Kann Kreatin dabei helfen, länger zu leben? Tierversuche geben Hinweise auf Heilung von Herz- und Neurokrankheiten

Kreatin könnte Menschen dabei helfen länger und gesünder zu leben. - Copyright: Djavan Rodriguez/Getty Images
Kreatin könnte Menschen dabei helfen länger und gesünder zu leben. - Copyright: Djavan Rodriguez/Getty Images

Viele Kraftsportler nehmen es als Pulver oder in Pillenform zu sich: Kreatin. Einige Mythen haben sich um das Nahrungsergänzungsmittel herum gebildet. Häufig geht es darum, ob die Einnahme dem Körper schaden könnte. In einem Interview mit Rouven Chlebna, Autor bei "Welt" berichtete der Wissenschaftler Jürgen Gießing, dass Studien nun Hinweise darauf geben, dass Kreatin sogar dabei helfen könnte, länger zu leben.

Der menschliche Körper stellt Kreatin selbst her, erklärt Gießing in der "Welt". Entsprechend sei es bei gesunden Menschen eigentlich nicht nötig, dass der Stoff extra aufgenommen wird. Eine zusätzliche Aufnahme über Fleisch oder Nahrungsergänzungsmittel könne jedoch sinnvoll sein, da Kreatinphosphat hilft, Adenosintriphosphat (ATP) schnell zu regenerieren. Es fördere also die anaerobe (ohne Sauerstoffverbrauch) Energiezufuhr in den Zellen.

Kreatin sei deshalb vor allem bei Sportlern beliebt. Es ist ein gespeicherter Energiespender, der besonders bei kurzen, intensiven Belastungen wie Sprinten oder Krafttraining die Leistungsfähigkeit steigern kann.

Kreatin kann mehr als Energie liefern: Heilung des Herzens

Doch die Fähigkeiten von Kreatin übersteigen den sportlichen Aspekt. Gießing erklärte der "Welt", dass Kreatin auch in Situationen mit beschränkter Sauerstoffversorgung, wie bei Verletzungen oder Atemnot, positive Auswirkungen auf den Körper haben kann.

Des Weiteren erweise sich Kreatin auch im Zusammenhang mit der Gesundheit des Herzens, das schließlich ebenfalls ein Muskel ist, als vorteilhaft. Wenn Menschen ein schwaches Herz haben oder einen Herzinfarkt erleiden, greife es ebenfalls auf anaerobe Energiequellen, wie Kreatin eine ist, zurück.

Tierversuche legen nun die Vermutung nahe, dass Kreatin eine heilende Wirkung auf den Herzmuskel haben könnte. Am Menschen durchgeführte Studien dazu gebe es jedoch noch nicht.

Auch Menschen mit Alzheimer könnten profitieren

Kreatin sei essenziell, damit das Nervensystem und das Gehirn gut funktionieren können, so Gießing zur "Welt". Wenn Menschen keine gesunde körpereigene Herstellung von Kreatin haben, so gehe dies häufig mit neurologischen Defekten einher.

An Mäusen durchgeführte Tierversuche deuten an, dass Kreatin deshalb gegen Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson eingesetzt werden könnte. Gießing relativiert den Schutz vor neurodegenerativen Erkrankungen mit Kreatin jedoch: Die an Tieren durchgeführten Studien ließen sich nicht uneingeschränkt auf den Menschen übertragen.

Die Behandlung von Menschen mit Kreatin habe bisher noch keine eindeutigen Ergebnisse hervorgebracht. "Wenn sich diese Ergebnisse nur ansatzweise auch beim Menschen bestätigen sollten, wäre das sicher ein Meilenstein in der Prävention dieser Krankheiten", meint Gießing im "Welt"-Interview.

Mäuse auf Kreatin haben 9 Prozent längeres Leben: Gilt das auch für den Menschen?

Wie in der "Welt" berichtet wurde, zeigte eine Studie, dass die tägliche Aufnahme von Kreatin bei Mäusen zu einer im Schnitt neun Prozent längeren Lebensdauer führte. In ihren Zellen ist zudem die Menge an Lipofuszin, einem sogenannten Alterspigment, zurückgegangen.

Gießings Antwort darauf ist jedoch ein wenig ernüchternd. Wiederum ließen sich die Tierversuche nicht einfach so auf den Menschen projizieren. Es bräuchte zunächst am Menschen durchgeführte Langzeitstudien. Menschen haben eine weitaus längere Lebensspanne als Mäuse, weshalb dies noch etwas dauern werde.

Dennoch kann Gießing festhalten: "Da Kreatin ein wichtiger Energielieferant im anaeroben Stoffwechsels praktisch aller Zellen im menschlichen Körper ist, sind die bekannten positiven Auswirkungen eines ausreichenden Kreatingehalts in den Zellen sicher kein Nachteil bezüglich dieser altersbedingten Veränderungen."

Das könne beispielsweise beim altersbedingten Muskelschwund ein Vorteil sein. Wenn dieser verringert werden könnte, so würden Senioren weniger pflegebedürftig sein. "Die Forschung zeigt unmissverständlich, dass Kreatin dabei eine wichtige Rolle spielen kann", sagt Gießing der "Welt".

Wie viel Kreatin ihr zu euch nehmen solltet

Negative Auswirkungen von dauerhafter Kreatin-Aufnahme seien Gießing zufolge durch Langzeitstudien widerlegt worden. Das gelte jedoch nur für geringe Mengen. Wie viel ein Mensch pro Tag aufnehmen soll, sei wiederum individuell unterschiedlich.

Dabei sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen. Unter anderem die Muskelmasse oder auch die Ernährungsweise. Menschen, die viel Fleisch essen, nehmen mehr Kreatin zu als Vegetarier oder Veganer. "Es gibt auch brauchbare Faustregeln zum Abschätzen des Bedarfs. Zwei bis drei Gramm pro Tag sind in der Regel ausreichend", sagt Gießing.

Eine Unterdosierung sei kaum möglich, da der Körper das Kreatin speichere. Eine Überdosierung hingegen schon: "Wenn mehr konsumiert wird als benötigt, reduziert sich die körpereigene Kreatin-Synthese", erklärt Gießing in der "Welt". Das sei jedoch nicht irreversibel und normalisiere sich auch schnell wieder. Weitere Nebenwirkungen seien zu viel Wasser in den Darmzellen, was zu Beschwerden führen könnte.

dst