Nicht mein Zirkus, nicht meine Affen – Wie Frauen lernen sich nicht für alles verantwortlich zu fühlen

Was Frauen alles leisten, bleibt oft unsichtbar

Was Frauen alles leisten, bleibt oft unsichtbar – führt aber immer häufiger zu Burnout und Erschöpfung

Getty Images, Natalia Lebedinskaia

Geburtstagsgeschenk für die Schwiegermutter besorgen Sie, oder? Den Terminkalender Ihrer Kinder haben Sie sicher auch im Kopf. Und wetten, Sie wissen auch wie im Büro der Drucker funktioniert? Vielleicht sind Sie sogar die Ersthelferin auf dem Stockwerk, weil sie sonst niemand gemeldet hat. Warum zum Teufel fühlen gerade wir Frauen für alles verantwortlich?

Das neue Buch von Autorin Katharina Pommer geht dieser Frage nach: "Nicht mein Zirkus, nicht meine Affen - vom Mental Load und People Pleaser zu selbstbestimmt und Grenzen setzen: Wie du lernst, dich nicht mehr für alles verantwortlich zu fühlen"

Als Mutter von fünf Kindern, Dozentin und Unternehmerin hat sie in ihrem eigenen Leben erfahren, wie überwältigend und zugleich unsichtbar diese Verantwortung sein kann. Doch nicht nur ihre persönliche Erfahrung, sondern auch ihre Gespräche mit zahlreichen Frauen, die ähnliche Herausforderungen als Alles-Managerinnen meistern, haben sie dazu inspiriert, diese Dynamiken zu hinterfragen. 

Im Interview erklärt sie, wie Frauen ihre Belastung verringern und gleichzeitig mehr Selbstfürsorge praktizieren können, ohne sich dabei egoistisch zu fühlen. Ein Gespräch über unsichtbare Lasten, den Wandel von Geschlechterrollen und die Vision einer zukunftsfähigen Gesellschaft.

Warum sind es oft wir Frauen, die Verantwortung übernehmen und alles managen?
Katharina Pommer: Diese Muster haben tiefe Wurzeln – historisch, gesellschaftlich, familiär. Schon nach der Französischen Revolution, als viele Haushalte auf Bedienstete verzichten mussten, wurde die Frau zur ‚Managerin des Familienlebens‘ stilisiert. Sie war verantwortlich für Harmonie, Organisation und das emotionale Wohlergehen der Familie. Dieses Rollenbild hat sich tief in unsere Gesellschaft eingeprägt und beeinflusst uns bis heute. Mit meinem Buch möchte ich Frauen Mut machen, diese Muster zu hinterfragen. Es geht nicht darum, gegen etwas zu kämpfen, sondern zu verstehen, warum wir uns oft für alles zuständig fühlen – und wie wir die ein oder andere Last loslassen können. Frauen dürfen lernen, Verantwortung abzugeben.

Warum werden die Dinge, die Frauen Tag für Tag leisten nicht gesehen, nicht gewürdigt?
Viele Menschen nehmen Care-Arbeit als selbstverständlich hin, weil sie ‚unsichtbar‘ bleibt. Oft denken wir, diese Arbeit sei ‚einfach da‘ – wie Luft zum Atmen. Dabei ist sie das Fundament, auf dem so viel anderes aufbaut. Historisch wurde Care-Arbeit nie als ‚echte Arbeit‘ wahrgenommen. Sie galt als moralische Pflicht der Frau – schon in der Antike wurde das Ideal der fürsorglichen, harmoniebewahrenden Frau gezeichnet. Diese kulturellen Wurzeln reichen bis in die Moderne und beeinflussen, wie wir Care-Arbeit sehen: als nicht anerkennenswerte Pflicht, eine Art Beiwerk der weiblichen Existenz.

Der Stress fühlt sich heute viel größer an als früher. Dabei hatten unsere Mütter und Großmütter keine Einwegwindeln oder Waschmaschinen-Trockner-Kombigeräte...
Die Leistungen der Frauen von damals verdienen unseren Respekt, und wir sollten sie keineswegs kleinreden. Die Anforderungen heute sind jedoch grundlegend andere. Viele Frauen stehen vor der Herausforderung, gleichzeitig Mütter, Karrierefrauen und Partnerinnen zu sein – und das in einer Gesellschaft, die immer schneller, digitaler und komplexer wird. Diese Dauerbelastung ist mit den damaligen Umständen nicht eins zu eins vergleichbar.

Hinzu kommt, dass die Überlastung nicht nur ein individuelles Problem ist, sondern tiefgreifende gesellschaftliche Auswirkungen hat. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für viele Frauen immer noch ein Kraftakt – und das wirkt sich auf Entscheidungen wie die Familienplanung aus. Der wachsende Geburtenrückgang ist ein Alarmsignal dafür. 

Natürlich steht es jeder Frau frei, sich gegen Kinder zu entscheiden, und das ist ein wichtiger Ausdruck ihrer Selbstbestimmung. Mir geht es nicht darum, diese Wahl infrage zu stellen, sondern die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sich niemand aus Überforderung oder strukturellen Hürden gegen Kinder entscheiden muss. Es geht hier auch nicht um ein Wohlstandsproblem oder ‚Jammern auf hohem Niveau‘, sondern um die Frage, wie wir als Gesellschaft Strukturen schaffen, die Frauen und Männer gleichermaßen entlasten und die Care-Arbeit wertschätzen. Nur so können wir eine Balance finden, die den Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird.

Was macht es langfristig mit uns Frauen, ständig in der Rolle der „Alles-Managerin“ zu sein? 
Die Folgen sind schwerwiegend und gut dokumentiert: Frauen, die dauerhaft die Rolle der ‚Alles-Managerin‘ übernehmen, riskieren ihre mentale und physische Gesundheit. Studien zeigen, dass Frauen etwa doppelt so häufig wie Männer von stressbedingten Erkrankungen wie Burnout betroffen sind. Allein in Deutschland gaben 44 % der berufstätigen Frauen an, bereits unter mentaler Erschöpfung gelitten zu haben.

Chronischer Stress durch den ständigen ‚Mental Load‘ – also die unsichtbare Arbeit, die aus Planen, Organisieren und emotionalem Management besteht – kann langfristig zu Schlafstörungen, Depressionen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Ein praktisches Beispiel: Stellen Sie sich eine Frau vor, die nach einem achtstündigen Arbeitstag nach Hause kommt und sofort in die nächste ‚Schicht‘ übergeht – Abendessen vorbereiten, Hausaufgaben mit den Kindern machen, Geburtstagsgeschenke organisieren. Diese Belastung bleibt meist unsichtbar, kann aber über Jahre hinweg zur chronischen Überforderung führen.

Was oft vergessen wird: Diese Rolle ist kein ‚Charakterzug‘, sondern das Ergebnis jahrhundertelanger gesellschaftlicher Prägung.

Sie sprechen davon, dass Frauen oft Aufgaben übernehmen, für die sie als „besonders prädestiniert“ gelten. 
Ein Beispiel, das viele kennen, ist die Organisation von Festen wie Weihnachten. Frauen übernehmen häufig die gesamte Planung: von den Geschenken über die Dekoration bis hin zum Essen – und das zusätzlich zu ihrem ohnehin vollen Alltag. Ein anderes Beispiel ist die Annahme, dass Frauen ‚das bessere Elternteil‘ seien. Doch ein guter Kindheitsbegleiter zeichnet sich nicht durch sein Geschlecht aus, sondern durch die Fähigkeit, einfühlsam auf die Bedürfnisse eines Kindes einzugehen. Und genau das setzt voraus, dass man dafür ausreichend Ressourcen und Räume der Erholung hat – unabhängig vom Geschlecht.

Woher kommt das?
Dieses stereotype Denken entsteht oft aus der unbewussten Annahme, dass Frauen ‚besser‘ darin seien, solche Aufgaben zu übernehmen. Es ist ein Muster, das sich in vielen Familien eingeschlichen hat und oft erst auffällt, wenn Frauen bewusst Grenzen setzen. Aber es gibt auch erfreuliche Entwicklungen: In immer mehr Familien wird die Arbeit mittlerweile partnerschaftlich aufgeteilt, was Studien zufolge zu weniger Stress und mehr Zufriedenheit führt. Dennoch sind solche Beispiele bislang die Ausnahme: Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) tragen Frauen in Deutschland weiterhin etwa zwei Drittel der unbezahlten Care-Arbeit. Dazu gehört nicht nur das Kochen oder Putzen, sondern auch die gedankliche Vorarbeit, die sogenannte ‚Mental Load‘. Genau diese unsichtbaren Aufgaben werden nicht als Arbeit wahrgenommen, belasten Frauen aber enorm.

Umso wichtiger ist es, dass wir diese Muster gemeinsam hinterfragen. Es geht nicht darum, Schuld zu verteilen, sondern ein Bewusstsein zu schaffen: Care-Arbeit ist eine Aufgabe, die besser geteilt werden sollte – nicht nur, um Frauen zu entlasten, sondern auch, um eine partnerschaftlichere und ausgewogenere Lebensweise für alle zu fördern.

 

Die unsichtbare Arbeit, die Frauen leisten, hält unsere Gesellschaft zusammen – doch wird sie kaum wahrgenommen.

Katharina Pommer

Wie können wir als Gesellschaft diese Arbeit mehr wertschätzen und sichtbar machen?
Der erste Schritt ist, diese Arbeit zu benennen und anzuerkennen, dass sie nicht selbstverständlich ist. Die unsichtbare Arbeit, die Frauen leisten, hält unsere Gesellschaft zusammen – und doch wird sie kaum wahrgenommen. Wir müssen sie sichtbar machen, ob in Partnerschaften, in Unternehmen oder in der Politik. Gleichzeitig sollten wir Strukturen schaffen, die diese Arbeit fair verteilen, etwa durch flexible Arbeitszeitmodelle oder eine gerechtere Verteilung von Elternzeit.

Wie können Frauen diesem Muster entkommen?
Viele Frauen versuchen, alles gleichzeitig zu schaffen – und fühlen sich am Ende ausgebrannt. Als Psychologin sehe ich oft, dass Frauen ihre eigenen Bedürfnisse gar nicht mehr spüren, weil sie sich so auf die der anderen konzentrieren. Ein erster Schritt ist, Prioritäten zu setzen und sich zu fragen: ‚Muss ich das wirklich machen?‘ oder ‚Kann ich das abgeben?‘. Es geht nicht darum, egoistisch zu sein, sondern eine gesunde und stabile Balance zwischen Fürsorge für andere und Fürsorge für sich selbst zu finden.

Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft aus? Gibt es Hoffnung auf ein Umdenken in der Gesellschaft oder müssen Frauen weiterhin die Last tragen, „sich um alles zu kümmern“ – auch um sich selbst?
Ich bin überzeugt, dass wir an einem Wendepunkt stehen – nicht nur, was die Geschlechterrollen betrifft, sondern insgesamt, wie wir unsere Gesellschaft organisieren und welche Werte wir priorisieren.

Ein revolutionärer Ansatz wäre, Care-Arbeit vollständig neu zu denken und als eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe zu begreifen. Stellen wir uns vor, wir hätten ein System, in dem alle Formen der Care-Arbeit – von der Kinderbetreuung über die Pflege von Angehörigen bis hin zu ehrenamtlichem Engagement – nicht nur moralisch, sondern auch ökonomisch honoriert werden. Zum Beispiel könnten wir ein Modell entwickeln, bei dem Care-Arbeit in die Rentenberechnung einfließt, ähnlich wie es in skandinavischen Ländern bereits ansatzweise umgesetzt wird. Oder ein steuerfreies Grundgehalt für alle, die nachweislich Care-Arbeit leisten, unabhängig davon, ob sie diese im familiären oder beruflichen Kontext erbringen. Solche Maßnahmen wären ein starkes Signal: Deine Arbeit zählt. Dein Beitrag ist essenziell.

Außerdem bin ich der Meinung, dass eine bessere Verteilung der Care-Arbeit nicht nur Frauen entlastet, sondern auch Männern neue Möglichkeiten gibt. Studien zeigen, dass Männer, die aktiv in Care-Arbeit eingebunden sind, stärkere Bindungen zu ihren Kindern und eine höhere Lebenszufriedenheit erfahren. Wir könnten also eine Kultur schaffen, in der Fürsorge und Verantwortung nicht länger als Bürde, sondern als Privileg gesehen werden.

Es geht letztlich um mehr als nur Entlastung. Es geht darum, Menschen in ihrem Wert anzuerkennen. Wenn jemand das Gefühl hat, dass seine Arbeit – sei es als Mutter, Vater, Pflegekraft oder Lehrer – wirklich geschätzt wird, entsteht etwas ganz Entscheidendes: das Gefühl von Selbstwirksamkeit und Bedeutung. Und genau das brauchen wir, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in schwierigen Zeiten zu stärken. Denn wer sich wertgeschätzt fühlt, bringt sich aktiver ein, fühlt sich als Teil einer größeren Gemeinschaft und trägt zur Stabilität der Gesellschaft bei.

Selbstfürsorge ist die Grundlage, um langfristig für andere da sein zu können.

Katharina Pommer

Wie könnte man „Care-Arbeit“ gerechter zwischen den Geschlechtern verteilen?
Care-Arbeit gerecht zu verteilen beginnt mit der Erziehung. Kinder sollten von Anfang an lernen, dass Fürsorge nicht an ein Geschlecht gebunden ist. In Partnerschaften hilft es, Aufgaben klar aufzuteilen und regelmäßig darüber zu sprechen, ob die Balance noch stimmt. Und auf gesellschaftlicher Ebene brauchen wir Modelle, die Männer stärker in die Verantwortung einbinden – wie Elternzeit für Väter, die nicht nur auf dem Papier existiert.

Wie schafft man es als Frau, sich abzugrenzen und sich weniger verantwortlich zu fühlen?
Das Wichtigste ist, zu verstehen, dass Abgrenzung keine Schwäche ist, sondern eine Stärke. Es bedeutet, Verantwortung bewusst zu teilen und sich selbst genauso ernst zu nehmen wie andere. Viele Frauen haben Angst, dadurch als ‚egoistisch‘ zu gelten. Aber Selbstfürsorge ist die Grundlage, um langfristig für andere da sein zu können. In meinem Buch zeige ich, wie man mit kleinen Schritten beginnt – sei es, Nein zu sagen, oder Aufgaben abzugeben. Es ist ein Prozess, aber er lohnt sich.