Prinz Harrys Memoiren: Die Wahrheit über „Reserve“

Prinz Harrys Memoiren: Die Wahrheit über „Reserve“
Prinz Harrys mit Spannung erwartete Memoiren tragen den Titel „Reserve“. (Ramona Rosales/ Penguin Random House)

Der Herzog von Sussex hat beschlossen, seinen Memoiren im englischen Original den Titel SPARE zu geben (was so viel wie Ersatz bedeutet; die deutsche Übersetzung wird den Titel „Reserve“ trage). Es ist ein Wort, das von der königlichen Familie und den britischen Medien seit seiner Geburt vor 38 Jahren häufig verwendet wurde, um Prinz Harry zu beschreiben. Umso ironischer ist es nun, dass genau diese beiden Gruppen sich am stärksten über den Titel des Buches aufregen.

Der Verlag Penguin Random House hat nun den Titel, das Cover und den 10. Januar als Erscheinungsdatum bekannt gegeben. „Royale Quellen“ (auch anonyme Palastmitarbeiter genannt), Medienexperten und Zeitungen verschwendeten keine Zeit, atemlose Empörung zu verbreiten. „Böswillig“, „grausam“, „wieder einmal das Opfer spielen“ und – was für eine Überraschung – „alles Meghans Werk“ waren nur einige der verärgerten Reaktionen.

Prinz Harry hatte bereits sehr früh die Entscheidung getroffen, sein Buch SPARE zu nennen und dies war keine große Überraschung. Das Wort, das den Prinzen wie ein Schatten verfolgt hat, ist eine treffende Wahl: Denn der „Ersatz“ (Spare) zu sein, war einer der prägendsten Aspekte seiner Existenz als Royal. Indem er die abfällige Bezeichnung als Titel benutzt, macht sich Harry den Begriff endlich zu eigen, nachdem er ein Leben lang so genannt wurde.

Für das Funktionieren der Familie bedeutete Harrys Position als Ersatzmann des Thronfolgers, dass er schon in jungen Jahren die obligatorische Rolle des royalen Unterstützers übernahm. Da er keine wirklich definierte Aufgabe hatte, brauchte die Firma vor allem eines von ihm: dass er seinen wichtigeren älteren Bruder, Prinz William, unterstützt. Es ist eine bizarre und etwas grausame Existenz – das Ergebnis eines Systems, das auf erblichen Privilegien beruht. Und in vielen Fällen ist es auch ein Fluch. Das Leben von Prinzessin Margaret als Ersatz der Queen war von Drogenmissbrauch und Alkoholismus geprägt und das Leben von Prinz Andrew ... nun, je weniger darüber gesagt wird, desto besser.

Prinz Harrys Memoiren: Die Wahrheit über „Reserve“
Prinz Harry und Meghan auf einem Foto in Australien im Jahr 2017, bevor sie als aktive Royals zurücktraten. (Getty Images)

Ein Ersatzmann erfüllt auch einen Zweck, der selten von einem Royal oder Palastbeamten zugegeben wird: Er ist der Sündenbock, der die Krone und ranghöhere Familienmitglieder schützt. Er ist ein Kollateralschaden, wenn Schuldzuweisungen oder Ablenkung nötig sind. Für diejenigen, die das royale Geschehen aufmerksam verfolgt haben, ist das zufällige Timing bestimmter Enthüllungen oder Geschichten über Harry bereits deutlich geworden. Es wird interessant sein zu sehen, wie Reserve – das auch dieses Thema nicht ausspart – diese Momente beschreibt.

Bislang hat der Verlag nur die kleinsten offiziellen Details über die 416 Seiten des Buches bekannt gegeben. Reserve wird als ein Titel beschrieben, der mit „unverstellter, unerschrockener Ehrlichkeit“ geschrieben wurde, ein Buch, das mit „Einsicht, Offenbarung, Selbstuntersuchung und hart errungener Weisheit“ gefüllt ist. Ich hätte nichts anderes von dem produktiven Ghostwriter JR Moehringer erwartet, der dafür bekannt ist, dass er seine Probanden dazu ermutigt, die dunkelsten Teile ihrer Geschichte zu beleuchten.

Prinz Harrys Memoiren: Die Wahrheit über „Reserve“
Harry erzählt darin auch, wie er mit der Trauer nach dem Verlust seiner Mutter umgegangen ist. (Foto von Jayne Fincher/Princess Diana Archive/Getty Images)

Für diejenigen, die bereits einen Blick auf das Manuskript des Buches werfen durften, sind Harrys Leben als Ersatzmann sowie die schwierige Entscheidung, sein Schicksal zu ändern und ein neues Leben an einem anderen Ort zu beginnen, wichtige Teile des Buches. Diese Memoiren, die mit der für den Prinzen typischen Frechheit gefüllt sind, erzählen auch eine erstaunlich nachvollziehbare Lebensgeschichte. Sicher, die opulente royale Kulisse liegt weit jenseits der Welt, die jeder von uns jemals kennen wird, aber die Themen, die in Reserve angesprochen werden, dürften bei Lesern aus allen Schichten Anklang finden.

Der Umgang mit Trauer und dem tragischen Verlust eines Elternteils, der Kampf, sich selbst zu akzeptieren, die Rivalität unter Geschwistern und das Verlieben in eine Person, die von der Familie nicht akzeptiert wird – all das ist Teil der sehr menschlichen Geschichte des Herzogs.

Auch wenn es in der Berichterstattung zu kurz kommt, sind die längsten Abschnitte von Reserve anderen Schlüsselelementen im Leben des Herzogs gewidmet. Der Leser erfährt bewegende Anekdoten von der Front in Afghanistan und seiner Zeit beim Militär sowie ehrliche Einblicke in Harrys Suche nach einem Sinn und warum er sich für einen lebenslangen Dienst entschied. Ein Sprecher des Verlages, das einen Monat nach dem Start der Netflix-Doku-Serie der Sussexes erscheinen soll, fügt hinzu, dass die intimen Memoiren auch von der „Freude erzählen, die er als Ehemann und Vater gefunden hat“.

Prinz Harrys Memoiren: Die Wahrheit über „Reserve“
Harry wird im Buch auch auf seine Zeit in Afghanistan eingehen. (Getty)

Trotz all der Berichte in der Boulevardpresse, dass Harry seine Familie angeblich „in den Dreck zieht“ (Spoiler-Alarm: das tut er nicht), bietet das Buch einen sympathischeren Blick auf die Realitäten ihrer fast unmöglichen Existenz. Außerdem wurde das Buch nach dem Tod der Queen nicht in letzter Minute umgeschrieben oder überarbeitet. Das Manuskript von Reserve wurde fast fünf Monate vor dem Tod der Monarchin fertiggestellt, ein Detail, das in einer Notiz am Anfang des Buches erwähnt wird.

Ganz gleich, wie vorsichtig Harry mit den Teilen seiner Geschichte umgeht, die andere betreffen, es besteht immer noch die Gefahr, dass es einen ernsthaften Rückschlag der Institution und der Familie geben wird. Palastmitarbeiter berichteten mir kürzlich von der „echten Angst“ hochrangiger Familienmitglieder, dass dieses Buch dem Ruf und den Beziehungen unwiderruflichen Schaden zufügen wird. Aber für Harry scheint die höhere Absicht von Reserve dieses Risiko wert zu sein. „Ich hoffe, dass ich durch das Erzählen meiner Geschichte – die Höhen und Tiefen, die Fehler und die Lektionen, die ich gelernt habe – dazu beitragen kann, zu zeigen, dass wir, egal woher wir kommen, mehr gemeinsam haben, als wir denken“, sagte er.

Hunderte von Journalisten, darunter auch ich, haben im Laufe der Jahre Versionen und Fragmente der Geschichte des Herzogs geschrieben. Es ist eine Geschichte, die er als arbeitendes Mitglied der königlichen Familie lange Zeit nicht selbst erzählen konnte. Jetzt, da er sich ein unabhängiges Leben außerhalb der Grenzen der royalen Institution geschaffen hat, hat Harry endlich die Chance, die oft ungenaue Berichterstattung richtig zu stellen. Die freie Meinungsäußerung. Und egal, was man von dem Mann hält, es ist schwer, ihm nicht zuzustimmen, dass er das Recht dazu haben sollte.

Prinz Harrys Memoiren: Die Wahrheit über „Reserve“
Prinz Harrys Buch erscheint am 10. Januar 2023. (Random House)

Omid Scobie