Tradition wichtiger als Alkohol: Flittard zeigt, wie echter Karneval geht

Zum Karnevalsstart gehen die Schäl-Sick-Jecken zurück zu den Wurzeln.

Es ist dieser Moment, als Sänger Björn Heuser auf der Bühne die Saiten seiner Gitarre zupft, ihn der Kölner Prinz von 2015 auf der Mundharmonika begleitet und sich das Publikum „En unsrem Veedel“ singend in den Armen liegt, in dem Reiner Knillmann weiß, dass er auf dem richtigen Weg ist. Nach Jahrzehnten hat er die traditionelle Straßensitzung zu Weiberfastnacht mit seiner Karnevalsgesellschaft in Flittard neu aufgelegt – und damit viel riskiert. Nun sind sich die Jecken hier sicher: Ihr Ansatz könnte Vorbild sein in einer Diskussion um die Frage, welche Richtung Kölns Karneval nehmen will. Noch stehen die Zeiger der Uhr nicht auf 11.11 Uhr. Doch schon jetzt zieht sich eine Schlange wartender Kostümierter bis weit auf die Straße. Das Gelände um die sogenannte Narrenburg, eine ehemalige Grundschule und heute Vereinsheim der Jecken in Flittard, ist umzäunt, Sicherheitsmänner kontrollieren die Besucher der von der Flittarder Karnevalsgesellschaft ausgerichteten Straßensitzung am Eingang, Eintritt nur gegen Gebühr. Es ist die Kehrtwende eines Konzeptes, das hier Jahrzehnte Bestand hatte. Bisher hatten die Karnevalisten Weiberfastnacht auf dem Platz am Denkmal an der Hubertusstraße gefeiert. Auf großer Fläche, offen für jeden. Doch nach zunehmender Verschmutzung durch Besucher, immer höheren Auflagen der Stadt und mangelnder Bereitschaft einiger Jecken, Getränke vor Ort zu kaufen, sei die Veranstaltung so nicht mehr umzusetzen gewesen, berichtet Vereinsvorsitzender Knillmann: „Diese Geiz-ist-geil-Mentalität war nicht mehr zu ertragen, und erst recht nicht mehr zu finanzieren.“ Die Verlegung der Veranstaltung auf das versteckt gelegene Vereinsgelände war eine Entscheidung gegen die große Bühne im Herzen des Veedels, für eine Rückbesinnung auf das Intime, Familiäre. „Natürlich hatten wir Bedenken, ob das gut gehen kann, ob die Leute das auch wirklich annehmen“, erzählt Knillmann. Es ist 12.40 Uhr, noch immer füllt sich das Gelände, während Björn Heuser seine Zuschauer auf der Bühne zum Mitsingen animiert. Davor schunkelt das Flittarder Kinderdreigestirn, das hier jedes Jahr von der Grundschule im Veedel gecastet wird. Eine Investition in den Nachwuchs, den die Karnevalisten nicht nur hier so dringend suchen. Unter Jubel betreten sie die Bühne, winken herab zu Alten und Jungen, zu Rentnern, Müttern mit Kinderwagen. Eine riesige Familie, in der jeder jeden kennt, in der Brauchtum und Tradition wichtiger sind als wilde Party und Alkohol, erzählen die Jecken hier. „Das, was hier passiert, ist doch beispielhaft, weil es zeigt, wie auch im kleinen Kreis gefeiert werden kann“, sagt Besucher Werner Hagedorn (76), der mit seiner Frau gekommen ist. Das „Flittarder Modell“ könne deshalb Vorbild sein für den Kölner Karneval im Generellen, sagen hier die Vereinsverantwortlichen – Brauchtumspflege im Kleinen statt größer, voller, lauter also? „Ich würde mir zumindest wünschen, dass auch andere Karnevalsvereine versuchen, über ihren Tellerrand zu schauen, sich bemühen, dynamisch zu bleiben“, sagt Knillmann. „Wir müssen auch Risiken eingehen, um langfristig präsent zu bleiben.“ Es ist früher Nachmittag, als die Barkeeper hier kaum noch mit dem Kölsch-Ausschenken hinterherkommen, die Verantwortlichen überlegen, den Eingang hinter 500 Feiernden mangels Platz zu schließen. Die Erwartungen der Veranstalter wurden übertroffen, die Grenzen des intimen Rahmens scheinen zumindest vorerst erreicht....Lesen Sie den ganzen Artikel bei ksta