegriff zugleich", sagte Stone dem Magazin NPR über die Koordinatorin Elle McAlpine, die mit ihr an ihrer Oscar-prämierten Rolle in "Poor Things" gearbeitet hat.
Heughan gab an, die Macher von "Outlander" inständig gebeten zu haben, für die sechste Staffel endlich einen Intimitäts-Koordinator anzuheuern. "Es ist wichtig, dass jeder geschützt ist", sagte er Josh Horowitz in dessen Podcast "Happy Sad Confused". "Der Koordinator hat uns geholfen, unsere Arbeit besser zu verstehen und die Beziehung vor der Kamera auf eine neue Ebene zu bringen."
Was die neue Regel der Schauspielgewerkschaft bedeutet
Nach der Kontroverse um "Miller's Girl" wurden die Bestimmungen der SAG-AFTRA bezüglich Intimitäts-Koordinatoren überarbeitet. Seit 22. Februar dürfen diese nur noch über "die Arbeit oder die Erfahrungen eines Schauspielers" am Set sprechen, wenn sie hierfür die explizite Zustimmung der beteiligten Schauspieler haben. Neu ist auch, dass Intimitäts-Koordinatoren eine Vorstrafen- und Zuverlässigkeitsprüfung über sich ergehen lassen müssen.
Das bedeutet: Plaudern Intimitäts-Koordinatoren ohne das Einverständnis der Darsteller Details vom Sex-Szenen-Dreh aus, riskieren sie, ihren Job zu verlieren.
Zuvor wurden in den Richtlinien Schauspielern das Recht eingeräumt, Intimitäts-Koordinatoren zu verlangen und Produzenten in die Pflicht genommen, solche Wünsche ernst zu nehmen. Die Privatsphäre außerhalb des Drehs war jedoch nicht genau definiert gewesen.
Ein Gewerkschaftsvertreter lobt die Reform im Gespräch mit Deadline: "Gewerkschaftsmitglieder müssen sich sicher, souverän und wohl in ihrer Arbeit mit Intimitäts-Koordinatoren fühlen können."
Auch Steinrock betont die Wichtigkeit von Vertraulichkeit vor, während und nach den Dreharbeiten. Dies würde eine sichere Umgebung am Set schaffen und den Schauspielern dadurch helfen, ihre beste Arbeit abliefern zu können. "Trainingsprogramme für Intimitäts-Koordinatoren spielen eine große Rolle dabei, sicherzustellen, dass diese Profis ihre Rolle so ausüben können, dass Schauspieler und die gesamte Crew unterstützt werden - das Ergebnis sind letztlich bessere Filme und Serien", sagt sie. Die neuen Regeln seien "ein großer Schritt nach vorne, den Schauspielern diese Sicherheit zu geben".