Der Pandora-Effekt: Warum wollen wir etwas aus Neugier tun, obwohl es schaden kann?

Ende des 19. Jahrhunderts malte der britische Maler John William Waterhouse die Öffnung der verbotenen Büchse durch Pandora.

Ende des 19. Jahrhunderts malte der britische Maler John William Waterhouse die Öffnung der verbotenen Büchse durch Pandora.

John William Waterhouse,

Der Neugier liegt das Bedürfnis zu Grunde, das Ungewisse zu beseitigen – selbst wenn man bei der Wissensbeschaffung zu Schaden kommt. Dieses Phänomen, der Neugier dennoch zu folgen, nennt man den Pandora-Effekt.

Pandora-Effekt: Warum können wir dem Drang, Verbotenes zu tun, nicht widerstehen?

Grenzen ausloten, Grenzen überschreiten, den Reiz des Verbotenen auskosten – das kennen wir alle. Auf jeden von uns übt das, was nicht erlaubt ist, einen Reiz aus.

Neugierde liegt uns Menschen allen inne – der einen mehr, dem anderen weniger. Und Neugierde ist grundsätzlich keine schlechte Sache, auch wenn sie ein mieses Image hat. Denn nur Neugierde bringt uns dazu, Neues herauszufinden, uns weiterzuentwickeln und uns Wissen anzueignen. Doch diese Neugierde hat nicht immer positive Auswirkungen (daher womöglich auch das schlechte Image), denn die Neugierde kann auch dazu führen, dass wir Grenzen überschreiten, die wir nicht überschreiten sollten, und zum Stillen dieser Neugier Dinge tun, die wir nicht tun sollten, weil sie beispielsweise verboten sind. Den Drang, genau das zu tun, also seine Neugier befriedigen zu wollen und dafür einen Schaden in Kauf zu nehmen, nennt man den Pandora-Effekt.

Der Name Pandora stammt aus der griechischen Mythologie. Dort gibt es eine Geschichte, in der Zeus besagter Pandora eine Büchse (eigentlich ist es ein Krug) überreichte und sie anwies, diese auf keinen Fall zu öffnen, weil darin alle Übel der Welt sowie die Hoffnung enthalten sind. Pandora aber öffnet sie, sodass alle Laster und Untugenden entweichen können und von da an das Schlechte die Welt überflutet. Bis heute gehört die Redewendung „Die Büchse der Pandora öffnen“ zu unser aller Sprachgebrauch und gilt als Inbegriff für den Umstand, ein Unheil herbeigeführt zu haben, das sich nicht mehr rückgängig machen lässt.

Pandora-Effekt: Lieber Schaden in Kauf nehmen, als Unsicherheit zu ertragen

Es gibt Studien, von denen unter anderem im wissenschaftlichen Fachjournal Psychological Science berichtet wurde, nachdem in verschiedenen Experimenten aufgezeigt wurde, dass Menschen sich durchaus aversiven (Ablehnung hervorrufenden) Reizen aussetzen, ohne daraus einen konkreten Nutzen zu ziehen – außer der Befriedigung ihrer Neugier. Das Bedürfnis, die Unwissenheit zu beseitigen, ist größer als die Angst vor negativen Konsequenzen. So wurden Probanden beispielsweise Kugelschreiber ausgehändigt, von denen man manchmal einen elektrischen Schlag bekam. Der Drang herauszufinden, ob man wirklich einen Schlag bekam, war größer als der, mit der Unwissenheit zu leben, ob das wirklich passieren wird.

Diese Darstellung der Pandora gehört zum Bestand des Museo Nacional de Bellas Artes de Buenos Aires.

Diese Darstellung der Pandora gehört zum Bestand des Museo Nacional de Bellas Artes de Buenos Aires.

Getty Images, Heritage Images

Pandora-Effekt: Wo kommt der her?

Die Psychologie geht bereits seit langem der Frage nach, wie der Pandora-Effekt entstanden ist, konnte bisher aber noch keine klare Antwort darauf finden. Die Beseitigung von Unwissenheit scheint schlichtweg im Menschen angelegt zu sein – und dafür nehmen wir auch unangenehme Konsequenzen und Risiken in Kauf. Erwiesen ist jedoch, dass der Pandora-Effekt von anderen Ursachen ausgelöst und begünstigt werden kann. Dazu gehören:

  • Informationsmangel: Je schlechter der Informationsstand, desto schlechter auch die Einschätzung möglicher Gefahren, sprich: Je weniger wir über mögliche negative Konsequenzen wissen, desto eher neigen wir dazu, sie in Kauf zu nehmen, sodass der Pandora-Effekt einsetzt.

  • Gruppenzwang: Wenn Druck innerhalb des Umfelds entsteht, nehmen wir Risiken eher in Kauf. Weil wir dann weniger auf unser eigenes Gefühl zu ein er Sache hören, sondern dem Druck von außen nachgeben. Vor allem Jugendliche dürften das kennen. Stichwort: Mutprobe.

  • Manipulation: Auch der Gruppenzwang ist eine gezielte Manipulation, aber es gibt durchaus auch Formen der Manipulation, die ohne eine von außen einwirkende Gruppe auskommen. Clickbaiting zum Beispiel, bei dem man als Medienkonsument dahingehend manipuliert wird, sich zur Befriedigung der Neugier etwas anzusehen, das möglicherweise negative Konsequenzen hat (beispielsweise das Wissen um einen Mörder in der Nachbarschaft).

Die Auswirkungen des Pandora-Effekts begleiten uns mehr oder weniger tagtäglich. Nehmen wir nur das Beispiel Atombombe, das aufgrund von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit einhergehenden Drohungen eines Atomschlages immer wieder thematisiert wird: Auch diese Atombombe wurde eingeführt, obwohl die negativen Konsequenzen durchaus ersichtlich waren. Ein anderes Beispiel: Beziehungen. Auch die Neugier herauszufinden, wie eine Affäre aussähe, ist offenbar für viele größer als die Angst vor den möglichen Konsequenzen, wenn der Partner oder die Partnerin davon erfährt.

Wie kann man sich vor dem Pandora-Effekt schützen?

Die gute Nachricht ist: Allein das Wissen um den Pandora-Effekt hilft bereits und kann ihn verhindern. Konkret können Sie Folgendes tun:

  • Sammeln Sie möglichst viele Informationen: Wie so oft gilt auch hier: Wissen ist Macht. Das heißt: Je besser Sie über ein Thema informiert sind, desto besser können sie mögliche Risiken und negative Konsequenzen abschätzen. Und, logisch: Wenn Sie wissen, welchen Inhalt die Büchse der Pandora enthält, gibt es womöglich keinen Grund mehr, sie zu öffnen.

  • Lernen Sie aus Fehlern und der Vergangenheit: Eine der wichtigsten Life Lessons überhaupt lautet: Lerne aus Fehlern! Und das gilt selbstverständlich auch hier. Wenn Sie sich noch einmal in Erinnerung rufen, welche Folgen das Nachgeben des Pandora-Effekts beim letzten Mal hatte, zügeln Sie sich beim nächsten Mal vielleicht.

  • Fragen Sie Freunde nach ihrer Meinung: Dieser Tipp hat gleich zwei Vorteile: Zum einen verschafft er Ihnen Zeit, sodass Sie Ihrem Impuls des Öffnens der Büchse der Pandora nicht sofort nachgeben, zum anderen erhalten Sie eine Einschätzung aus einem anderen Blickwinkel. Beides steigert die Wahrscheinlichkeit, am Ende die bessere Entscheidungen zu treffen.

  • Lernen Sie, Unwissenheit auszuhalten: Ja, Wissen ist prinzipiell eine gute Sache, aber es ist eben auch nicht immer gesund, jedem Impuls nachzugehen, herauszufinden, was sich hinter der Büchse der Pandora verbirgt. Und man kann durchaus lernen, der eigenen Neugier besser und länger standzuhalten. Doch wie so oft, gilt auch hier: Das muss man üben. Fangen Sie am besten heute damit an. Dann kann die Büchse der Pandora beim nächsten Mal vielleicht geschlossen bleiben.