Warum Frauen in der Wissenschaft nach wie vor unterbesetzt sind und wie sich das künftig ändern kann – und muss

Warum Frauen in der Wissenschaft immer noch unterbesetzt sind

Natürlich forschen Frauen heutzutage – sie sind in der Wissenschaft aber nach wie vor unterbesetzt

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Am 11. Februar ist Internationaler Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft. Und genau diese Aufmerksamkeit braucht es! Laut Statistischem Bundesamt lag der Anteil von Studienanfängerinnen im MINT-Bereich (der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik umfasst) im Jahr 2022 bei 35 Prozent. Frauen entscheiden sich also deutlich seltener für ein Studium in einem MINT-Fach als Männer. Auch an der RWTH Aachen University, eine der führenden technischen Hochschulen in Europa, ist die Geschlechterverteilung ungleich. Nur knapp 23 Prozent der Professuren an der Universität sind mit einer Frau besetzt.

Zugang zum Studium haben Frauen heute glücklicherweise, auch in Sachen Beruf haben sie grundsätzlich die gleichen Wahlmöglichkeiten wie Männer. Dennoch gibt es noch immer Bereiche, in denen sie unterrepräsentiert sind und weniger Chancen haben – allen voran der MINT-Bereich. Statista beziffert die Zahl der erwerbstätigen MINT-Akademikerinnen 2020 mit gerade einmal 23,5 Prozent. Woran liegt das und was sollte sich in Zukunft ändern?

Frauen in der Wissenschaft – eine Minderheit

Gründe dafür sind laut Dr. Christina Büsing, die seit 2021 Professorin für Kombinatorische Optimierung an der RWTH Aachen ist: „Frauen wird unterstellt, dass sie nicht logisch und rational denken können und sich zu sehr von ihren Gefühlen leiten lassen. Für die rigorose Wissenschaft seien sie damit nicht geeignet. Zudem wird oft gesagt, dass sie sich entweder für Familie oder die Wissenschaft entscheiden müssen. Haben sie Kinder, müssen sie sich rechtfertigen, weil sie nicht rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Die Chancen, die eine Kombination von Wissenschaft und Familie mit sich bringen, werden oft übersehen. Auch ein gewisser Ehrgeiz, der häufig als Voraussetzung für eine erfolgreiche Karriere in der Wissenschaft gilt, wird Frauen abgesprochen, gleichzeitig wird daraus eine Führungsschwäche abgeleitet. Diese Sichtweise ist stark von einem hierarchischen und dominanten Führungsgedanken geprägt, der an der Universität auch heute weit verbreitet ist. Andere Formen der Führung werden dabei nicht berücksichtigt.“

Haben Frauen Kinder müssen sie sich rechtfertigen, weil sie nicht rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Die Chancen, die eine Kombination von Wissenschaft und Familie mit sich bringen, werden oft übersehen.

Dr. Christina Büsing, Professorin für Kombinatorische Optimierung an der RWTH Aachen

Die von Professorin Büsing aufgezählten Herausforderungen spiegeln auch die Ergebnisse von Gesprächen mit Wissenschaftlerinnen verschiedenster Karrierestufen an der RWTH, die im Rahmen einer Analyse des IST-Zustandes der Uni geführt wurden, wider. Wo es doch heutzutage überall heißt, dass Frauen alles werden können, was sie wollen, ist das tatsächliche Ergebnis ernüchternd. Es zeigt, wie stark alte Denkmuster verankert sind. Und dass es naiv ist, zu glauben, die Arbeitswelt wäre im Jahr 2024 vollkommen gleichberechtigt. Aber: Anstatt diese Tatsache hinzunehmen, sollte man sich im Großen und Kleinen für ein tiefgreifendes Umdenken einsetzen. Veränderung ist immer möglich, sie passiert allerdings nur durch Handeln.

Wie sich die Zukunft von Frauen in der Wissenschaft verändern kann

Durch Wegschauen wird sich für Frauen in den Naturwissenschaften in der Zukunft wenig verändern. Es braucht Vorbilder für eine neue Generation von Wissenschaftlerinnen. „An den Universitäten fehlt es Studentinnen bisher oft an Vorbildern. Ich kenne einige Doktorandinnen, die in ihrem Studium keine oder nur eine Vorlesung bei einer Professorin hatten. Ich selber hatte keine Professorin als Dozentin. Das prägt und gibt einem das Gefühl, nicht erfolgreich sein zu können. Entsprechend sind die Mentorinnen-Programme und die Begegnungen mit Wissenschaftlerinnen so entscheidend, um etwas zu verändern“, so Professorin Büsing. Nur wenn Universitäten und Wissenschaftlerinnen ihre Stimmen nutzen und Schwierigkeiten sichtbar machen, kann ein Wandel angeregt werden.

Die RWTH Aachen zum Beispiel möchte aktiv etwas verändern und hat hierfür die Kampagne „Not A Token Woman“ gestartet.  Das Motto: „Change now to change tomorrow“. Dabei machen Frauen der Hochschule mit zum Teil provokanten Statements auf ihre Hürden aufmerksam. Neben Diskussionen, die dadurch angeregt werden können, kann eine solche Auseinandersetzung nicht nur den Austausch und die Vernetzung, sondern vor allem die Sichtbarkeit von Wissenschaftlerinnen stärken.

An ihrem Pariser Institut machte Marie später ihren Studentinnen Mut. Weil sie ihnen zeigte, dass man vor nichts Angst haben muss, sondern alles erforschen und begreifen kann.

Aus dem Buch „Little People, Big Dreams – Marie Curie“

Die Chancen für Frauen in der Wissenschaft

Neben allen Herausforderungen gibt es für Frauen im MINT-Bereich viele Chancen und Möglichkeiten. Sich seinen individuellen Weg zu suchen, lohnt sich.

Das bestätigt Professorin Büsing: „Als Wissenschaftlerin arbeite ich an den großen Problemen unserer Zeit. In meinem Fall an der Optimierung von Prozessen im Gesundheitswesen, damit wir auch in Zukunft unsere Versorgungsqualität aufrechterhalten und gleichzeitig das medizinische Personal entlasten. Das motiviert mich ungemein. An der Universität habe ich viele Möglichkeiten, mich persönlich weiterzuentwickeln, ständig Neues dazuzulernen, mit jungen, hoch qualifizierten Studierenden zusammenzuarbeiten, meine Begeisterung für mein Fach weiterzugeben, andere zu fördern und ihnen durch Konferenzbesuche oder Forschungsaufenthalte neue Welten zu eröffnen.“ Zudem könne sie ihren Arbeitsalltag durch hybrides Arbeiten so gestalten, dass er für sie und ihre Familie gut funktioniere.

Umdenken braucht Zeit

Gleichberechtigung – auch über den naturwissenschaftlichen Bereich hinaus – ist nichts, was von heute auf morgen passiert. Es ist ein Prozess. Jede Frau, die ihre Stimme nutzt und sich mit anderen zusammenschließt, kann diese Bewegung stärken.

Ob man herausragend arbeitet, hat nichts mit dem Geschlecht zu tun, sondern mit der Leidenschaft, mit der man Dinge angeht. Bis das hinter jedem Schreibtisch, in jedem Hörsaal und Unternehmen angekommen ist, wird es dauern. Um diesen Text mit den Worten von der großen Wissenschaftlerin Marie Curie zu schließen: „Man muss an seine Berufung glauben und alles daransetzen, sein Ziel zu erreichen.“