Von wegen Vernunft: Die Junge Union und der "Genderwahn"

Logo der Jungen Union (Bild: dpa)
Logo der Jungen Union (Bild: dpa)

Eine Kolumne von Carlos Corbelle

Wer hätte gedacht, dass die Junge Union “die letzte Bastion der Vernunft” ist? Richtig: niemand. Außer die Junge Union selbst natürlich. Beziehungsweise Antonia Niecke, die das kürzlich auf Facebook behauptete. “Wir als Junge Union sind die letzte Bastion der Vernunft unter den Jugendverbänden, was den Genderwahn angeht”, schreibt die Landesvorsitzende dieser angeblichen Bastion. “Deshalb sind wir dafür, dass Bürgerinnen und Bürger, Wählerinnen und Wähler und Ähnliches nur mit dem generischen Maskulinum verwendet und der Rest gestrichen wird!”

Von “Genderwahn” zu sprechen ist natürlich schon per se Blödsinn, der alles, nur nicht vernünftig ist. Ich jedenfalls habe noch niemanden gesehen, der so genderwahnsinnig geworden ist, dass eine psychiatrische Behandlung erforderlich gewesen wäre. Nein, Wahn ist anders. Allerdings scheint bereits das Nachdenken über eine Sprache, die mehr als nur einem – dem männlichen – Geschlecht gerecht wird, den ein oder anderen zu überfordern. Und das gilt nicht nur für die sprachliche Berücksichtigung des weiblichen Geschlechts, sondern auch für eine Form der Sprache, die über Zweigeschlechtlichkeit hinaus geht.

Wie feindselig manche Menschen auf Forderungen nach einer geschlechtergerechten bzw. geschlechtsfreien Sprache reagieren, zeigt das Beispiel von Lann Hornscheidt vom Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität Berlin, der/die sich weder als Mann noch Frau definieren lassen will. Um die Norm der Zweigeschlechtlichkeit zu umgehen, schlug Hornscheidt einst eine Anrede als “ProfX” anstelle von “Professorin” oder “Professor” vor. Was folgte, war eine endlose Zahl an Hasskommentaren und Mails, die “sogar Vergewaltigungsandrohungen zur ‘Umerziehung’” beinhalteten, wie Hornscheidt 2014 in der Zeit erzählte. Anfeindungen, die bis heute fortbestehen.

Ein Schritt zurück

Wäre es nicht Aufgabe der Politik, sich dafür einzusetzen, dass sich nicht nur Männer UND Frauen, sondern auch all jene in unserer Sprache wiederfinden, die sich nicht auf ein Geschlecht festlegen? Schließlich sollte Sprache auch unsere gesellschaftliche Realität abbilden und die ist eben weitaus komplexer als eine vermeintlich naturgegebene Zweigeschlechtlichkeit. Stattdessen will die Junge Union einen Schritt zurück machen zu einer Sprache, die mit einer Versteifung auf das “generische Maskulinum” das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen befeuert.

Das kann sie gerne fordern. Den Wunsch nach einer geschlechtergerechten Sprache aber als “Genderwahn” abzutun und sich selbst als “letzte Bastion der Vernunft” darzustellen, stempelt im Umkehrschluss all jene, die sich gegen einen sexistischen Sprachgebrauch engagieren, als irrational ab. Ich weiß nicht, ob das bloß politisches Kalkül ist, um der AfD, die ebenfalls gerne vom “Genderwahn” spricht, das Thema streitig zu machen und damit auch hier “die rechte Flanke zu schließen”. Oder ob es einfach eine gründlich missglückte Wortwahl ist. Mit der Wirkung von Worten nimmt es die Junge Union ja scheinbar eh nicht so genau.

Previously on “Grab them by the Balls”: Sexuelle Gewalt: Warum Harvey Weinstein uns alle betrifft

Im Video: Das Design dieser Klamotten suggeriert ein überholtes Geschlechterbild: