Hochgiftig und heilend: Botox ist so viel mehr als nur ein Falten-Killer
Botulinumtoxin gilt als das gefährlichste Gift der Welt und wir haben alle schon mal davon gehört. Besser bekannt als Botox kommt es mal mit beeindruckenden, aber auch erschreckenden Ergebnissen in der Schönheitschirurgie als Faltenglätter zum Einsatz. Doch das Nervengift findet auch bei schwerwiegenden medizinischen Problemen Anwendung – ist dabei aber nicht immer unumstritten.
Die Namensherkunft von Botulinumtoxin ist weder besonders ästhetisch noch appetitlich. Der Begriff stammt aus dem Lateinischen und setzt sich aus den Wörtern “Botulus” (Wurst) und “Toxin” (Gift) zusammen. Dies rührt daher, dass das Toxin von Bakterien gebildet wird, die beispielsweise bei nicht optimal konservierten Lebensmitteln wie Fleisch, Wurst, aber auch Bohnen entstehen.
Bis das Nervengift seinen Weg in den medizinischen Bereich gefunden hat, starben etliche Menschen an der als Botulismus bezeichneten Lebensmittelvergiftung. Bereits zwei Milliardstel Milligramm Botulinumtoxin können zum Tod führen. Heute kommt die Erkrankung nur noch äußerst selten vor. Nach Angaben des Robert Koch Instituts wurden zwischen 2001 und 2017 in Deutschland insgesamt 24 Fälle von Botulismus gemeldet.
Wie wirkt Botulinumtoxin?
Botulinumtoxin ist ein Nervengift, das die Signalübertragung von den Nervenzellen an die Muskelzellen hemmt und folglich paralysierend wirkt. Meist sind nach einigen Stunden zunächst kleinere Muskeln – wie die Augen- oder Schluckmuskeln betroffen – es kommt zu verschwommenem oder doppelt Sehen. In schweren Fällen werden alle Muskeln des Körpers bis hin zur Atemwegsmuskulatur beeinträchtigt.
Botox als Faltenglätter: eine Nebenwirkung
Die heute so begehrte glättende Wirkung von Botox wurde tatsächlich nur zufällig entdeckt. Anfang der 90er-Jahre injizierten kanadische Ärzte einer Patientin das Nervengift, um einen Lidkrampf zu behandeln. Es dauerte nicht lange, bis sie feststellten, dass neben den Krämpfen auch die Falten in der Augenpartie verschwunden waren.
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Ein für die Notfallmedizin gänzlich unbeeindruckendes Ergebnis, das jedoch die Schönheitschirurgie revolutionieren sollte. Waren bis dato noch chirurgische Maßnahmen nötig, um tiefe Falten aus den Gesichtern der vorrangig prominenten Patienten zu verbannen, sollte diesen Job künftig eine kleine Spritze erledigen können.
Botulinumtoxin in der Neurologie
Wie schon zu Beginn der 90er-Jahre wird Botulinumtoxin heute noch eingesetzt, um neurologisch bedingte Störungen zu behandeln. Laut den Leitlinien der amerikanischen neurologischen Fachgesellschaft “American Academy of Neurology” zählen dazu Spastik nach Schlaganfall, Rückenmarks- und Nervenverletzungen, Verkrampfungen und Fehlhaltungen bei Dystonie oder der Blepharospasmus, ein willkürlich nicht zu beherrschender Lidkrampf.
Durch die Botulinumtoxin-Therapie werden überaktive Muskeln durch die Injektion gezielt ruhiggestellt. Das in kleinsten Mengen gespritzte Toxin verursacht eine Schwächung des betroffenen Muskels und macht ihn weniger ansprechbar für fehlgesteuerte Nervenimpulse.
Botulinumtoxin bei chronischer Migräne
Unabhängig von seinem muskellähmenden Effekt wirkt das Toxin schmerzlindernd. Seit 2011 ist Botulinumtoxin A (BoNT-A) deshalb in Deutschland für die Therapie chronischer Migräne bei Erwachsenen zugelassen, die auf “prophylaktische Migränemedikation nur unzureichend angesprochen oder diese nicht vertragen haben.”
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Das Medikament wirkt laut der Deutschen Gesellschaft für Neurologie nur bei chronischer Migräne, also bei Patienten, die an mindestens 15 Tagen im Monat unter den quälenden Schmerzen leiden. Gegen episodische Migräne oder andere Formen von Kopfschmerzen hilft Botox dagegen nicht. Professor Hans-Christoph Diener von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) empfiehlt Botox deshalb nur bei häufigen Migräneattacken: „Die Behandlung mit dem Botulinumtoxin sollte auch nur im Einzelfall und von erfahrenen Kopfschmerzspezialisten durchgeführt werden.“
Botox bei übermäßigem Schwitzen
Krankhaft vermehrtes Schwitzen – Hyperhidrose genannt – kann als Folge von hormonellen Störungen auftreten. Verantwortlich für die übermäßige Schweißbildung ist der Neurotransmitter Acetylcholin, der nicht nur die Muskeln stimuliert, sondern auch die Schweißdrüsen aktiviert. Durch die Botox-Therapie wird die Freisetzung der Transmittersubstanz blockiert und damit die Schweißproduktion gedrosselt. Botox gilt als zuverlässigster Wirkstoff zur Behandlung der Hyperhidrose, er ist aber auch besonders teuer: Meist sind zehn bis 20 Injektionen nötig, um das übermäßige Schwitzen für bis zu sechs Monate zu verhindern. Die Therapie wird in der Regel nicht von den Krankenkassen übernommen.
Botox bei Zähneknirschen
Wenn das Zähneknirschen nachts ausartet, spricht man von Bruxismus. Betroffene leiden unter Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörungen, Übelkeit und sogar Tinnitus, außerdem verschleißen Kiefergelenk und Zähne durch das dauernd Knirschen und Aufeinanderpressen stark.
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In deutschen Zahnarztpraxen kommt bei diesem Krankheitsbild immer häufiger Botox zum Einsatz, das den Kiefer- und Kaumuskel entspannt. Der Effekt hält zwischen sechs bis acht Monaten an und muss dann wiederholt werden. Die Kosten für das Spritzen des Muskelrelaxans werden von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen.
Der Einsatz bei Depressionen ist umstritten
Die Veröffentlichung des Berichts “Botulinumtoxin: Ein neuer Wirkstoff in der Psychopharmakotherapie?” von Dr. Tillmann Krüger und Dr. Marc Axel Wollmer fand international große Beachtung. Im Jahr 2016 kamen die Forscher der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) zu dem Schluss, dass erste Befunde auf eine “potenziell hochwirksame Anwendung in der Behandlung von Depressionen hinweisen”. Dazu wurde Botulinumtoxin in den Stirnbereich injiziert. “Der Effekt lässt sich vermutlich anhand der Facial-Feedback-Theorie erklären, nach welcher der mimische Emotionsausdruck und die Propriozeption des Ausdrucks die zugrunde liegende Emotion verstärken”, heißt es in der Veröffentlichung. Mit der Lähmung der am Ausdruck negativer Emotionen beteiligten Muskelgruppen habe sich auch die depressive Stimmungslage der Patienten deutlich verbessert.
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Für ihre erste randomisierte, placebo-kontrollierte Studie aus dem Jahr 2012 hatten Wollmer und Krüger 15 leicht bis mittelschwer depressive Patienten mit Botox und 15 weitere mit einem Placebo-Mittel behandelt. In einem Zeitraum von 16 Wochen berichteten demnach 60 Prozent der Patienten, die mit Botox behandelt wurden, von einer spürbaren Besserung der Depression.
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Kritiker dieser Theorie bemängeln nicht nur, dass große Studien und Erfahrungswerte zum Einsatz von Botulinumtoxin bei Depressionen noch ausstehen. Sie kritisieren zudem, dass der Wirkstoff nicht in einer nötigen Doppel-Blind-Studie – also einer Placebo-Studie – getestet werden könne. Denn beide Gruppen würden relativ schnell merken, ob sie den Wirkstoff verabreicht bekommen haben oder nicht.