Pornokonsum: Das "erste erste Mal"

Ein Diplompädagoge erklärt, welche Auswirkungen Pornokonsum auf Jungen haben kann. Er sagt: „Jungs, die reichlich Pornos nutzen, werden keine Monster.“

Welche Auswirkungen hat Pornokonsum? (Symbolbild: Getty)
Welche Auswirkungen hat Pornokonsum? (Symbolbild: Getty)

Pornos sind längst aus der Schmuddelecke raus und in der Mitte der Gesellschaft angekommen. In Befragungen geben heute über die Hälfte der 13-Jährigen bereitwillig an, schon einmal einen Porno gesehen zu haben. Online dreht sich beinahe jede vierte Suchanfrage um Pornos und mit Onlyfans gibt es sogar eine Art soziales Netzwerk für pornografische Inhalte. Vor allem bei Jungen und jungen Männern nimmt seit Jahren Konsum und Verbreitung zu – viele stellen sich deshalb die Frage: Ändert sich dadurch ihr Bild von Frauen?

Befragungsstudie als Grundlage

Dieser und angrenzenden Fragen zum Pornokonsum von Jungen und jungen Männern geht schon lange Reinhard Winter nach. Der Diplompädagoge gilt als der „profilierteste Jungenexperte im deutschsprachigen Raum“, er leitet des Sozialwissenschaftliche Institut Tübingen und hat vor kurzem ein Buch veröffentlicht mit dem Titel: „Porno Sex und Männlichkeit – wie junge Männer ihre Sexualität schaffen“.

Grundlage dafür war eine empirische Studie. In deren ersten Teil haben Winter und sein Team 32 ausführliche Interviews mit Jungen und jungen Männern geführt, es handelte sich um Schüler, Auszubildende und Studenten. Der zweite Teil umfasste einen Onlinefragebogen, den 175 Jungen zwischen 18 und 25 Jahren ausgefüllt haben.

In der aktuellen Sendung Kulturzeit war Winter zu Gast und hat sich ausführlich zum Thema geäußert. Auf die Frage, ob die verbreitete Kritik an Pornos berechtigt sei, sagt er zunächst: „Wichtig ist: Jungs, die reichlich Pornos nutzen, werden keine Monster. Das ist sicher.“ Es gebe keinen Grund, den Konsum zu dramatisieren und vor Pornos zu warnen. Er sagt: „Es handelt sich um ein Breitenphänomen. Wer jeden Tag Pornos nutzt, wird nicht verdreht. Aber an den Rändern gibt es Probleme.“

Die heutigen jungen Männer nennt Winter „porn natives“, weil sie vor der ersten sexuellen Erfahrung schon längst mit Pornos in Berührung gekommen sind. Pornos seien das „erste erste Mal“ und Sex mit der Partnerin oder dem Partner das „zweite erste Mal“. Winter betont, dass Pornos normal seien und Teil der sexuellen Kultur Heranwachsender. Auch gebe es keine Anzeichen, dass sich unter Jugendlichen eine „Pornosucht“ breit mache. Zugleich sagt er, dass die Zeit, die Jungen mit Pornos verbringen, „erheblich“ sei. Diese Zeit könnte seiner Ansicht nach an anderer Stelle fehlen, etwa für die Kontaktaufnahme zu einem Partner oder einer Partnerin.

Ohne Porno war es auch kein Paradies

Dennoch erfüllen Pornos einen überaus wichtigen Zweck: „Pornos können entspannen. Jungen können dabei auch Grenzenlosigkeit oder etwas Berauschendes erfahren und Pornos entlasten Jungen vom Leistungsdruck“, sagt Winter. Frühere Generationen seien im Vergleich dazu unbehelligt und ohne Bildmaterial oder Information in die erste Sexualität gestolpert. „Auch das war kein Paradies, da gab es auch keine befreite glückliche Sexualität und Männer sind deshalb auch nicht ungehemmt in den ersten Kontakt gegangen“, erklärt der Pädagoge. Informationen durch Pornos zeigten deshalb eine gute Seite. „Problematisch aber ist, dass es in Pornos wiederkehrende Muster gibt und viele Pornos einfach unterirdisch schlecht sind. Da wird viel gezeigt, was mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat.“

Häufig zeigten Mainstreampornos etwa Gewalt und Demütigungen von Frauen. Wirkt sich das nicht auf Jungen aus? „Junge Männer schauen in der Regel keine Pornos, weil sie sexistisch sind oder sein wollen“, sagt Winter. Es ist eher umgekehrt: „Es ist das Bedienen eines Themas, das vorher schon da ist.“ Winter nennt da beispielsweise Unterlegenheitsgefühle der Jungen gegenüber Mädchen oder Frauen. Diese könnten in Pornos „ausagiert“ werden. Er betont deshalb: „Das Problem sind die Unterlegenheitsgefühle und nicht die Pornos.“ Es sei hingegen nicht so, dass Pornos Jungen beeinflussen. Teil des Bildes sei aber auch, dass die Pornosphäre sehr breit sei. Natürlich gebe es da absurde, schräge und gewaltförmige Dinge, die verboten gehören. Aber auch hier stelle sich wiederum die Frage, wieso Jungen solche hochproblematischen Themen suchten oder brauchten?

Zum Schluss gibt Winter Tipps zum Umgang mit Jungen und ihrem Pornokonsum. Bei Kindern müsse man sicherlich intervenieren. Bei Jugendlichen hingegen sollten sich Eltern oder Großeltern diskret zurückziehen und zu einem anderen Zeitpunkt ein offenes und ehrliches Gespräch über Sexualität suchen. Der Experte sagt: „Weil das ein ganz normales Thema ist. Wenn es sich peinlich anfühlt, hat ein Gespräch darüber an früherer Stelle vielleicht gefehlt.“

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