Virtuelle Influencer*innen: Authentizität am Computer generiert

Für immer jung und schön und skandalfrei: Virtuelle Influencer*innen könnten künftig den Werbemarkt in sozialen Netzwerken erobern. Schon jetzt haben sie Millionen Fans.

Virtuelle Influencer*innen sind schon heute Millionen wert: Sie präsentieren teure Marken oder Produkte in sozialen Netzwerken. (Symbolbild: Getty Images)
Virtuelle Influencer*innen sind schon heute Millionen wert: Sie präsentieren teure Marken oder Produkte in sozialen Netzwerken. (Symbolbild: Getty Images)

Influencer*innen verkaufen häufig einen – zumindest vorgegeben – authentischen Einblick in ihr Privatleben. Doch ein Trend aus Südkorea zeigt, dass an dem Gezeigten nichts authentisch sein muss. Oder real.

Die erste virtuelle Influencerin

Rozy hat auf Instagram über 137.000 Follower*innen. Sie teilt Fotos, wie sie auf einer Sonnenliege in einer Vogue blättert, ihre Zunge für ein Selfie rausstreckt oder lässig an einem Auto lehnt. Sie sieht jedes Mal makellos aus, ihre Kleider sitzen wie angegossen. Tausende Likes bekommt sie dafür und Dutzende Kommentare finden sich unter jedem Beitrag.

Nur: Rozy ist nicht echt. Sie ist laut Selbstbeschreibung auf Instagram die erste unter vielen virtuellen Influencer*innen, also ein rein digitaler Mensch. Sie ist, so heißt es weiter, die „einzige Person, die jede und jeden darstellen kann“. Auf der Webseite des Unternehmens Sidus Studio X, die Rozy erschaffen hat, steht außerdem: „Sie kann alles, was Menschen nicht können. Und das auf die menschlichste Art und Weise.“

Verschmelzung von realer und digitaler Welt

Zum Beispiel einen riesigen Werbewert generieren: Seit ihrem Start im Jahr 2020 hat Rozy Werbeverträge mit großen Marken abgeschlossen, stolzierte über virtuelle Laufstege und veröffentlichte zwei Singles.

Alles möglich dank computergenerierter Bilder, der CGI-Technik. Sie wird auch für Filme und Serien eingesetzt – um tatsächlich gedrehte Bilder mit virtuellen Inhalten zu erweitern. Es ist die Verschmelzung von realer und digitaler Welt.

Wie gewöhnliche Influencer*innen bauen sich auch ihre virtuellen Gegenstücke eine Community auf, indem sie Einblicke aus ihrem Leben teilen und mit ihren Fans interagieren. Rozy antwortet auf Kommentare, folgt ihren Fans zurück. Daraus können sogar Freundschaften entstehen, berichtet CNN. Für ein langes Feature über Rozy wurden Fans der Influencerin angefragt. Eine 23-jährige Südkoreanerin beschrieb die Beziehung zu Rozy wie folgt: „Wir kommunizierten wie normale Freunde und ich fühle mich sehr wohl. Ich sehe sie nicht als Künstliche Intelligenz, sondern als echte Freundin.“ Sie liebe Rozys Beiträge und sie sei einfach so schön.

Schneller, leichter Content

Rozy nutzt diese Schönheit und wirbt für zahlreiche Produkte, unter anderem für Hautpflege und Kosmetik. So verdient Sidus Studio X allein in diesem Jahr rund 1,5 Millionen US-Dollar (rund 1,46 Millionen Euro). Längst hat Rozy den Sprung raus aus Instagram geschafft: Sie wirbt für Luxusprodukte wie Chanel oder Hermes auch in Magazinen, auf Werbeplakaten oder im Fernsehen.

Für Unternehmen hat die Kooperation mit virtuellen Influencer*innen einen wichtigen Vorteil: Sie ist weit weniger aufwendig. Es dauert oftmals nur Stunden bis Tage, um Beiträge mit Rozy zu kreieren, in denen sie ein neues Produkt promotet. Für Videos kann es zwar Wochen dauern, aber auch das ist viel simpler, als Orte für einen realen Dreh zu suchen, die Logistik zu organisieren. Von Beleuchtung, Team, Make-Up und Nachbearbeitung ganz zu schweigen.

Verzerrung von Schönheitsidealen

Der größte Vorteil aber: Virtuelle Influencer*innen verändern sich nicht oder nur auf Wunsch. Sie altern nicht, werden nicht müde, zeigen keine Attitüden oder kontroverses Verhalten – sie sind vollkommen manipulierbar.

Rozy wird nie auch nur eine Falte bekommen, die Proportionen ihres Gesichts oder ihr Körperbau werden sich nie ändern: Nicht nur deshalb gibt es viele besorgte Stimmen zu dem Thema. Einige artikulieren die Befürchtung, dass virtuelle Influencer*innen noch weiter unrealistische Schönheitsideale antreiben – vor allem vor dem Hintergrund, dass Südkorea ohnehin schon als Hauptstadt der plastischen Chirurgie gilt und die Kosmetikindustrie Milliarden umsetzt.

CNN hat dazu Lee Eun-hee befragt, sie lehrt Konsumforschung an der Inha Universität: „Virtuelle Menschen in Südkorea werden immer gleich und immer hübsch dargestellt. Nicht wie in anderen Ländern, wo sie eine Vielfalt von Hintergründen und Schönheitsidealen darstellen.“ Das führe dazu, dass echte südkoreanische Frauen genauso wie Rozy aussehen wollen und Männer nach Menschen suchen würden, die ihr gleichen.

Ethischer Rahmen?

Auch der Instagram-Mutterkonzern Meta ist sich der Thematik bewusst. Er selbst hat bereits über 200 virtuelle Influencer*innen erschaffen, die auf den eigenen sozialen Netzwerken agieren. In einem Blogpost vom Januar heißt es dazu: „Wie jede disruptive Technologie haben auch synthetische Medien das Potenzial, Gutes und Schlechtes zu bewirken. Fragen der Repräsentation, der kulturellen Aneignung und der Ausdrucksfreiheit sind bereits ein wachsendes Problem.“ Deshalb erarbeite Meta einen ethischen Handlungsrahmen für die Verwendung von virtuellen Influencer*innen.

Wie dieser aussieht, wann er veröffentlicht werden soll und ob er dann bindend ist, ist bislang nicht bekannt.

VIDEO: Influencer: Wie viel Geld man damit verdienen kann