„Mode kann ganz schön einschüchtern“: der Rabanne-Designer Julien Dossena im Interview
Wenige Tage vor den Pariser Sommerferien. Julien Dossena (41), Chefdesigner bei Rabanne, ist nervös: Der Franzose arbeitet am letzten Feinschliff für seine nächste Kollektion. Und verspätet sich etwas fürs Gespräch. Durch die Computerkamera sieht man im Anschnitt ein helles Atelier. Schemenhaft ein buntes Moodboard und Stoffrollen. Stimmengewirr ist im Hintergrund zu hören. Dann erscheint er im Bild. Mit schwarzem T-Shirt, zurückhaltendem Lächeln und einem warm klingenden „Salut“ als Begrüßung. Ganz parisien zündet er sich erstmal eine Zigarette an, schließt dann die Tür und ist bereit.
Elle: Googelt man Ihren Namen, findet man kaum Interviews. Warum?
Julien Dossena: Ich bin ein schüchterner Mensch. Und lieber im Hintergrund. Aber ich habe das Gefühl, es wird besser.
Paco Rabanne war da anders. Er inszenierte sich als exzentrischer Künstler …
J.D.: Ja, es gibt fantastische Bilder von ihm. Er posierte mit Models, sah seine Kleider aus Metall als Skulpturen. Sie zu verkaufen war nicht sein größter Wunsch. Es ging um die Performance. Den Auftritt. Das Gefühl.
Haben Sie ihn mal getroffen?
J.D.: Leider nicht. Er wohnte zwar im Alter in der Bretagne, wo ich ja aufgewachsen bin. Nur zog er hin und ich zog weg. Aber mir wurde gesagt, dass ihm meine Entwürfe gefielen. Mir war es nur wichtig, zu Beginn einen eigenen Zugang zur Maison aufbauen, ohne seinen Einfluss. Um selbst ein bisschen Avantgarde sein zu dürfen …
Ich will nicht zu sehr beeinflusst werden. Und selbst ein bisschen Avantgarde sein dürfen.
Julien Dossena
Wie ist es, beim Entwerfen diesen großen Namen im Hinterkopf zu haben?
J.D.: Der Anfang war schwierig. Rabannes Erbe ist enorm und sehr ikonisch. Ich wollte frischen Wind hereinbringen und habe deshalb erst mal drei Jahre nicht in die Archive geschaut. Bei Rabanne ging es immer um Innovation, Experimentieren, Zeitgeist. Diese Themen wollte ich aus mir selbst neu und modern definieren. Ganz allmählich habe ich mich ihm dann genähert. Heute mag ich sogar Metall …
Inzwischen kreieren Sie über elf Jahre für das Haus. Das ist in der heutigen Zeit mit vielen Designer-Wechseln surreal lang …
J.D.: Ich bin hier erwachsen geworden, habe mich entwickelt. In meinem eigenen Tempo. Als ich startete, war ich unter 30. Und sehr detailversessen. Ich konnte nächtelang über den Schnitt einer Shorts nachdenken (lacht). Heute sehe ich mehr das große Ganze, bin entspannter, aber fokussiert. Wenn etwas mal nicht so läuft, versuche ich es gelassener zu nehmen.
Wollten Sie immer Designer werden?
J.D.: Das kam erst recht spät. Ich bin auf dem Land aufgewachsen. In einem kleinen Fischerdorf. Die Menschen wissen hier, was eine gute Jacke ausmacht. Aber weniger in stilistischer Hinsicht. Mode wird eher praktisch betrachtet. Und weil es in der Bretagne viel regnet, habe ich viel gezeichnet. Stundenlang. Meine Mutter war froh, ich war beschäftigt. Mein Lieblings-Motiv war Strandgut. Ich wollte Meeresbiologe werden. Bis ich dann als Teenager begann, abends auszugehen.
Als Designer*in darf man sich nicht zu sehr von Trends leiten lassen.
Julien Dossena
Was hat das verändert?
J.D.: In meiner Heimat gibt es wenige Clubs. Man hat nicht viel Auswahl. Also ging ich in einen für Rave und Techno. Dort erlebte ich, welchen Einfluss Mode auf das Leben haben kann. Wie sie dich formt und unterstützt. Wie du dank ihr Teil einer Gruppe wirst. Ich entdeckte Magazine wie „ID“ oder „The Face“. Und wollte die ganzen Outfits daraus haben. Einen Overall von Carhartt zum Beispiel. Fragen Sie mich bitte nicht, warum (lacht). Ich habe dann aber erst mal Kunstgeschichte studiert. Und das nie bereut.
Sie wechselten später zur Modeschule nach Brüssel. Wie war diese Zeit?
J.D.: Es waren die frühen 2000er-Jahre, und die Mode wurde größer und internationaler. Neue Labels kamen, Designer*innen wie Nicolas Ghesquière. Es war gut, erst mal ein Teil der intellektuellen, abgeschnittenen Blase in Belgien zu sein. Und nicht in Paris. Ich wollte nicht beeinflusst werden, während ich meinen Stil entwickelte.
Heute, rund 20 Jahre später, ist die Mode noch größer geworden. Auf vielen Kanälen gleichzeitig. Prägt Sie das?
J.D.: Ja und nein. Privat poste ich wenig auf Instagram und bin recht still. Die Stimmung ist schon laut genug. In den sozialen Medien hat jeder und jede was zu sagen. Als ich begann, bestand die Branche aus Insidern. Heute ähneln Laufsteg-Präsentationen fast Konzerten mit ihren vielen Zuschauern. Auch auf dem Screen per Livestream. Das ist schön, weil Mode so demokratischer wird und alle erreicht. Es kann aber auch einschüchtern. Man braucht heute ein starkes Rückgrat, um
in der Branche zu arbeiten. Man darf sich nicht zu sehr von Trends mitziehen lassen, muss Abstand halten, sich treu bleiben. Und trotzdem präsent. Denn Designer*innen, die zu leise sind, können schnell untergehen. Man sieht sie und ihr Können in der Bilderflut nicht. Das war früher anders. Da machte der Underground die Mode von morgen. Und trotzdem: Ich würde nie in einem anderen Metier kreativ sein wollen. Diese Divergenz ist so spannend!
Ich bin eher ein stiller Mensch. Die Stimmung ist oft schon laut genug.
Julien Dossena
Das sieht man. Ihre Herbst-Kollektion ist sehr eklektisch, ein Mix aus tragbar und Couture. Wie kam es dazu?
J.D.: Mein letztes Jahr war sehr ereignisreich. Rabanne hatte die Kollaboration mit H&M. Und ich entwarf eine Gast-Couture-Kollektion für Jean Paul Gaultier. Es waren gegensätzliche Arbeiten, high and low. Mit dieser Kollektion wollte ich beides vereinen und zu der Frau zurückkommen, die mich fasziniert: Sie mixt alles mühelos und selbstverständlich. Vintage und neu. Androgyn und sexy. Große Blazer zu Miniröcken. Ich wollte moderne Weiblichkeit.
Rabanne steht neben Mode auch für Düfte. Im Herbst erscheint „Million Gold For Her“. Welche Rolle spielt ein Parfum?
J.D.: Ein Duft macht einen Look persönlicher und verändert seinen Charakter. Er weckt Erinnerungen, verschmilzt mit unserer Haut und riecht an jedem Menschen anders. Man sagt, wenn man stirbt, rausche das Leben in prägenden Momenten vorbei. Ich glaube, Düfte sind essenziell dabei.
Apropos Leben: Von welchem Modestück könnten Sie sich nie trennen?
J.D.: Als ich in Belgien studierte, sah ich einen Strickpullover von Yohji Yamamoto in einem Magazin. Er hatte überlange Ärmel und war unbezahlbar. Meine Großmutter hat ihn mir nachgestrickt. Die Wolle kauften wir zusammen. Ich trage ihn heute nicht mehr, würde ihn aber nie weggeben. Er erinnert mich an sie. Und an mich – zu Beginn meiner Modezeit.