Flechten an Bäumen: Schädlich oder harmlos?
Viele alte Apfelbäume und andere Gehölze sind dicht mit Flechten bewachsen. Wir klären, ob die Organismen schädlich sind, was es mit dem Bewuchs auf sich hat und ob Sie etwas dagegen unternehmen müssen.
Botanisch betrachtet sind Flechten keine Pflanzen, sondern ein Kollektiv aus Pilzen und Algen. Sie besiedeln die Rinde vieler Bäume, aber auch Steine, Felsen und karge Sandböden. Die beiden Organismen bilden eine Lebensgemeinschaft, eine sogenannte Symbiose, die beiden Seiten zum Vorteil gereicht: Der Pilz kann zwar Wasser und Mineralstoffe aus dem Boden und seiner Umgebung aufnehmen, allerdings mangels Chlorophyll keine Photosynthese betreiben. Die Alge hingegen ist in der Lage durch Photosynthese Zuckerstoffe zu produzieren, kommt jedoch aufgrund fehlender Wurzeln nicht an wichtige Ausgangsstoffe wie Wasser und Mineralien heran. Der Pilz bildet außerdem den Körper der Flechte (Thallus), dessen Farbspektrum von Weiß über Gelb, Orange, Braun, Grün bis Grau reicht. Er bietet der Alge damit auch Schutz vor Austrocknung und mechanischer Schädigung.
Flechten zählen zu den langlebigsten Lebewesen auf der Erde und können mehrere hundert Jahre, im Einzelfall sogar mehrere tausend Jahre alt werden. Allerdings wachsen sie sehr langsam und setzen sich nur schwer gegen das Überwuchern mit konkurrierenden Pflanzen wie zum Beispiel Moosen durch. Für einige Waldtiere sind sie eine wichtige, eiweißreiche Futterquelle.
In Kürze: Können Flechten einem Baum schaden?
Entgegen dem was man vielleicht vermuten würde, sind Flechten völlig harmlos. Zwar sieht man sie häufig an älteren Bäumen, die vielleicht nicht mehr so vital wirken, tatsächlich ziehen sie aber keine Nährstoffe oder Wasser aus dem Baum. Sie benutzen den Stamm lediglich als Unterlage zum Wachsen. Wichtig: Die Flechten sollten nicht vom Baum entfernt werden, da sie den Stamm vor dem Eindringen von Bakterien und Pilzen schützen.
Welche Arten von Flechten gibt es?
Weltweit sind circa 25.000 Flechten-Arten in den unterschiedlichsten Formen bekannt, 2.000 von ihnen kommen in Europa vor. Je nach Wuchsform werden diese Arten in drei Gruppen unterteilt: Blatt- und Laub-Flechten, Krusten-Flechten und Strauch-Flechten. Die Blatt-Flechten bilden eine flächige Gestalt und liegen locker auf dem Untergrund auf. Krusten-Flechten verwachsen dicht mit dem Untergrund, Strauch-Flechten haben eine strauchartige Gestalt mit feinen Verästelungen.
Flechten besiedeln extreme Lebensräume wie Gebirge, Wüsten, Moore oder Heidelandschaften. Im Garten wachsen sie auf Steinen, an Mauern und auf Dachziegeln sowie an Bäumen. Am häufigsten findet man Flechten hier an basenreichen Baumrinden. Laubbäume wie Pappel, Esche und Apfelbaum werden am stärksten besiedelt.
Sind Flechten an Bäumen schädlich?
Auch wenn Flechten oft als Schädlinge wahrgenommen werden – sie sind für die befallenen Bäume nicht schädlich. Es handelt sich nicht um Parasiten, die aus den Leitungsbahnen der Rinde wichtige Nährstoffe abzweigen – sie nutzen den Untergrund lediglich als Lebensraum zum Wachsen. Durch die symbiotische Vereinigung können Flechten ihre Bedürfnisse selbst decken und müssen der Pflanze keine Nährstoffe oder Mineralien entziehen. Auch das Wachstum der Rinde wird durch Flechten nicht behindert, da sie im darunter liegenden Teilungsgewebe, dem sogenannten Kambium, gebildet wird. Da Flechten nicht in den Baum eindringen, haben sie keinen Einfluss auf das Rindenwachstum.
Ein Grund für die Verdächtigung der Flechten als vermeintliche Baumschädlinge ist, dass die Organismen häufig auf Gehölzen siedeln, die sehr alt sind oder aus anderen Gründen nicht mehr vital wirken – eine klassische Verwechslung von Ursache und Folge. Die Vorliebe der Organismen für geschwächte Bäume rührt daher, dass diese Gehölze weniger Energie in die Produktion von Abwehrstoffen stecken, die eine Borke normalerweise durch ihren niedrigen pH-Wert unattraktiv erscheinen lassen. Das begünstigt die Besiedlung der Rinde mit Aufsitzer-Organismen wie Flechten und Luftalgen.
Es gibt jedoch auch viele Flechten-Arten, die sich auf vitalen Bäumen wohlfühlen, daher sind Flechten nicht immer ein Indiz für einen schlechten Zustand des befallenen Baums. Der Flechtenbewuchs hat sogar Vorteile, denn die Lebewesen schützen die besiedelten Stellen vor anderen Pilzen und Bakterien. Aus diesem Grund sollten sie auch nicht entfernt werden. Eine Ausnahme betrifft die Stammpflege älterer Obstbäume: Dabei wird die lockere Borke mit Moos- und Flechtenbewuchs entfernt, da sie überwinternden Schädlingen wie dem Apfelwickler und Baumläusen Unterschlupfmöglichkeiten bietet.
Flechten an Bäumen: Zeigerpflanzen für saubere Luft
Da Flechten keine im Boden verankerten Wurzeln besitzen und somit Wasser und Nährstoffe aus der Luft aufnehmen, sind sie auf eine gute Luftqualität angewiesen. Sie verfügen nicht über ein Ausscheidungssystem und reagieren daher sehr sensibel auf Schadstoffe. Somit sind die Organismen wichtige Indikatoren für Luftschadstoffe und Schwermetalle. In Großstädten beispielsweise findet man selten Flechten, da hier ein höherer Grad an Luftverschmutzung herrscht und die Luft zudem trockener ist als in ländlichen Regionen. Auch Erkrankungen der Atemwege treten vermehrt an Orten auf, wo keine Flechten wachsen. Somit zeigen die Lebewesen auch den Gesundheitswert der Luft für den Menschen an. Es gibt also genügend Gründe, Flechten zu schützen, anstatt sie leichtfertig zu bekämpfen.