Kochkurse für Witwer: Kulinarik gegen die Einsamkeit
Kann man Kochen und Trauer verbinden? Unbedingt, findet Trauerbegleiter Ulrich Wehr. In seinen Kochkursen für Witwer arbeiten die Männer gemeinsam an ihrem kulinarischen Highlight und tauschen sich über ihr Schicksal aus.
Auf den ersten Blick geht es beim "Kochkurs für Witwer" darum, den alleinstehenden Herren zu helfen, sich zukünftig nicht nur von Fertiggerichten vom Discounter zu ernähren. Doch das eigentliche Ziel des Kulinarik-Workshops ist weitaus wichtiger: Die Männer, die ihre Partner verloren haben, fühlen sich oft allein und sollen Anschluss finden.
Das weiß Ulrich Wehr. Seit 2015 bietet der Trauerbegleiter deshalb ehrenamtlich Kochkurse für Witwer an. Diese finden zweimal im Jahr in jeweils sechs wöchentlichen Einheiten statt. Es ist kein Zufall, dass diese immer in der dunklen Jahreszeit stattfinden - einmal im Februar und März, einmal im Oktober bis Mitte November. Die Einsamkeit und Trauer lastet besonders in der Vorweihnachtszeit schwer auf einsamen Schultern. "Wenn die Tage lang und hell sind, kann man sich gut beschäftigen und geht eher auch mal vor die Tür - auch als Mann", sagt Ulrich Wehr im "ARD-Morgenmagazin". "Aber gerade in der Weihnachtszeit ist man anfällig für Erinnerungen, dann begleiten wir diese Menschen ein Stück weit", fügt er an.
Ein wichtiger Halt
"Trauerarbeit ist eine Aufgabe, die unterschätzt wird: Diejenigen, die zurückbleiben, brauchen oft längere Zeit, um den Verlust zu verarbeiten", berichtet Ulrich Wehr in einem Beitrag des WDR. Die Klischees, dass Männer sich mit dem Trauern schwerer tun, weil sie weniger sozial vernetzt sind und sich schwerer tun, über Gefühle zu reden, "stimmen im Großen und Ganzen", findet der Trauerbegleiter. Gerade ältere Männer würden ihre Gefühle in der Öffentlichkeit nicht so zeigen. Wehr nennt ein Beispiel: "Ein Kochkursteilnehmer meinte, er wolle an Heiligabend nicht in die Kirche gehen, weil ihn das zu sehr an seine verstorbene Frau erinnern würde und er befürchte, in der Kirche zu weinen."
Erfreulicherweise entsteht aber in den Kochkursen eine Dynamik, die diese Muster aufbricht. Die Männer, die hier zusammen kochen, teilen das gleiche Schicksal: Ihre Lebenspartnerinnen oder ihr Lebenspartner sind verstorben. So wird das gemeinsame Kochen nebenbei auch zur kollektiven Trauerarbeit. "Mittlerweile treffen sich die Teilnehmer auch privat", erzählt der Kursleiter. Chef in der Küche ist der versierte Hobby-Koch Max. Die Situation der Kursteilnehmer kennt er gut, denn auch er hat seine Lebenspartnerin verloren. Auf der Wunschliste für die zu kochenden Menüs stehen gern Gerichte, wie man sie noch von der eigenen Mutter kennt, oder die Leibspeise, die man mit seiner Gattin verbindet. Es wird gemeinsam gekocht, gegessen, abgespült und aufgeräumt. Ulrich Wehr gibt den Teilenehmer die Rezepte mit nach Hause, weiß aber, dass die wenigstens das Erlernte für sich allein nachkochen. "Das eigentliche Geschenk sind die zwei, drei Stunden, die wir miteinander verbringen", findet der 75-Jährige. "Danach freuen wir uns auf den nächsten Mittwoch."
Ulrich Wehr ist in der Lübecker Hospizbewegung tätig. "Die Idee für die Kochkurse für Witwer ist mir Anfang 2015 im Schlaf gekommen", erinnert er sich. Damals war seine Idee einzigartig. Heute freut er sich, dass immer mehr Anfragen von anderen kommen, die ein ähnliches Angebot etablieren wollen. "Ich finde es schön, dass sich diese Idee herumspricht und weiterentwickelt", sagt Wehr.
Vergleichbare Kochkurse, die sich nebenbei auch als Trauerbegleitung verstehen, gibt es nicht nur in Lüneburg. Auch der Hospizverein Amberg und das Pendant in Lüneburg bieten "Kochen für Witwer". Ein Kochabend für Verwitwete unter Leitung einer professionellen Trauerbegleiterin findet zudem in regelmäßigen Abständen bei "Die Fabrik" in Sundern satt. Die Hauswirtschaftsabteilung des AELF Landau a.d. Isar-Pfarrkirchen bietet einen Kurs "Kochen für Männer 55 plus" an.