Kann man sich wieder in seine Jugendliebe verlieben? Vom Glück, sich nach Jahren wieder zu finden
Wie oft können wir uns eigentlich verlieben? Paartherapeut*innen und Psycholog*innen behaupten, dass nur die dritte Liebe die wahre Liebe ist. Aber was, wenn man sich noch einmal in seine Jugendliebe verguckt? Sie über Social Media vielleicht zufällig wieder gefunden hat? „Rekindling“ nennt sich das Phänomen, bei dem sich Paare nach Jahrzehnten getrennter Lebenswege neu verlieben. Am häufigsten gelingen solche Beziehungen, wenn man das erste Mal im Alter von unter 17 Jahren zusammen war – das hat die Psychologin Dr. Nancy Kalish von der California State University herausgefunden. Aber was sind die Voraussetzungen für Herzklopfen reloaded? Was unterscheidet das zweite Kennenlernen vom ersten? Und unter welchen Voraussetzungen gelingt die Jugendliebe 2.0? Drei wahre Geschichten …
Von New York in die Kleinstadt
„Als ich vier Jahre alt war, habe ich ihm im Sandkasten einen Heiratsantrag gemacht – diese Anekdote erzählen unsere befreundeten Mütter bis heute. Sogar rund um Burkards Hochzeit 1995 war davon noch die Rede, dass er ja eigentlich mir versprochen ist. Da hatten wir uns längst aus den Augen verloren. Ich zog zu diesem Zeitpunkt von Lohr am Main nach New York. Hatte dort eine Chaos-Beziehung nach der anderen. Er zog in unserem Heimatstädtchen drei Kinder allein groß, nachdem seine Frau die Familie verlassen hatte. Ein vollkommen anderes Leben. Während der Corona-Pandemie sind wir uns zufällig wieder über den Weg gelaufen. Mit meinen Eltern spazierte ich exakt jene Straße entlang, in der wir beide früher wohnten. Er kam von seiner pflegebedürftigen Mutter, ich lief zum einzigen Restaurant des Ortes. Wegen der Reservierung sind meine Eltern nach einer kurzen Begrüßung vorausgegangen. Ich hatte aber das Gefühl, ich will Burkard jetzt am liebsten mein ganzes Leben erzählen – und nie wieder aufhören mit ihm zu reden. Ein magischer Moment. Dieses Vertrauen aus Kindertagen war sofort wieder da. Bis heute sehe ich manchmal den Fünfjährigen in ihm. Aufregend und vertraut zugleich war deshalb auch das Gefühl, ihn nach 50 Jahren das erste Mal zu küssen. Davor musste ich ihn aber erobern. Obwohl er seit Jahren meine Telefonnummer über einen Freund in seinem Handy eingespeichert hatte, der meinte: „Melde dich doch mal bei Katja, ihr würdet super zusammenpassen“, war er zu schüchtern. Und auch abgeschreckt von meinem glitzernden New-York-Leben. Mir wurde die Großstadt während Corona aber eh zu viel. 2021 nahm ich mir ein Sabbatical und quartierte mich bei meinen Eltern ein. Von da an ging alles ganz schnell. Wir gingen in Lohr am Main spazieren, knutschten vor dem Wirtshaus „Frankenhof“ und ich zog bei ihm ein.
Wir sind beide unendlich dankbar und aus tiefstem Herzen erleichtert, uns nach harten Zeiten wieder gefunden zu haben. Begreifen unsere Liebe als Geschenk des Lebens, weil wir den ganzen Mist vorher mitgemacht haben. Wir streiten uns nie. Selbst wenn wir sauer aufeinander sind, wissen wir, dass am Ende alles gut wird. Wir lassen den anderen so sein, wie er ist. Manchmal sagt er wehmütig: „Wir hätten tolle Kinder zusammen gehabt.“ Ich bin mir aber sicher, dass erst jetzt der richtige Zeitpunkt für uns als Liebespaar gekommen ist. Früher wäre mir ein Leben, wie wir es jetzt führen, zu langweilig gewesen. Wahrscheinlich hätte ich ihn ändern wollen. Heute kann ich mir nichts Schöneres vorstellen, als mein New-York-Leben für ihn eingetauscht zu haben.“
Erzählt von Katja G.
Ein stürmischer Bootsausflug
„Um ehrlich zu sein, wollte ich meine Geschichte hier anfangs gar nicht erzählen. Weil sie nicht nur rosarot ist, sondern auch todtraurig. Im wahrsten Sinne. Denn nahe gekommen sind wir uns erst durch den Tod von Renés Frau. Obwohl wir uns schon mit 17 Jahren in der Eisdiele „Philippi“ am Hamburger Mühlenkamp kennenlernten. Händchen halten, erster Kuss – es war eine unbeschwerte Zeit. Aber nach ein paar Monaten verguckte ich mich neu. Später erzählte er mir, dass er mich nie vergessen hat. Selbst als wir jeweils heirateten und Kinder bekamen. Viele Jahre danach fand er meinen Namen zufällig im Impressum des Magazins „Stern“ und schrieb mir eine E-Mail. Das war der Beginn unserer erneuten Freundschaft. Die aber platonisch blieb. Ich lebte im Szeneviertel Schanze und mochte es schon immer wilder. Ihn hatte ich durch seine Facebook-Posts als konservativ und schlaumeiernd abgespeichert. Null sexy.
2022 erkrankte Renés Frau schwer und starb tragischerweise innerhalb nur eines Jahres. In dieser Zeit haben wir viel telefoniert. Ich wollte ihm helfen. Alles rein freundschaftlich – sogar noch, als er mich Wochen nach der Beerdigung als Dank für meine Unterstützung auf ein Eis in Dänemark einlud. Er hat ein Boot an der Schlei, mit dem wir losfuhren. Im Hafen von Dyvig kam das Unwetter des Jahrhunderts auf und wir saßen zwei Tage lang auf einem 10 x 4 Meter großen Boot in einer Mini-Kajüte fest. Zwei Tage, die unser Leben komplett veränderten. Wir kamen uns nah. Sehr nah.
13 Tage später hat er mir einen Heiratsantrag gemacht mit den Worten: „Eigentlich wollte ich dich schon immer.“ Ohne eine Millisekunde zu zögern, sagte ich ja. Ich wusste, ich bin angekommen. Diese Geborgenheit habe ich noch nie gespürt. In neuen Beziehungen muss man sich erst mal kennenlernen, Vertrauen aufbauen. Unsere Beziehung war erst Freundschaft, dann kam Herzklopfen dazu. Er sagt deshalb immer zu unseren Freunden: „Wir sind schon in der dritten Etage gestartet – da ist das Penthouse nicht mehr weit.“ Im Juni haben wir in Dänemark geheiratet. Unsere Zeit ist jetzt.“
Erzählt von Simone S.
Der verlorene Brief
„Christian traf ich in meinen frühen Zwanzigern in einer Disco. Wir waren acht Monate lang ein Paar. Er sollte als Gastronom ein alteingesessenes Hotel mit livrierten Kellnern übernehmen. Ich wusste von unserer Landwirtschaft zu Hause, was für eine Lebensaufgabe das sein würde, habe Panik bekommen und dann die Reißleine gezogen. Später heiratete ich, bekam Kinder. Lebte in einer nach außen funktionierenden Ehe, in der ich mich aber unglücklich fühlte. Als ich 50 wurde, trennte ich mich.
Unser Wiedersehen war ein Zufall: Beim Aufräumen im Haus meiner Eltern fand ich einen zehn Jahre alten Brief von Christian. Er hatte ihn an meine alte Adresse unter meinem Mädchennamen geschickt. Meine Mutter versteckte ihn jedoch, um meine Ehe nicht zu gefährden. Da diese aber ohnehin bröckelte, schickte ich Christian auf Facebook eine Freundschaftsanfrage. Er schrieb sofort zurück. Und obwohl wir beide sehr nervös waren, trafen wir uns kurze Zeit später in einem Café und erzählten uns unser Leben. Seine Wärme und Herzlichkeit haben mich sofort wieder erreicht. Ich fühlte mich umworben und sehr aufgehoben.
Die Beziehung, die wir jetzt seit acht Jahren führen, ist reif und tiefgründig. Es ist der richtige Moment, alles fühlt sich richtig an. Wir sind keine Kinder mehr. Wir leben 250 Kilometer entfernt, sehen uns aber regelmäßig und genießen unsere Quality Time, frei von den Verpflichtungen, die frühere Beziehungen belasteten. Wir beide empfinden diese Liebe als ein Geschenk. Jeder hat sein Leben gelebt. Jeder bringt einen Part seines Lebens ein, den der andere nicht kennt. Wir gehen tanzen. Schön essen. Zu der Vertrautheit kommt etwas Neues: Neue Ansichten. Neue Einsichten. Neue Gefühle. Neue Momente. Das macht das Leben wieder richtig spannend.“
Erzählt von Heike M.