Warum Klischees Trauernde nicht trösten – und was man stattdessen sagen kann

Wenn eine Person einen geliebten Menschen verloren hat, fehlen Freunden und Angehörigen oft die Worte - und sie flüchten sich in Klischees. Die können jedoch oft mehr schaden als nützen. Was man stattdessen sagen - beziehungsweise tun - sollte.

Anstatt einer trauernden Person zu sagen: „Alles geschieht aus einem bestimmten Grund“, solltest du ihr einfach zuhören oder still einfach ihren Schmerz teilen. (Grafik von Nathalie Cruz für Yahoo Life; Getty Images)
Anstatt einer trauernden Person zu sagen: „Alles geschieht aus einem bestimmten Grund“, solltest du ihr einfach zuhören oder still einfach ihren Schmerz teilen. (Grafik von Nathalie Cruz für Yahoo Life; Getty Images)

„Bis zum Tod meines Sohnes war ich das Paradebeispiel von ‚Alles geschieht aus einem bestimmten Grund‘“, sagt Jenna Pratt gegenüber Yahoo Life über ihre häufige Äußerung dieser alten Weisheit.

„Ich habe geheiratet, Kinder bekommen und hatte einen tollen Job und lange Zeit habe ich das geglaubt“, sagt sie. „Und dann starb mein Sohn. Er war erst zwei Jahre alt und ich dachte mir, es gibt keinen Grund dafür. Er war ein unschuldiger Junge, der es liebte, die Muppets zu sehen und ‚Bohemian Rhapsody‘ zu singen. Das war einfach eine beschissene Sache, die ihm passiert ist.“

Doch als der junge Liam 2020 an einem angeborenen Herzfehler starb, fand sich Pratt am anderen Ende ihrer so oft genutzten Plattitüde wieder. Außerdem bekam sie zahlreiche weitere zu hören, von „Er ist an einem besseren Ort“ bis zu „Gott brauchte einen Engel“. Die Phrasen kamen von wohlmeinenden Freunden und Familienmitgliedern, aber nichts konnte sie trösten – vor allem nicht ihr vormaliger Favorit.

„Liams Tod ist bedeutungslos – er war willkürlich, er war schrecklich und für mich ist er sinnlos“, sagt Pratt, die jetzt das in Georgia ansässige Lionheart Grief Coaching betreibt. „Was wir mit unserer Trauer tun und wie wir sie verarbeiten, kann uns einen Sinn geben. Aber zu hören, wie die Leute einen mit Klischees zu trösten versuchten, so sagt sie, „hat mir wirklich gezeigt, in welchem Ausmaß es unserer Kultur und unserer Sprache mangelt“, wenn es um Trauer geht.

Wenn Menschen sich an solche Klischees klammern, sagt Kara Theileman, Trauerberaterin und Forscherin an der Arizona State University, sind sie fast immer „gut gemeint“ und sie „wissen nicht, dass es verletzend ist“. Aber allzu oft, so erklärt sie Yahoo Life, sind sie genau das.

„Ich glaube, es tröstet die Person, die es sagt“, sagt sie. „Es ist ihre Art, mit einer schrecklichen Situation umzugehen, an die sie nicht einmal denken wollen – oder sie fühlen sich unter Druck gesetzt, etwas Tröstendes sagen zu müssen.“

Experten zufolge gibt es jedoch bessere Möglichkeiten, sinnvollen Trost zu spenden.

Das Problem mit Plattitüden

Diese abgedroschenen Phrasen sind laut der Psychologin und Trauerberaterin Joanne Cacciatore im besten Fall bedeutungslos und im schlimmsten Fall Salz in der Wunde.

„‚Alles geschieht aus einem bestimmten Grund‘ ist so ziemlich für jeden beleidigend“, sagt sie. „Es ist der Grund, den wir ihm geben. Aber das bedeutet nicht, dass der Tod in Ordnung ist.“ Dasselbe Problem, fügt sie hinzu, habe man, wenn man über jemanden, der an einer langwierigen Krankheit gestorben ist, sagt: „Wenigstens hat er/sie keine Schmerzen mehr.“

„Vielleicht stimmt dies“, sagt sie, „aber jetzt leidet die trauernde Person unter Schmerzen. Und wenn man das sagt, wird der Schmerz heruntergespielt, als ob man froh oder dankbar sein sollte – und ein Teil von ihnen mag das auch sein. Aber es ist trotzdem eine Verharmlosung.“

Ebenfalls wenig hilfreich sind laut Cacciatore Sätze wie „Gott brauchte einen Engel, um seine Landschaft zu pflegen“. Sie merkt an: „Gott hatte ein solches Problem mit seiner Landschaft im Himmel, dass er einen Zweijährigen nehmen musste?“ Und sie fügt hinzu: „Sie sind an einem besseren Ort“. Denn wie bei allen „spirituellen Plattitüden“, erklärt sie, „mögen manche Menschen sie glauben – aber das ist eine Sache zwischen ihnen und Gott ... Man kann den Menschen nicht vorschreiben, was Gottes Plan ist.“

Vor allem, wenn jemand ein Kind verliert, so Cacciatore, die selbst eine Tochter bei der Geburt verloren hat, sollte man sich von Phrasen wie „Wenigstens war es nicht dein jüngstes, ältestes oder liebstes Kind“ fernhalten – alles, was mit „Wenigstens war es“ anfängt, was nur dazu dient, den Schmerz über den Tod diesesKindes herunterzuspielen.

„Die Menschen wollen in der Regel helfen, fühlen sich aber sehr unwohl und wollen etwas Prägnantes und Hilfreiches sagen“, sagt sie, und dann werden sie ungewollt verletzend.

Experten zufolge muss man sich von der Vorstellung verabschieden, dass Worte den Schmerz reparieren könnten und stattdessen Trauer und Anteilnahme zeigen (Symbolbild: Getty Images)
Experten zufolge muss man sich von der Vorstellung verabschieden, dass Worte den Schmerz reparieren könnten und stattdessen Trauer und Anteilnahme zeigen (Symbolbild: Getty Images)

Colin Campbell, der 2019 seine beiden Kinder im Teenageralter bei einem Unfall unter Alkoholeinfluss verlor und über seine Erfahrungen in seinem neuen Buch Finding the Words (auf Deutsch: Die Worte finden) geschrieben hat, erinnert sich an einen besonders wenig hilfreichen Satz, den er nach seinem Verlust häufig hörte: „Es gibt keine Worte.“

Er erzählt Yahoo Life: „Mir wurde so oft gesagt: ‚Es gibt keine Worte‘, dass es schon bizarr war ... in E-Mails und Karten und Textnachrichten und direkt zu mir und ich dachte: ‚Was ist hier los? Woher weiß jeder, dass er diese spezielle Phrase verwenden muss, die nichts zu bedeuten hat?‘ Das hilft mir nicht weiter, denn ich muss die Worte finden.“

Campbell fügt hinzu: „Es ist ein Gesprächsverhinderer ... sie sagen buchstäblich: ‚Wir können nicht darüber reden, also versucht es nicht‘ und um unseren Verlust zu verarbeiten, müssen wir darüber reden. Es spielt keine Rolle, dass die Worte unzureichend sind. Wir müssen es versuchen.“

Also was kann man tun oder sagen, um Trost zu spenden?

‚Gib die Vorstellung auf, dass du die Betroffenen aufmuntern kannst oder solltest.‘

Theileman sagt, dass das Wichtigste, was man tun kann, ist, „einfach bei der Person zu sein“.

Denn obwohl es ein sehr menschlicher Instinkt ist, den Schmerz einer Person „reparieren“ zu wollen, ist es entscheidend, „die Vorstellung aufzugeben, dass man sie aufmuntern kann oder sollte“, sagt sie. „Lass die Person einfach fühlen, wie sie sich fühlt, und sei bei ihr – und geh ihr nicht aus dem Weg, weil sie zu traurig ist und sage ihr nicht: ‚Es ist zwei Jahre her und es ist Zeit, weiterzuleben‘. Versetze dich in die Lage dieser Person ... Was würdest du wollen, dass die Leute zu dir sagen?“

Wenn die trauernde Person bereit ist und jemanden sucht, mit dem sie ein „unbeschwertes Gespräch“ führen kann, so sagt Theileman: „Natürlich kannst du das tun – aber folge ihrer Führung.“

Cacciatore empfiehlt, dem Trauernden aufrichtige Fragen über die verstorbene Person zu stellen. „Frage: ‚Was vermisst du am meisten an ihm oder ihr?‘, ‚Möchtest du eine Geschichte erzählen?‘, ‚Wärest du bereit, ein Foto zu zeigen?‘ Sage: ‚Es tut mir wirklich sehr leid. Möchtest du darüber sprechen, was passiert ist? Ich würde dir gerne zuhören, wenn du ein offenes Ohr brauchst.‘“

„Oder sag einfach gar nichts und schaue sie mit mitfühlenden Augen und Zärtlichkeit an“, sagt sie. „Ich meine, manchmal gibt es dafür wirklich keine Worte.“

Beth Greenfield