Die stille Kraft der Künstlerin Danielle Mckinney
Mit ihren Bildern von Frauen, die schlafen oder innehalten, legt Danielle Mckinney eine Karriere in atemlosem Tempo vor. Wir haben sie in ihrem Atelier in Jersey City besucht, inmitten der Vorbereitungen auf eine neue Ausstellung in Berlin
Ist Danielle Mckinney dabei, selbst zu der Frau zu werden, die sie in ihren Bildern erschafft? Als die Malerin nach einem langen Tag im Atelier kürzlich zuhause in der Badewanne lag – ein Bein auf dem Wannenrand abgelegt, die Augen halb geschlossen, den müden Kopf von heißem Wasserdampf umhüllt, konnte sie nicht anders als sich selbst in einem ihrer Bilder zu sehen.
Die 42-Jährige hat in der Kunstwelt in den vergangenen drei Jahren mit kleinformatigen Gemälden für große Aufruhr gesorgt. Ihre Werke strahlen eine ansteckende Ruhe aus. Mckinney malt Frauen, die lang ausgestreckt auf einem Sofa fläzen, den Kopf auf die verschränkten Armen abgelegt; sie schlafen zwischen zerknautschter Bettwäsche oder sitzen halbnackt auf dem Teppichboden und schauen gedankenverloren dem Rauch der Zigarette hinterher, der sich durch das dunkle Interieur des Bildes kräuselt. Sie sind mit sich allein, vertieft in ein Buch, in eine Beobachtung, einen Gedanken, einen Traum. Und sie alle sind schwarz, so wie Mckinney selbst.
„Hi, Ladies“, begrüßt sie die Frauen auf ihren Bildern, als wir an einem heißen Julitag ihr Atelier in Jersey City besuchen. Der Raum ist schmal, lang und für ein Malatelier ungewöhnlich leer und sauber. Durch Fabrikfenster fällt sanftes Licht auf fünf fertige oder beinahe vollendete Gemälde, die sie für ihre Ausstellung „Haven“ in der Berliner Galerie Max Hetzler angefertigt hat, und die sie so liebevoll wie kritisch inspiziert. „Unterbewusst stecke ich meine Erschöpfung in diese Bilder“, sagt sie mit einer Stimme, deren Melodie daran erinnert, dass sie in Alabama aufgewachsen ist. „Meine Ladies ruhen sich für mich aus“, lacht sie und entblößt dabei eine Jane-Birkin-Zahnlücke.
Bis vor Kurzem war Danielle McKinney Fotografin. Sie fotografierte Menschen auf der Straße. Hielt die Reaktion Fremder fest, wenn sie von ihr in der U-Bahn berührt wurden oder beobachtete, wie New Yorker*innen auf eine junge Koreanerin reagierten, die ihr Gesicht anmalt, bis es komplett schwarz ist – eine Arbeit, die auf der Website der Parsons School of Design zu sehen ist, wo McKinney 2013 ihren Master machte.
In einer Mischung aus Fotografie und Performancekunst setzte sie sich mit Rasse, Geschlecht und Gesellschaft auseinander – Themen, die sie in den Galerien und in der Lehre nicht oder zu wenig repräsentiert sah. „Ich erinnere mich, wie ich in der Kunstakademie in einem abgedunkelten Raum saß und Dia-Slides anschaute: Nirgendwo gab es da eine schwarze Frau. Auch in den Galerien sah ich keine Kunst, die eine Geschichte erzählte, mit der ich mich identifizieren konnte.“ Nach ihrem Abschluss nahm sie einen Job in der Architekturabteilung der Akademie an und fotografierte in ihrer Freizeit. Von ihrer Kunst konnte sie nicht leben.
In Galerien sah ich keine Kunst, die eine Geschichte erzählte, mit der ich mich identifizieren konnte.
Danielle Mckinney
Als Covid-19 im März 2020 New York stilllegte, fühlte sich nichts mehr richtig an. Ihre Fotografie hatte draußen und im Kontakt mit Menschen stattgefunden, jetzt saß Mckinney zu Hause fest. Sie begann zu malen, so wie sie es seit ihrer Kindheit hin und wieder tat. Ihr Mann, der niederländische Maler Robert Roest, ermutigte sie, das ernsthaft zu betreiben und ihren sporadischen Stil nicht als fehlerhaft zu sehen, sondern ihn sich zu eigen zu machen.
Henri Matisse, dessen Kunst wie eine Hommage immer wieder in Mckinneys Werk auftaucht, war eine motivierende Stimme: „Matisse ging es nicht darum, eine Figur perfekt zu malen, sondern darum, was für ein Gefühl die Figur vermittelt. Dafür liebe ich ihn.“ Sie legte ein Instagram-Profil für ihre Malerei an und begann, Galerien per Direktnachricht anzuschreiben. „Ich hatte ja nichts zu verlieren!“, erinnert sie sich. „Auf Instagram kannst du erkennen, ob deine Nachricht gelesen wurde. Wenn da nichts zurückkommt, ist das ein niederschmetterndes Gefühl“. Aber irgendwann meldete sich doch jemand. Davida Nemeroff von der Galerie Night aus Los Angeles und die New Yorker Galeristin Marianne Boesky. Danach ging alles sehr, sehr schnell. Seit ihrer ersten Soloshow im Frühjahr 2021 folgt eine Ausstellung auf die andere. Renommierte Museen akquirierten Werke für ihre Sammlungen, auch Beyoncé besitzt einen Mckinney.
Für die Künstlerin, die Mutter einer zweijährigen Tochter ist, bedeutet der Erfolg, dass sie im Gegensatz zu ihren Ladies kaum mehr zum Sitzen oder Liegen kommt. Ihr Atelier bietet außer einem flachen Perserteppich keine Gelegenheit für ein Nickerchen. Kein einziges Polster, null Komfort.
„Aber ich tanke neue Energie beim Malen“, versichert sie, während sie ihren langen Körper auf einem winzigen, dreibeinigen Hocker absetzt, den sie ihren „thinking chair“ nennt. „Wenn ein Bild funktioniert, dann ist das wie ein direkter Dopaminstoß. Sex und Drogen sind mit dieser Art High nicht zu vergleichen.“ Sie baut ihre Bilder auf einer schwarzgrundierten Leinwand auf. Beginnt mit der Figur, die eine Collage aus Körpern, Gesichter und Gesten ist, die sie in Magazinen aus den 70er-Jahren und auf Pinterest findet. Um die Frau herum entsteht der Raum, den sie mit Möbeln, Lampen, Blumenbouquets und Kunstwerken von beispielsweise Picasso, Matisse oder O’Keefe einrichtet.
Ihre Frauen haben die Körperhaltung von Menschen, die sich in ihrer Haut wohlfühlen. Die Gesichtszüge sind entspannt, die Stoffe der Kleidung wirken kostbar, Fuß- und Fingernägel setzten knallrote Mini-Signale. Sie sind allein, wirken aber nicht einsam. Es sind Diven, die kein Publikum brauchen. Es geht Mckinney bei ihren Bildern nicht darum, eine bestimmte Person festzuhalten, sondern vielmehr einen Moment, ein Gefühl. Dabei ist sie perfektionistisch. „Wenn die Synergie nicht stimmt, ist das Bild verloren.“
Bis auf wenige Ausnahmen nehmen ihre Figuren keinen Blickkontakt mit der betrachtenden Person auf. Wir sind eingeladen, in ihre Räume zu kriechen und ihre Ruhe auf uns wirken zu lassen. Wer Mckinneys Bilder anschaut, empfindet mehr, als dass er sieht. Fühlt den weichen Samt des Sofas, riecht die Luft mit einem Hauch von Parfum und Tabak. Die Konturen: unscharf. Die Farben: wie von innen leuchtend, jeder Pinselstrich eine Andeutung von etwas, das sich beim Betrachter zusammensetzt. Nicht nur im Auge, sondern dahinter, dort wo Informationen Empfindung auslösen. Ein Gefühl, wie ein Ausatmen, auf das man schon lange wartet, eine Innigkeit und Stille, wie man sie aus der Genremalerei von Pieter de Hooch oder Jan Vermeer kennt. Aber das hier ist modern und es ist politisch, wenn auch auf eine subtilere Art als ihre Fotoarbeiten.
Indem Mckinney schwarze Frauen in einen Raum setzt, der weiß konnotiert ist – luxuriöser 70er-Jahre Komfort gepaart mit Kunstschlagern der klassischen Moderne – überschreibt sie Sehgewohnheiten, die von einer weißen, männlichen Perspektive geprägt sind. Ihre schwarze Frau gehört zweifellos in diesen Rahmen, sie ist in ihm zu Hause. In der Verbindung, die Mckinney in ihrem Gemälde „Sandman“ zwischen der auf einem Sofa schlafenden Frau und Picassos „Le Rêve“an der Wand über ihr herstellt, spiegeln sich die beiden. Wenn die bunte Träumerin von Picasso bisher als Weiße gesehen wurde, so kann sie hier genauso gut eine andere Hautfarbe haben.
Einen ähnlichen Effekt hat die Paarung aus Mckinneys nackter Schlafender und Matisses „Nu Bleu“auf dem Gemälde „North Star“, das in der Berliner Ausstellung zu sehen ist. Diese Bilder geben der schwarzen Frau einen Platz in der Kunstgeschichte. Die Malerin selbst sieht ihr Werk weniger politisch. Ihr sei es wichtiger, zu berühren: „Ich bin zutiefst introvertiert und mag es einfach, zu Hause zu sein. Ich bringe Menschen an diese Orte, die guttun.“
An manchen Tagen fühlt sich die Malerin gefangen in dem Sujet, das sie gewählt hat. Will nicht schon wieder eine schlafende Frau auf einem Sofa malen, nicht noch einen müden Kopf, der sich auf eine Hand mit Zigarette zwischen den manikürten Fingern stützt. Ihre Galeristin ermutigte sie, die Frauen aus ihren Räumen rauszuholen. „Aber sie weigern sich“, sagt sie und schaut ihre Ladies an der Atelierwand mit dem Blick einer Mutter an, die sich nicht entscheiden kann, ob sie Stolz oder Resignation angesichts ihrer eigenwilligen Tochter empfinden sollte. „Die Geschichte ist eben noch nicht auserzählt“, schlage ich vor und McKinney ist dankbar für diesen Satz, dessen Wahrheit sie längst kennt. „Manchmal bin ich zu hart mit mir selbst“, seufzt sie.
Es ist Zeit, dass sie ihren Mann bei der Betreuung der Tochter ablöst. Sie nimmt ihre Tasche, die neben ihrem Malerkittel am Haken hängt und wendet sich ihren Bildern zu, bevor sie den Raum verlässt, „Goodbye, Ladies“, ruft sie ihnen zu. Morgen wird sie sie wiedersehen.
Text: Autorin Marie-Sophie Müller