Eine neue Dokumentation über die Antwerp Six ist in Arbeit. Das ist über das Filmprojekt bekannt
Wer in der Mode einen Job in einem der begehrten (und derzeit laufend neu zu besetzenden) Stühle für Kreativdirektor*innen ergattern will, studiert dafür bestenfalls an einer der wenigen Fachuniversitäten mit internationalem Renommee. Neben prestigeträchtigen Schulen wie der New Yorker Parsons School of Design oder dem Royal College of Art in London zählt auch die Königliche Akademie der Schönen Künste von Antwerpen zu den angesehenen Studienorten. Die belgische Universität blickt auf eine beachtliche Riege namhafter Absolvent*innen, unter denen eine Gruppierung insbesondere Modegeschichte schrieb: die „Antwerp Six“, die ihre Branche mit ungewöhnlichen Perspektiven und innovativen Designs in den 1980ern ordentlich aufmischte. Nun soll der Gruppe eine eigene Dokumentation gewidmet werden. Was bisher bekannt ist und was das Kollektiv so besonders machte, erfahren Sie nachfolgend.
Wer sind die „Antwerp Six“?
Die Gruppierung, die später als „Antwerp Six“ in die Modegeschichte einging, war streng genommen einige Zeit eine Gruppe von sieben. 1976 nahm der Belgier Walter Van Beirendonck sein Modestudium an der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Antwerpen auf. In seinem ersten Studienjahr lernte er einen Kommilitonen kennen, der heute nicht näher erklärt werden muss: Martin Margiela. Die beiden jungen Männer wurden durch ihre geteilte Leidenschaft für ihr Metier und ihre Ambitionen, internationale Bekanntheit zu erlangen, schnell Freunde. Ein Jahr später lernten die zwei die neuen Student*innen des Fachbereichs Mode, Dries Van Noten, Ann Demeulemeester, Dirk Van Saene, Marina Yee und Dirk Bikkembergs, kennen und schlossen sich zu einer Gruppe zusammen. Ihnen gemein war ihr enormer Ehrgeiz, die Besten in ihrem Fach zu werden und sich durch harte Arbeit und innovative Ansätze einen Namen in der internationalen Modeszene zu erkämpfen.
Wie Marina Yee später erklärt, befanden sie sich gewiss, ihren Ambitionen entsprechend, in einem Konkurrenzkampf miteinander – der jedoch immer freundschaftlich blieb und die Kreativität innerhalb der Gruppe im Positiven anregte: „Die Gegensätze unter den Antwerp Six führten zu Spannungen, aber wir stärkten uns auch gegenseitig, weil diese Spannungen neue Impulse gaben. Jeder wollte zeigen, wozu er oder sie fähig ist. Das ist auch ein Teil des Geheimnisses der Six: Durch all die Spannungen und gegenseitigen Bereicherungen haben wir das Beste aus uns herausgeholt.“
Das ist auch ein Teil des Geheimnisses der Six: Durch all die Spannungen und gegenseitigen Bereicherungen haben wir das Beste aus uns herausgeholt.
Marina Yee
Was machte die Mode der „Antwerp Six“ so besonders?
Um die Bedeutung der Gruppe zu verstehen, hilft ein Blick auf den zeitlichen Kontext ihrer Entstehung: In den 60er- und 70er-Jahren, und somit den Jahren vor und zur Zeit des Modedesignstudiums von Walter Van Beirendonck und Co., war Antwerpen eine Stadt im Wandel. Gerade erst hatte sich eine avantgardistische Szene entwickelt, die sich bis dato aber vorrangig auf Kunst und Musik beschränkte. Die lokale Mode hingegen beugte sich den gängigen Konventionen und orientiere sich an europäischen Vorbildern. Eine eigene Design-DNA der Antwerpener Szene fehlte jedoch bislang.
Dies änderte sich mit dem Auftreten der Gruppe um Walter Van Beirendonck: Die ambitionierten Student*innen hinterfragten die Lehre ihrer Dozentin Mary Prijot und deren bourgeoisen Standards. Inspiration lieferte ihnen stattdessen die radikale Ästhetik von Modeschaffenden aus Paris und Tokio, wie Thierry Mugler, Jean Paul Gaultier, Claude Montana und Yohji Yamamoto und Rei Kawakubo. Als Einheit besonders waren die Antwerp Six auch durch ihre unterschiedlichen Inspirationsquellen, die sie zu ihren Designs anregten. Marina Yee etwa galt als die Bohemienne der Gruppe, während Ann Demeulemeester aus Poesie und Musik ihre Inspiration zog und sie in innovative Silhouetten übersetzte. Walter Van Beirendonck kreierte seine modische Vision der Zukunft, während Martin Margiela den Blick auf vergangene Mode als Basis seiner Kreationen warf. Dries Van Noten schwänzte angeblich einige Uni-Kurse, weil der ambitionierte Designer schon während des Studiums für mehrere Modehäuser parallel im Einsatz war. Dirk Van Saene war ein Rundum-Künstler, der die Tradition seiner künstlerischen Familie fortführte und neben Mode auch Bildende Kunst und Skulpturen entwarf. Und Dirk Bikkenbergs legte seinen Fokus auf das Design von Schuhen, die er während seiner Studienjahre kontinuierlich weiterentwickelte. Auch der Punk aus London und New York und Subkulturen, die sich gegen das Establishment auflehnten, flossen als Quelle der Inspiration in ihre Entwürfe ein.
Im Kollektiv brachte die Gruppe eine neue Vision in die Mode aus Antwerpen – und schließlich auch in die Welt: 1986 beschloss die Gruppe ohne Martin Margiela (der zu dieser Zeit bereits als Assistent für Jean Paul Gaultier arbeitete), ihre Kollektion gemeinsam in London zu präsentieren und so das Prädikat „Design made in Belgium“ international zu bewerben. Deshalb wird Margiela nicht als Teil der „Antwerp Six“ betrachtet – der Name stammt übrigens von Flyern, mit denen die Gruppe für ihre Modenschau bei der „British Designer Show“ warb: „Come up and see the Antwerp Six!“.
Vor ihrer gemeinsamen Exkursion nach London (die Ann Demeulemeester aus der Ferne feierte, da sie ihr erstes Kind gebar) hatten sie bereits alle ihre eigenen Labels lanciert und sich mithilfe neuer Förderungsprojekte der belgischen Regierung für aufstrebende Modedesigner*innen einen Namen gemacht. Dennoch wurde die belgische Mode im internationalen Kontext bis dahin nicht immer als ernsthafte Konkurrenz betrachtet.
Was dann folgte, ist längst Geschichte. Trotz ihrer so unterschiedlichen Visionen blieben die sechs eng miteinander verbunden und zeigten der Modewelt, dass Antwerpen dank innovativer und mutiger Protagonist*innen seinen Platz in der Branche verdient hat. Mit ihrem avantgardistischen Ansatz und Drive gelang es der Gruppe um Walter Van Beirendonck, Modegeschichte zu schreiben. Und bis heute Nachwuchsdesigner*innen aus Belgien und anderen Ländern eine große Inspirationsquelle zu liefern.
Die „Antwerp Six“ als Filmprojekt: Das ist bisher bekannt
Wie das Branchenmagazin „Trussarchive“ nun bekannt gab, soll eine neue Dokumentation die Geschichte der „Antwerp Six“ erzählen. Nach aktuellem Stand soll sie 2026 zu sehen sein, mit exklusiven Interviews der sechs Designer*innen des Kollektivs aus Antwerpen. Ob sich auch das „plus Eins“, Martin Margiela, an dem Filmprojekt beteiligen wird, ist hingegen ungewiss: Der Designer gilt als äußerst öffentlichkeitsscheu, zumal er für die Doku „Martin Margiela – Mythos der Mode“ aus dem Jahr 2019 erst umfangreiche Erzählungen seiner Karriere lieferte. Trussarchive-Quellen zufolge befindet sich die Doku derzeit in der Vorproduktionsphase. Neben den Protagonist*innen Dries Van Noten, Walter Van Beirendonck, Marina Yee, Anne Demeulemeester, Dirk Bikkembergs sowie Dirk Van Saene sollen auch ehemalige Weggefährt*innen der „Antwerp Six“ zu Wort kommen. Das filmische Modejahr 2026 hält also bereits jetzt ein Highlight parat, auf das wir uns freuen dürfen.