Was ist Clean Meat und wie wird es hergestellt?
Vom Bioreaktor auf den Teller
Weniger Fleisch auf dem Teller – dieses Ernährungsziel verfolgen immer mehr Menschen in Deutschland. Alternativen wie Veggie-Wurst, vegane Burger-Patties oder tierfreie Chicken Nuggets landen inzwischen bei jeder*m zehnten Bundesbürger*in täglich auf dem Teller. Drei Jahre zuvor waren es laut dem repräsentativen Ernährungsreport 2023 erst fünf Prozent. Nach einer repräsentativen Forsa-Umfrage verzichten mittlerweile etwa zwölf Prozent der Menschen in Deutschland auf Fleisch. Neun Prozent der Bevölkerung ernähren sich vegetarisch, drei Prozent vegan. Einer der häufigsten Gründe für den Fleischverzicht: das Tierwohl. Mit sogenanntem Clean Meat könnte es für alle Fleischliebhaber*innen eine Alternative zu herkömmlich hergestellten Fleisch- und Wurstwaren geben: Fleisch aus der Petrischale. Doch was steckt da eigentlich drin?
Was ist Clean Meat?
Clean Meat wird auch Cultured Meat, Laborfleisch, In-vitro-Fleisch oder Kunstfleisch genannt. Es entsteht in sogenannten Bioreaktoren. Darin läuft ein Prozess namens "Tissue Engineering" (etwa: "Gewebezüchtung") ab. Die Basis für diesen Prozess sind vermehrungsfähige Zellen, beispielsweise vom Rind. Aus Muskelstammzellen entsteht Muskelfleisch, aus Fettstammzellen Fettgewebe. Diese Stammzellen werden lebenden Tieren unter lokaler Betäubung entnommen. In-vitro-Fleisch ist also nicht vegan. Damit aus den Stammzellen letztendlich ein Stück Fleisch entsteht, braucht es zudem eine Nährlösung, in der die Zellen beispielsweise zu kleinen Muskelfasern heranwachsen können. Außerdem ist eine Gerüstsubstanz nötig, auf der die Zellen wachsen können. Dafür eignen sich etwa Chinin oder Kollagen.
Tissue Engineering: So läuft es ab
Wie "clean" ist Clean Meat?
Ein großer Vorteil von Clean Meat: Bei seiner Herstellung besteht kein direkter Tier-Kontakt. Die Haltung großer Tierherden ist nicht nötig. Das könnte laut dem Bundeszentrum für Ernährung (BFZE) das Risiko von Zoonosen, also einer Übertragung von Krankheitserregern von Tier zu Mensch, senken.
Bisher gilt jedoch fötales Kälberserum als die beste verfügbare Nährlösung für Zellen in der In-vitro-Fleischproduktion. Das Blut des Fötus ist reich an Wachstumsfaktoren wie Hormonen, Proteinen, Lipiden und Mineralien, die das Wachstum von Zellen unterstützen und deren Überleben in der Zellkultur fördern. Doch durch seine Verwendung können theoretisch auch Krankheitserreger wie der BSE-Erreger auf das In-vitro-Fleisch übertragen werden. Es ist bislang auch unklar, ob die großangelegte Produktion von In-vitro-Fleisch tatsächlich ohne den Einsatz von Antibiotika möglich wäre.
Kritik an Clean Meat
Clean Meat steht für eine Vision von tierleidfreier und nachhaltiger Fleischproduktion. Kritiker*innen bemängeln jedoch, dass Laborfleisch in der Realität weder vegan noch frei von Tierleid ist. Besonders die Verwendung von fötalem Kälberserum als Nährlösung für die Zellen steht in der Kritik: Denn fötales Kälberserum (FKS), wird aus dem Blut von Kälbern gewonnen, die während der Schlachtung ihrer Muttertiere im Mutterleib getötet werden. Aus diesem Grund wird intensiv nach Alternativen gesucht, die die Verwendung von fötalem Kälberserum in der In-vitro-Fleischproduktion reduzieren oder ersetzen könnten. Laut BFZE könnten Nährlösungen aus Pilzen, Hefen oder Algen eine Alternative sein. Doch diese eignen sich nicht für jede Zellart und ihre Produktion ist kosten- und energieintensiv.
Umweltbilanz von Clean Meat
Das Umweltbundesamt hat in seiner Publikation "Fleisch der Zukunft" die Studienlage zu Clean Meat bis August 2019 zusammengefasst:
Frühe Studien prognostizierten eine erhebliche Senkung der Treibhausgasemissionen um mehr als 75 Prozent durch die Verwendung von Laborfleisch. Jedoch kommen neuere Untersuchungen zu einem anderen Resultat: Sie zeigen, dass die Produktion von Laborfleisch möglicherweise sogar mehr Treibhausgase erzeugt als die herkömmliche Produktion von Schweine- oder Hühnerfleisch. Die Berechnungen deuten darauf hin, dass die Annahme, Laborfleisch sei zwangsläufig umweltfreundlicher, derzeit nicht zutrifft.
Auch hinsichtlich des Energieverbrauchs zeigen neuere Studien, dass die Herstellung von Laborfleisch eine höhere Umweltbelastung verursacht als die herkömmliche Fleischproduktion.
Ein klarer Vorteil von Laborfleisch im Vergleich zu herkömmlichem Fleisch liegt jedoch in der deutlich geringeren Landnutzung, wie aus den veröffentlichten Szenarien hervorgeht. Forschende haben festgestellt, dass der Landbedarf für Laborfleischproduktion erheblich geringer ist.
Deutsche Verbraucher*innen und die Akzeptanz von Clean Meat
In Deutschland ist In-vitro-Fleisch laut BFZE einer Mehrheit der Gesellschaft noch unbekannt. Eine Umfrage aus dem Jahr 2020 ergab jedoch, dass immerhin 57 Prozent der Verbraucher*innen in Deutschland bereit wären, In-vitro-Fleisch zu probieren. Unter diesen könnten sich 30 Prozent sogar vorstellen, das Produkt regelmäßig zu konsumieren. Vergleichbare Ergebnisse hatte bereits die Umweltbewusstseinsstudie von 2018 geliefert. Sie zeigt außerdem: Je höher der persönliche Fleischkonsum ist, umso skeptischer stehen die Befragten dem neuartigen Produkt gegenüber.
Wann gibt es Laborfleisch in Europa?
In-vitro-Fleisch, das im Bioreaktor gezüchtet wird, ist bisher nur in Singapur und den USA zugelassen. Food-Trendforscherin Hanni Rützler erklärt in einem Interview mit GEO, warum Clean Meat in Europa dagegen noch kein Thema ist: "Es gibt noch keinen Antrag für die Zulassung. Und da das ein Novel-Food der Sonderklasse ist, wird das auch noch sehr lange dauern."
Zur Erklärung: Lebensmittel aus Zell- und Gewebekulturen fallen in Deutschland unter die sogenannte Novel-Food-Verordnung. Fleisch und Fisch aus dem Labor gelten als neuartige Lebensmittel und müssen vor der Marktzulassung verschiedener Tests bestehen. Die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) prüft dann bei einem Antrag auf Zulassung, ob die Produkte sicher sind. Dieser Prozess ist gewöhnlich sehr zeitaufwändig. Seit 2023 gibt es in der Schweiz und in der EU jeweils einen Antrag auf Zulassung eines Laborfleisch-Produktes.
Hohe Akzeptanz in junger, urbaner Bevölkerung
In den Niederlanden forschen Unternehmen wie Mosa Meat und Meatable an der Herstellung von Clean Meat. In Deutschland könnten sie ihre Kund*innen vor allem in der jungen Bevölkerung finden. Aber auch Menschen aus dem urbanen Milieu und an Nachhaltigkeit interessierte Teile der Bevölkerung sieht Hanni Rützler als potenzielle Fans der neuen Technologie: "Diese Zielgruppen sind offener für Alternativen. Auch für Lebensmittel aus Insekten oder Algen. Das wird bei uns auch gerne als Gruselthema abgetan, ist aber aus der Perspektive der Nachhaltigkeit durchaus sinnvoll", so die Expertin.