Gaaaanz entspannt: Warum Yin-Yoga perfekt ist, um sanft mit dem Sport ins Jahr 2025 zu starten
Wer Yin-Yoga zum ersten Mal ausprobiert, könnte unter Umständen enttäuscht sein. Denn augenscheinlich tut sich nicht wirklich was. Keine herausfordernden Asanas wie bei Ashtanga oder Hot Yoga, keine dynamischen Abfolgen wie beim Vinyasa. Stattdessen viel Stille, langsame Bewegungen und vor allem ein „In-sich-hinein-Spüren“. Doch genau das macht Yin-Yoga gerade für Anfänger*innen so einfach. Und ist der ideale Start für ein Fitnessprogramm im neuen Jahr 2025.
Weil Yin-Yoga der Antipode ist zu allen aktiven, sogenannten Yang-Yogapraktiken, aber auch generell zu unserem aktiven, yang-dominierten Alltagsleben. Sein Wesen ist sanft, nährend und weiblich. „Beim Yin geht es darum, passiv in den Haltungen anzukommen, ganz bewusst die Muskeln entspannen zu lassen. Und durch das Verweilen tiefere Muskelschichten, Faszien und das Bindegewebe zu erreichen“, sagt Verena Wagner, Yin-Yogalehrerin aus München. Wer Yin-Yoga als Ausgleich zu anderen Yoga- oder Sportarten betreibt, so Wagner, der lernt Körper und Geist runterzufahren und sich wieder neu zu erden.
Daher kommt Yin-Yoga - und so unterscheidet es sich von allen anderen Yoga-Arten
Seinen Ursprung hat Yin-Yoga wie die meisten heutigen Yoga-Formen im Hatha-Yoga. In den späten 1970er-Jahren entwickelte der Martial-Arts-Meister Paulie Zink in Los Angeles daraus einen eigenen Stil, indem er Hatha mit taoistischem Yoga und selbst erarbeiteten Asanas kombinierte. Zink nannte seinen Stil Yin. Paul Grilley, ein Schüler von Zink, modifizierte Yin-Yoga mit den anatomischen Grundlagen des menschlichen Körpers und chinesischer Medizin. Grilleys Schülerin Sarah Powers wiederum war es, die Yin-Yoga in den 1990er-Jahren von San Francisco aus weltweit zu seiner heutigen Form brachte: Durch ihr Wissen über die Meridianbahnen im Körper entwickelte Powers Sequenzen, die unsere energetischen Kanäle stimulieren und legte dabei den Fokus noch stärker auf den Atem. Grilley und Powers prägten so den passiven Stil des Yin: Die meisten Posen werden liegend oder sitzend ausgeführt und bis zu fünf Minuten lang gehalten.
Die meisten Posen beim Yin-Yoga werden liegend oder sitzend ausgeführt und bis zu fünf Minuten lang gehalten.
Beim Yin-Yoga ist die Herausforderung die Ruhe
Grilley und Powers Botschaft lautet: „Jeder Körper ist anders. Hört auf ihn und darauf, was er braucht und kommt weg vom Vergleichen und vom Leistungsgedanken!“ Es geht beim Yin-Yoga also ganz bewusst nicht darum, zu schauen, was mein*e Nachbar*in auf der Matte macht, sondern darum, in mich hineinzuspüren. Wagner, die ihre Ausbildung beim Amerikaner Biff Mithoefer absolviert hat, weiß: In den drei bis fünf Minuten, in denen man seine Posen hält, bekommt der Geist viel Raum. Und je mehr Raum unser Geist hat, je ruhiger er werden soll (wir kennen es von der Meditation), umso wilder rast er häufig. So kam Wagner auf eine Idee: „Ich fing an mit Livemusik in meinen Stunden. Singen, Gitarre spielen – Yoga in Verbindung mit Klängen wurde mein Steckenpferd. Um dem Geist noch mal eine andere Fläche zu geben, auf die er sich legen kann.“
Anders als bei Yang-Yoga-Arten beginnt Yin-Yoga zunächst mit dem Einnehmen der Haltung. „Wenn der Körper beginnt, schwer zu werden, aufzumachen, bringe ich den Geist zur Atmung. Damit es über den Atem leichter wird in der Pose zu verweilen.“ Wagner geht von Matte zu Matte, sieht nach, welche Körperregionen vielleicht noch blockiert sind. Versucht, die mit den Schüler*innen gemeinsam zu lösen. Und setzt danach mit der Musik ein.
Soweit, so entspannt – könnte man meinen. Doch die Lehre von Meridianen und Chakren macht Yin-Yoga vor allem mental zur extremen Herausforderung. „Beim Yin-Yoga liegt der Fokus auf unserem Unterkörper, in den ersten drei Chakren. Yin öffnet Leiste und Hüfte, also genau die Regionen, in denen viele emotionale Altlasten gespeichert sind. Das Verweilen in den Posen führt dazu, dass tiefe Emotionen hochkommen, von denen wir oft gar nicht genau wissen: Wo kommt das jetzt her? Was ist denn jetzt los?“, erzählt Verena Wagner. Für sie sind Yin-Stunden der einmalige Raum, gleichzeitig körperliche und emotionale Blockaden zu lösen. Wie wir uns diesem Körper-Geist-Gesamtpaket am besten nähern? „Mit einem guten Lehrer, der uns an die Hand nimmt. Und durch ganz viel Wiederholung: ‚Okay, noch mal probieren, loszulassen. Erneut ein Körperscan: Wo halte ich noch fest?' Und dabei gar nicht über die Gründe grübeln, sondern liebevoll mit sich selbst versuchen dort jetzt noch ein bisschen mehr loszulassen.“
Darum ist Yin-Yoga perfekt, um ins neue Jahr zu starten
Wenn dieses ruhige Aushalten aktiv geprägte Yoginis in den ersten Stunden in ihrer Passivität ungewöhnlich scheint, so ist es doch genau das, was diese Praxis erreichen will: dass wir lernen, liebevoll und nicht zu streng zu uns zu sein. „Yin-Yoga ist ein Stil für Selbstliebe und Selbstfürsorge. Es geht darum, sich eine Chance zu geben und diese Milde auch in seinen Alltag mitzunehmen: Wenn es heute nicht klappt, dann schaue ich eben morgen, denn morgen sieht es vielleicht schon wieder ganz anders aus.“ Dass es eben kein Gut oder Schlecht gibt, wird spätestens am Ende einer Yin-Stunde jedem*r auf der Matte bewusst: Wenn der Körper entspannter geworden ist und der Geist einerseits ruhiger ist, aber auch fokussierter als zuvor. Weil wir losgekommen sind vom Festhalten, hin zum großen Ganzen: dass alles im Fluss ist – panta rhei.
Für Verena Wagner ist Yin-Yoga ein Anker, um auch in ihrem oft hektischen Beruf als Filmemacherin immer wieder zu sich selbst zu finden. „Yin erdet. Bringt uns zurück zu unseren Wurzeln, zu unserer Intuition. Wenn wir loslassen und es zulassen. Es üben und nicht sofort aufgeben, sondern dem Ganzen eben eine Chance geben.“ Durch seine meditative Richtung bringt uns Yin-Yoga zu mehr Fokussierung und näher zu unserem Kern. Wir begeben uns 75 oder 90 Minuten lang auf die Matte. Tauchen ein in die Übungen und dadurch sinnbildlich in uns selbst. Und nähren uns dabei nicht vom Außen, sondern lernen uns selbst zu vertrauen und anzunehmen, und zwar genau so, wie wir sind. Kommen ins Spüren: Wir sind genug. „Wir müssen nicht immer etwas verändern. Sondern dürfen dankbar sein über das, was ist.“
Diese Yin-Asanas machen frei und stark!
Sphinx
Ardha Bhujangasana ist die sanfte Schwester der kleinen Kobra. Auf dem Bauch liegend stützen sich die Unterarme nach vorne auf der Matte ab, Ellenbogen unter den Schultern, Brustkorb und Blick heben sich ohne den Kopf in den Nacken zu legen. Ihre Benefits: Die Sphinx dehnt den Brustraum, stärkt Rücken- und Gesäßmuskulatur und wirkt energetisierend. Denn diese Herzöffnung befreit selbst von tief sitzenden Ängsten und schafft Mut und Selbstvertrauen für neue Wege.
Umkehrhaltung
Die Umkehrhaltung (auf Sanskrit: Viparita Karani) ist die sanfte Alternative zum Schulterstand. Auf dem Rücken liegend, den unteren Rücken etwas erhöht abgelegt, z.B. auf einem Podest aus einer fest gefalteten Decke, strecken die Beine dabei in die Senkrechte – in der Luft oder auch an die Wand gelehnt. Ihre Benefits: Sie ist die perfekte Asana, um nach einem langen Tag runterzukommen. Pusht Durchblutung und Verdauung, wirkt gegen Krampfadern und dehnt den Rücken. Entspannt das Nervensystem und stärkt das Selbstbewusstsein.
Liegender Halbmond
Ihr Sanskrit-Name Bananasana beschreibt die Asana exakt: In Rückenlage mit über den Kopf gestreckten Armen. Beine und Arme auf eine Seite ziehen, so dass der Körper wie eine Banane auf der Matte liegt. Ihre Benefits: Die gesamte seitliche Faszienbahn sowie Leber, Milz und Lungenflügel werden gedehnt. Die ungewohnte Asymmetrie der Pose löst Denkblockaden und führt hin zum intuitiven Spüren und Fühlen.
Text: Verena Mohr & Meike Mai