LGBTQ-Heldin: Vor einem Jahr starb Sarah Hegazi

Trigger-Warnung: Dieser Text berichtet auch über das Thema Suizid. Bitte lesen Sie ihn deshalb nur, wenn Sie sich dazu in der Lage fühlen. Sollten Sie sich selbst in einer emotionalen Notlage befinden, zögern Sie nicht, Hilfe zu suchen. Sie erreichen die Telefonseelsorge immer anonym entweder online oder unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222.

Die ägyptische LGBTQ-Aktivistin Sarah Hegazi hat sich vor einem Jahr das Leben genommen. Sie wurde für das Schwenken der Regenbogenfahne inhaftiert und im Gefängnis gefoltert.

Feiernd mit der Regenbogenflagge wurde Sarah Hegazi zur tragischen Ikone (Bild: Twitter)
Feiernd mit der Regenbogenflagge wurde Sarah Hegazi zur tragischen Ikone (Bild: Twitter)

Am 22. September 2017 besuchte Sarah Hegazi ein Konzert in Kairo. Auf der Bühne vor ihr stand Mashrou' Leila, eine Indie-Band aus dem Libanon, deren Sänger öffentlich schwul lebt. Konzerte der Band sind deshalb besonders unter Menschen, die sich als Teil der LGBTQ-Community identifizieren oder gleiche Rechte für alle einfordern, sehr beliebt.

Hegazi, auf die beides zutraf, schwenkte auf dem Konzert erstmals öffentlich in Ägypten die Regenbogenflagge. Wie sie dem US-amerikanischen National Public Radio später sagte, handelte es sich um "einen Akt der Unterstützung und Solidarität – für alle Menschen, die unterdrückt werden".

"Bitte vergebt mir"

Eine Woche später wurde Hegazi neben 56 weiteren Konzert-Besucher*innen verhaftet. Drei Monate lang saß sie in Haft, bis sie gegen Kaution freigelassen wurde.

Sie floh daraufhin ins Exil nach Kanada. Doch die Zeit im Gefängnis, in der sie eigenen Angaben zufolge mit Stromschlägen und psychischen Misshandlungen gefoltert wurde, hinterließ schwere traumatische Schäden. Am 14. Juni 2020, im Alter von 30 Jahren, nahm sie sich das Leben.

Zu ihrem Todestag erinnern zahlreiche Texte und Beiträge auf der ganzen Welt an die Softwareentwicklerin, die von einem Wegbegleiter bei CNN als "Feministin, Politikinteressierte und queere Aktivistin" bezeichnet wird.

Auch wird eine Notiz von Hegazi erneut geteilt, die sie vermutlich kurz vor ihrem Tod geschrieben hat: „An meine Geschwister: Ich habe versucht, Erlösung zu finden, aber ich bin gescheitert. Bitte vergebt mir. An meine Freunde: Meine Reise war schrecklich und ich habe nicht mehr die Kraft, um weiterzukämpfen. Bitte vergebt mir. An die Welt: Du warst vor allem grauenvoll zu mir. Aber ich vergebe dir.“

Mut: Sie steht öffentlich zu sich selbst

In Ägypten ist Homosexualität oder das Schwenken der Regenbogenflagge nicht verboten, gesellschaftlich aber stark tabuisiert. Deshalb werden, so berichtet die Deutsche Welle, Menschen wie Hegazi, die sich öffentlich zu ihrer Homosexualität bekennen, diffamiert und vor allem online gedemütigt. Der Deutschen Welle sagte Hegazi damals nach ihrer Freilassung: "Ich habe mich in einer Gesellschaft offenbart, die alles hasst, was von der Norm abweicht."

Ihr Mut, öffentlich für sich und die Sichtbarkeit der LGBTQ-Community einzustehen, machte Hegazi international bekannt und berühmt. Und er kostete sie ihr Leben.

Zweckentfremdetes Gesetz

Im September 2018 schrieb sie in einem Artikel in Mada Masr über ihren Gesundheitszustand nach dem Gefängnisaufenthalt: "Ich leide an schweren Depressionen, Posttraumatischen Belastungsstörungen, Angstzuständen, Panikanfällen, kann an manchen Tagen mein Zimmer nicht einmal mehr verlassen." Sie habe bereits zweimal erfolglos versucht, Suizid zu begehen.

Gedenkveranstaltung für Sarah Hegazi im Juni 2020 (Bild: Ana Fernandez/SOPA Images/LightRocket via Getty Images)
Gedenkveranstaltung für Sarah Hegazi im Juni 2020 (Bild: Ana Fernandez/SOPA Images/LightRocket via Getty Images)

Die Regierung in Ägypten geht unter dem aktuellen Präsidenten Abd al-Fattah as-Sisi noch strikter gegen nicht-traditionelle Lebensentwürfe vor, da sie angeblich die moralische Struktur der Gesellschaft gefährden würden. Dafür wird häufig ein Anti-Prostitutions-Gesetz angewendet, das eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren für "sexuelle Abartigkeiten" zulässt. Nach dem Mashrou'-Leila-Konzert im Jahr 2017, die Band darf mittlerweile nicht mehr auftreten, häuften sich die staatlichen Übergriffe gegen die LGBTQ-Community in Ägypten und nehmen seither nicht mehr ab.

Keine Teilhabe, nur Überleben

In den vergangenen Jahr gab es hunderte Verhaftungen, häufig wurden Menschen anhand ihres Äußeren auf offener Straße gefasst. Rasha Younes von Human Rights Watch sagt dazu im Gespräch mit der Presseagentur Middle East Eye: "Das deutet darauf hin, dass die Regierung Menschen aufgrund ihrer gelesenen sexuellen Orientierung auswählt."

Für Younes sind die Zustände untragbar, sie gibt der Regierung deshalb auch eine Mitschuld am Tod Hegazis: "Ägypten hat bei Sarah versagt. Die Regierung hat sie ausgegrenzt, sie aus ihrem eigenen Land vertrieben, und ihr unglaubliches Leid zugefügt."

Doch auch mit ihrem Tod endete nicht die Gewalt gegen Hegazi, denn in sozialen Netzwerken werfen ihr weiterhin Menschen ein sündenvolles Leben vor. In einem Nachruf, schreibt Ahmad Qais Munhazim von der Thomas Jefferson Universität in Philadelphia: "Für queere und trans*Menschen mit muslimischem Glauben oder aus dem arabischen Raum ist gesellschaftliche Zugehörigkeit und Teilhabe nur ein Traum. Meistens geht es schlicht darum, zu überleben."

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