Wie „Over-Parenting“ der kindlichen Entwicklung schadet

Erziehung
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Von Helikopter-Eltern hat sicher jeder schon mal gehört. Die Entwicklungspsychologin Amanda Gummer meint etwas Ähnliches – bezeichnet es jedoch als „Over-Parenting“, also auf Deutsch etwa: Über-Erziehung oder Über-Behütung. Gummer glaubt, dass viele Eltern ihre Kinder beschützen wollen, es jedoch auf eine Art und Weise tun, die die Kinder in ihrer Entwicklung einschränken kann. Durch ihre beschützende Art würden Eltern so verhindern, dass ihre Kinder sich zu kompetenten Erwachsenen entwickeln können.

Doch Gummer will nicht nur kritisieren, sondern vor allem Möglichkeiten aufzeigen, es besser zu machen. Sie erklärt, was Kinder wirklich brauchen, um wichtige Lebenskompetenzen zu entwickeln.

„Verhätscheln Kinder viel zu sehr“

 

„Wir verhätscheln Kinder heute viel zu sehr und schaden ihnen damit“, sagte die Psychologin kürzlich in einem Interview mit dem britischen Radiosender „Radio 5“.

Wer Kinder hat, kennt Sätze wie diesen sicher schon auswendig. Und bestimmt haben die meisten Mütter und Väter sich schon einmal gefragt: Stimmt es vielleicht? Verwöhnen wir unsere Kinder zu sehr?

Was Amanda Gummer damit nicht meint, ist, dass wir unseren Kindern zu liebevoll oder zu bedürfnisorientiert begegnen. Nein, mit zu viel Liebe kann man ein Kind nicht verwöhnen. 

Überbehütung macht Kinder schwach 

Wenn Gummer von „Over-Parenting“ spricht, meint sie damit, dass viele Eltern ihre Kinder heute auf eine Weise zu beschützen versuchen, die es den Kindern erschwert, ihr Leben im Erwachsenenalter zu bewältigen.

Der überfürsorgliche Erziehungsstil führe dazu, dass Kinder immer weniger in der Lage seien, selbst Entscheidungen zu treffen. Dies sei „eines der größten Probleme in der psychischen Krise, die wir heute bei Teenagern sehen“.

Unbeobachtet und frei

Das, was Kindern laut der Entwicklungspsychologin heute am meisten fehlt, ist Zeit, um draußen mit anderen Kindern und ohne direkte Aufsicht von Erwachsenen zu spielen.

Bekommen Kinder diese Möglichkeit nicht, können sie der Expertin zufolge wichtige Schlüsselkompetenzen nicht erwerben. Dazu gehören Risikoeinschätzung, Entscheidungsfindung, Konfliktlösung (Sozialisierung) und Freundschaften.

Warum ist es so wichtig, dass Kinder unbeobachtet spielen? Weil sie dann gezwungen sind, selbst Kompetenzen zu entwickeln, die sie im Beisein von Erwachsenen nicht zwingend brauchen:

„Sobald es einen kleinen Konflikt gibt, schauen die Kinder sich nach einem Erwachsenen um, der das Problem löst“, sagt Gummer. „Sobald Kinder alleine spielen, haben sie die Möglichkeit, diese Konflikte selbst zu lösen und dabei Kompetenzen wie Empathie und Führungsqualitäten zu entwickeln.“

Mentale Gesundheit kann leiden

Dass Kinder Schlüsselkompetenzen wie Risikoeinschätzung, Entscheidungsfindung und Konfliktlösung lernen, sei essentiell, denn fehlten diese lebenswichtigen Kompetenzen, würde es die Kinder entmachten und ihnen das Gefühl geben, keine Kontrolle über ihr eigenes Leben zu haben. Langfristig würde es ihnen die Entscheidungsfreiheit nehmen, auch im Erwachsenenalter. Das habe einen negativen Einfluss auf ihre mentale Gesundheit.

Gummer fordert die britischen Behörden daher auf, Kindern ab etwa sechs Jahren Zugang zu lokalen Spielbereichen zu ermöglichen, in denen sie unbeaufsichtigt mit ihren Freunden zusammen sein und diese unterschiedlichen Fähigkeiten spielerisch entwickeln können.

Warum Kinder heute weniger frei sind

Die Psychologin hat auch eine Antwort auf die Frage, warum Kinder heute mit weniger Freiheiten aufwachsen als frühere Generationen und ihre Eltern sie häufig „überbehüten“:

„In den 80er und 90er Jahren gab es einige Entführungsfälle, die großes Aufsehen erregten, und Eltern haben zu Recht große Angst, dass ihren Kindern etwas Schlimmes passieren könnte“, sagt Gummer.

Sie ist nicht die erste Expertin, die zu bedenken gibt, dass Eltern heute durch die Medien viel mehr Informationen über schreckliche Dinge bekommen, die Kindern passieren können, als es früher der Fall war. Das liegt auch daran, dass über Fälle aus aller Welt berichtet wird und so der Eindruck entsteht, die Welt sei viel gefährlicher geworden.

Zu einer glücklichen Kindheit gehören auch blaue Flecken

Diese Angst hält Gummer jedoch für weitgehend unbegründet. Viele Eltern seien zu sehr auf die „Gefahr durch Fremde“ fixiert. Die Realität sei jedoch, dass Unfälle zu Hause viel wahrscheinlicher seien als eine Entführung.

Blaue Flecken und aufgeschürfte Knie gehören aus Sicht der Psychologin zu einer gesunden Kindheit dazu. Nur durch Erfahrungen könnten Kinder Gefahren verstehen und Risiken richtig einschätzen lernen.

Ihr Appell an alle Eltern:

„Lassen Sie Kinder diese Fehler machen, wenn die Konsequenzen klein sind. Wenn sie dann älter sind und die Konsequenzen größer, werden sie wissen, wie sie damit umgehen können.“

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