Wie Techno in den 90ern zum Soundtrack des wiedervereinten Berlins wurde
Berlin, Techno und die Wende – diese drei Säulen haben vor etwa 35 Jahren eine Soundkulisse geschaffen, die auf eine Art zum Soundtrack eines ganzen Jahrzehnts geworden ist, zur perfekten Untermalung der als hedonistisch geltenden 90er-Jahre. Aber wie konnte Techno im wiedervereinten Berlin zu einem solchen Soundtrack werden?
Soundtrack der Wiedervereinigung: Techno-Musik im Berlin der 90er-Jahre
Bis heute kann man den Impact aus dieser Zeit noch in Berlin erspüren, wenn sicherlich auch deutlich weniger als damals. Doch Berlin und elektronische Musik – das ist wahrscheinlich für immer eine nie endende Liebesbeziehung.
Um zu verstehen, wie Berlin zur Wendezeit zur weltweiten Metropole der elektronischen Tanzmusik werden konnte, muss man den Zustand in der Stadt, den Mindstate der Menschen und die soziopolitischen Umstände kennen. Und vielleicht fangen wir einfach mal mit der Stadt an.
Berlin wird zur Techno-Metropole
Nach dem Sturz der Mauer gab es überall in Berlin zahlreiche ungenutzte freie Flächen und Gebäude, deren Besitzverhältnisse ungeklärt waren. Schätzungen zufolge stand plötzlich ein Drittel der Gebäude in Ost-Berlin leer, mehr als 25.000 Wohnungen. Potenzielle Locations also, die schlichtweg vorhanden waren, um sich darin kreative Freiräume zu schaffen – sei es durch die Eröffnung von Galerien, Ateliers, Studios oder eben Clubs. Manchmal existierten diese nur für wenige Wochen, doch das hielt die Leute damals nicht davon ab, sie in der zur Verfügung stehenden Zeit mit Leben zu füllen. Und vor allem mit: Techno.
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Eine der ersten bekannten Clubs war damals das UFO, das letztlich nichts anderes war als ein ehemaliger Keller in Kreuzberg, aus dem später der renommierte Club Tresor hervorging. Dafür baute dessen Betreiber Dimitri Hegemann die Stahlkammer des Wertheim-Kaufhauses am Potsdamer Platz um und verwandelte sie in einen der stilprägendsten Clubs dieser Zeit.
Techno in den 90ern in Berlin: autonome Zone
Anfang der 90er-Jahre befand sich Deutschland in einer vollkommenen politischen Ausnahmesituation, die von einem ungemeinen Optimismus geprägt war. Alles schien plötzlich möglich zu sein und diese Aufbruchstimmung hat sich auch in der Rave-Szene widergespiegelt – gerade im Gegensatz zu dem, was in den 80ern noch en vogue war. In den Eighties ging es viel um Abgrenzung, zum Beispiel innerhalb der Punk-Bewegung, die tendenziell eher ablehnend war und versucht hat, die alte Welt kaputtzumachen. Die Technokultur war da deutlich positiver. Da ging es eher darum, Dinge und Menschen zusammenzubringen und sich gemeinsam eine eigene, neue Welt aufzubauen – und das war kaum irgendwo so gut möglich wie in Berlin, wo ja durch den Mauerfall eh alles auf Null stand und mit Leben gefüllt werden wollte.
Techno in Berlin in den 90ern: tanzen auf 180 BpM und Strobolicht
Dass die aufkeimende Techno-Bewegung zeitlich mit dem Mauerfall zusammenfiel, war natürlich reiner Zufall. Dass Techno aber ausgerechnet in Berlin auf so fruchtbaren Boden fiel, war keiner. Denn zum einen gab es aufgrund der politischen Ausnahmesituation eben die bereits erwähnten zur Verfügung stehenden Party-Locations, die zu illegalen Clubs umgerüstet wurden, zum anderen war die Musik sowohl für die Menschen aus dem Westen als auch für die aus dem Osten der Stadt etwas Neues, das sie gemeinsam entdecken konnten; ein Bereich, in dem alle auf derselben Stufe standen und es kein Gefälle mehr gab, das West und Ost voneinander unterschied – alles wurde bei 180 BpM und Stroboskoplicht vollkommen aufgelöst. Beim Entdecken der Techno-Kultur waren alle eins – und diese unbedingte Gleichheit und Offenheit war eine DER Triebfedern der damaligen Rave-Kultur. Sobald man gemeinsam auf dem Dancefloor stand, gab es keine Unterschiede, keine Hemmungen mehr; da war es vollkommen egal, wo jemand herkam. Im Club war die (zwischenmenschliche) Welt noch in Ordnung.
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Für eine der ersten Rave-Reihen der wiedervereinigten Stadt, dem Tekknozid, taten sich dann auch gleich der Veranstalter Wolfram Neugebauer alias Wolle XDP aus der ehemaligen DDR und DJ Tanith aus Westberlin zusammen, um unabhängig von Herkunft und Klasse gemeinsam zu feiern und Menschen aus beiden Teilen der Stadt zusammenzubringen.
Techno in Berlin: Mauerfall = Glücksfall
Techno war sowohl für die Ostberliner*innen als auch für die Westberliner*innen ein neues, aufregendes Etwas, das beide Seiten aus der bleiernen Langeweile der 80er herausholte. Während der Westen damals in Post-Punk-Heroin-Starre verharrte, lag im Osten der reale Sozialismus danieder. Daher mag die Lebenswelt auf beiden Seiten der Mauer eine andere gewesen sein, aber gefühlsmäßig lag man damals gar nicht so weit auseinander – und auch dieser Umstand hat die Menschen von beiden Seiten der Stadt innerhalb der Rave-Kultur miteinander vereint.
Allerdings muss man sagen: Durch den Fall der Mauer, die damit einhergehende Euphorie der Menschen aus dem Osten und das so nie gekannte Gefühl von Freiheit, war die Begeisterung der ehemaligen DDR-Bürger*innen sicherlich deutlich größer als die der Menschen aus dem Westen – und hat der Techno-Bewegung wahrscheinlich erst ermöglicht, diese explosive Rauschhaftigkeit zu entwickeln, die diese Zeit zu diesem Mythos gemacht hat. Und das wiedervereinte Berlin zur Techno-Hauptstadt der Welt.