Wie die Gendermedizin Leben retten kann

Oft werden in der Medizin kaum Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Patienten gemacht. Doch die Forschung zeigt: Ein Umdenken kann Frauen das Leben retten.

Eine Ärztin im Anamnese-Gespräch mit einer Patientin. (Symbolbild: Getty)
Eine Ärztin im Anamnese-Gespräch mit einer Patientin. (Symbolbild: Getty)

Die Stiftung Warentest widmet sich in ihrer aktuellen Ausgabe dem Thema Gendermedizin. Dabei wird schnell klar, dass auch in der modernen Medizin oft grundsätzlich von einem männlichen Patienten ausgegangen wird. Dabei ist längst nahgewiesen, dass es durchaus geschlechterspezifische Unterschiede in der Medizin gibt, die bei Diagnose und Behandlung dringend miteinbezogen werden sollten.

Beispiel Herzinfarkt: Wie sehen eigentlich "weibliche" Symptome aus?

Dass sie das bislang oftmals nicht werden, liegt auch daran, wie Medizin gelehrt wird und wie tief bestimmte Stereotypen auch in diesem Bereich verankert sind. Besonders deutlich lässt sich das am Beispiel von Herzerkrankungen sehen. Denn die "typischen Symptome" eines Herzinfarkts sind anhand männlicher Beispiele verallgemeinert worden. Dabei ist der Herzinfarkt auch bei Frauen die häufigste Todesursache. Im Jahr 2021 waren Herzinfarkte und chronische Coronarerkrankungen für über die Hälfte aller weiblichen Todesfälle in Deutschland verantwortlich, wie Stiftung Warentest aufzeigt.

Dass die Symptome dabei anders aussehen können, als bei Männern, wurde zwar schon in den Achtziger Jahren entdeckt, hat aber bis heute kaum den Eingang in die medizinische Ausbildung oder das Allgemeinwissen gefunden. Bei Frauen kann sich ein Herzinfarkt beispielsweise durch ein starkes Erschöpfungsgefühl und eine aufsteigende Übelkeit ankündigen. Auch Luftnot und starke Schmerzen in Kiefer und Nacken können ein Indiz sein. Das Wissen um diese Fakten kann Frauenleben retten, denn bei einem Infarkt kann jede Minute zählen.

Hormonhaushalt und Stoffwechsel als entscheidende Faktoren

Die Medizin aber befindet sich immer noch in einem langsamen Aufwachprozess, was die Neubewertung eingefahrener - meist männlicher - Perspektiven angeht. Dabei unterscheiden sich der weibliche Hormonhaushalt aber auch der Stoffwechsel und das Immunsystem teilweise deutlich vom männlichen. Das oft stärkere weibliche Immunsystem ist beispielsweise auch dafür mitverantwortlich, dass Frauen deutlich häufiger an Autoimmunkrankheiten leiden, als Männer. Auch Krankheiten wie Diabetes oder Demenz werden unterschiedlich davon beeinflusst. So steigt das Diabetes-Risiko für Frauen deutlich nach dem Einsetzen der Menopause wenn die blutzuckersenkende Wirkung von Östrogen verringert wird. Auch der weibliche Zyklus wird oftmals nicht als Faktor einer medizinischen Untersuchung einbezogen.

Oft werden diese Umstände aber in der traditionellen Behandlung außen vor gelassen. Die Gendermedizin beschäftigt sich grundsätzlich damit, wie der Faktor Geschlecht Forschung, Erkrankungen, Therapien und Prävention beeinflusst. Entstanden ist sie aus einer feministischen Bewegung innerhalb der Medizin. Dabei geht es beim Thema geschlechtsspezifische Medizin nicht nur um Frauen, sondern auch um den Blick auf den männlichen Körper.

Eingeschränkter Blick beginnt schon in der Forschung

Tatsächlich brachte die Corona-Pandemie einen kleinen Entwicklungsschub für das Forschungsfeld. Denn als sich Covid-19 begann, über die Welt auszubreiten, stellten die Forscher*innen schnell fest, dass Frauen viel seltener an den Folgen der Viruserkrankung starben. Oft beginnt der eingeschränkte Blick aber bereits in der Forschung, wenn beispielsweise in Studien ausschließlich männliche Mäuse untersucht werden. Der gesamtheitliche Blick mit einer entsprechenden weiblichen Vergleichsgruppe wird aus Kosten- und Zeitgründen häufig einfach außer Acht gelassen.

Reportage über Gendermedizin

Eine ARD-Reportage befasste sich bereits Ende Februar ebenfalls mit dem Thema. In der Doku wird die ehemalige Leistungssportlerin Steffi Platt und ihre Erfahrungen mit einer Behandlung unter geschlechtsspezifischen Aspekten begleitet.

Auch in der Wissenschaft tut sich etwas. So gibt es bereits Professuren für Gendermedizin, beispielsweise an der Universität in Innsbruck. Auch an der Berliner Charité gibt es seit 2007 ein Institut für Geschlechterforschung. Dieses leitet Dr. Gertraud Stadler. Im Interview mit Stiftung Warentest wünscht sich die Ärztin, vor allem ein Umdenken in der Ausbildung, so dass sich "die Gendermedizin wie ein roter Faden durch das gesamte Studium zieht." Nur so könne gesichert werden, dass künftig eine exakte individuelle Behandlung aller Patient*innen stattfinde und die Medizin sich geschlechtersensibel weiterentwickeln könne.

Im Video: Nobelpreis für Medizin - Evolutionsforscher Svante Pääbo geehrt