Gewollt kinderlos: Eine Expertin erklärt, warum diese Entscheidung normalisiert werden sollte

Bewusste Kinderlosigkeit bei Frauen

Prof. Dr. Claudia Rahnfeld äußert sich im Interview zu bewusst kinderfreien Frauen und die Gründe für ein Leben ohne Kinder

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Ich bin 26 Jahre alt. Die Frage, ob ich Kinder bekommen möchte, war für mich nie eine, sondern eine Tatsache. Doch je näher ich an den potenziellen Moment rücke, an dem es so weit sein könnte, desto mehr beginne ich, mich das Ganze doch als eine Frage zu stellen.

Meine Freundin erzählte mir von den körperlichen Veränderungen und der Tortur ihrer Geburt, und auch auf Social Media folgte ich Müttern, die über ihren Alltag berichten – die die realistischen, manchmal auch unschönen Seiten des Familienlebens zeigen. Ich entdeckte Mütter, die ihre Mutterschaft hinterfragen, manche sogar bereuen und dann stieß ich auf Frauen, die sich aktiv gegen eine Rolle als Mutter entschieden haben.

Geprägt von Skepsis und Kritik ist vor allem letztere Wahl. „Wer keine Kinder will ist einfach egoistisch!“ „Du hast nur noch nicht den richtigen Mann gefunden!“ „Wie kann man keine Kinder mögen?!“ Sätze, die oft Normalität für – bewusst oder unbewusst – kinderlose Frauen sind.

Frau an Wand
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Ein Leben ohne Kinder

Jede fünfte Frau in Deutschland hat keine Kinder.  Diejenigen, die sich aktiv dagegen entschieden haben, nennt man kinderfrei. Frei und nicht -los, weil es eine freie und selbstbestimmte Entscheidung dieser Frauen ist. Warum stehen kinderfreie Menschen, besonders Frauen, aber so einer ablehnenden Haltung in der Gesellschaft gegenüber? Und: Sind sie wirklich so egoistisch wie es das Klischee sagt? Prof. Dr. Claudia Rahnfeld ist Professorin für Sozialwissenschaften und hat genau diese Fragen in ihrer Studie „Gewollte Kinderlosigkeit“ gemeinsam mit Annkatrin Heuschkel untersucht.

„Frauen können es heutzutage immer noch niemandem recht machen“, erklärt Prof. Dr. Rahnfeld im Interview. Auf die Aussage, dass kinderfreie Frauen egoistisch sind, hat sie eine klare Antwort: „Man kann nicht ernsthaft wollen, dass Frauen nur aufgrund des gesellschaftlichen Drucks Mutter werden. Schließlich muss man auch die Mutter-Kind-Beziehung zu Ende denken. Es gibt immer noch Frauen, die sich trotz all der Debatten nicht frei entscheiden können, ich nehme mich da selbst nicht raus, weil dieser gesellschaftliche Druck enorm ist. Und das ist ein großes Problem für die Emanzipation der Frau.“

Doch nur weil Frauen keine Kinder bekommen wollen, heißt es nicht, dass sie Kinder grundsätzlich ablehnen. Die Studie belegt, dass viele der befragten Frauen sehr sozial veranlagt sind und gerne die Care Arbeit anderer Kinder übernehmen.

Warum entscheiden sich Frauen aktiv dagegen, ein Kind zu bekommen?

Grundsätzlich gilt, dass der „innere Mutterwunsch“, der irgendwann bei jeder Frau einsetze, ein Mythos ist. 50 Prozent der kinderfreien Frauen treffen ihre Entscheidung bereits vor ihrem 21. Lebensjahr und bereuen diese auch im hohen Alter nicht. Gesellschaftlich stoßen sie jedoch auf großen Widerstand. Viele Frauen müssen sich rechtfertigen, und nicht wenige nutzen „sozialverträglichere“ Ausreden wie „Es hat einfach nicht geklappt“, um weniger Angriffen ausgesetzt zu sein.

Ein wichtiger Schritt für die Emanzipation

Auch Männer entscheiden sich aktiv gegen eine Rolle als Vater. In einer anschließenden Studie möchte das Forschungsteam um Prof. Dr. Rahnfeld untersuchen, inwiefern Männer mit der Rolle als Vater in der Gesellschaft verknüpft sind und wie sich Männlichkeit heutzutage definiert. Ihre erste Prognose sieht so aus: „Erste Ergebnisse zeigen, dass Männer weniger über ihre soziale Rolle als Vater definiert werden.“

„Solange ein Kind noch dazu beiträgt, dass Frauen am Arbeitsmarkt zurückgestoßen werden und solange sich ein Kind fast ausschließlich im Lebenslauf einer Frau niederschlägt und in dem eines Mannes so gut wie gar nicht, können wir noch nicht über Gleichstellung sprechen“, erklärt Prof. Dr. Rahnfeld.

Das Bild der Frau in der Gesellschaft

Auch Prof. Dr. Rahnfeld bemerkt, wie stigmatisiert die meisten Frauen in der Gesellschaft sind, wenn sie sich gegen Kinder entscheiden. Sie sieht in dieser Ablehnung eine klare Ursache: „Das hat tief verwurzelte soziale und psychologische Gründe. Menschen fällt es schwer, von traditionellen Familienbildern abzuweichen, weil diese Sicherheit bieten. Eine Abweichung wird oft als Angriff auf das eigene Lebensmodell empfunden. Besonders in den Krisenzeiten, in denen wir uns aktuell befinden, lässt sich das feststellen“. Doch das kann nicht die Lösung sein, findet die Wissenschaftlerin. „Wir müssen gesellschaftlich offener über das Thema reden und traditionelle Vorstellungen aufbrechen. Dazu braucht es Zugänge über Kunst, Kultur und Politik. Politische Konzepte sollten nicht mehr auf traditionellen Familienbildern basieren. Es braucht neue Formen der Fürsorge und Gleichstellung.“ Ein Umdenken kann also nur gesamtgesellschaftlich funktionieren.

Dabei darf die Realität natürlich nicht aus den Augen verloren werden. „Die Reproduktionsrate in Deutschland und Europa liegt seit Jahren unter dem Niveau, das zur Erhaltung notwendig ist. Das führt zu realen gesellschaftlichen Herausforderungen wie dem Fachkräftemangel.“ Claudia Rahnfeld ist jedoch der Meinung, dass es zu kurz gedacht ist, dafür die Frau zur Verantwortung zu ziehen: „Die Frage ist, wie wir damit umgehen: Bleiben wir an alten Modellen hängen, oder entwickeln wir neue Konzepte? Integration könnte eine Lösung sein, aber das ist eine politische Frage.“ Die Frage nach der Mutterschaft sollte eine Überlegung sein, die jede Frau anstellen darf. Ohne Druck, ohne Stigmata. Denn Frauen sind erstmal Frauen, keine Mütter.