10 Jahre Botox: So giftig ist es - und so verbreitet

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Wer Botox hört, hat sofort die Gesichter derjenigen vor sich, bei denen die Behandlung nach hinten losgegangen ist. Carla Bruni war so ein Fall, Meg Ryan, aber auch vermeintlich harte Kerle wie Mickey Rourke sahen teilweise aus als könnte nicht einmal ein Haufen nackter Außerirdischer sie noch zu einem Stirnrunzeln veranlassen. Seit zehn Jahren ist das Schönheitselixier mittlerweile auch in Deutschland zur Faltenbehandlung zugelassen, und immer mehr Menschen greifen nach dem Nervengift, das in seiner ursprünglichen Form tödlich und stärker ist als jedes andere.

Entdeckt wurde das Botulinumtoxin, wie Botox eigentlich heißt, schon 1820 vom Landarzt Justinus Kerner. Er erkannte als erster den Zusammenhang zwischen Todesfällen, die durch eine Lähmung der Atmung eintrafen, und dem Genuss verdorbener Lebensmittel. „Wurstgift“ (lat. botulus = Wurst und toxin = Gift) nannte er das tödliche Nervengift damals ziemlich unglamourös, das entsteht, wenn mit einem Bakterium verunreinigte Lebensmittel unter Sauerstoffabschluss aufbewahrt werden. In Deutschland infizieren sich noch heute etwa 30 Menschen pro Jahr mit Botulinumtoxin, ein bis zwei überleben das nicht. Schon ein Zehnmillionstelgramm reicht aus, um den Körper vollständig zu lähmen.

Ein Gift avanciert zum Schönheitselixier

Was also ist passiert, damit aus dem gefährlichsten aller Nervengifte ein Antifaltenmittel wurde, das sich längst nicht mehr nur alternde Promis und gut betuchte Mitglieder der High Society leisten? „Das ist alles eine Frage der Dosierung“, sagt Prof. Raymund Horch vom Universitäts-Klinikum Erlangen und Präsident der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen. Das Botulinumtoxin wird biotechnologisch gewonnen und nur sehr stark verdünnt verabreicht, „abhängig von verschiedenen Faktoren wie Gewicht und Konstitution.“

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Der Arzt spritzt es in die Gesichtsmuskeln, die die unerwünschten Falten verursachen. Der Muskel erschlafft, die Faltentiefe nimmt ab und die Haut wirkt frischer. „Das ist der Effekt, den die meisten Leute heute haben wollen. Das kann man nicht mehr mit früher vergleichen, als man sich mit der Dosierung noch nicht so gut auskannte und die Leute teilweise nicht mehr die Augen schließen konnten oder die Mundwinkel herabhingen.“

Der Markt boomt

Rund eine Million Menschen in Deutschland haben sich Botox schon einmal aus ästhetischen Gründen spritzen lassen, der Markt wächst jährlich um circa zehn Prozent. Geschätzte 80 bis 90 Prozent aller Dermatologen haben das Nervengift im Angebot, kleinere Behandlungen gibt es schon unter 200 Euro. Dabei soll das Botulinumtoxin längst nicht mehr nur runzlige Gesichter glattbügeln, es ist auch für so unterschiedliche medizinische Indikationen wie Blasenschwäche, krankhaftes Schwitzen, chronische Migräne, Schiefhals oder Lidkrampf zugelassen. Ein Milliardengeschäft, welches den Marktführer Allergan unter die weltweit vielversprechendsten Pharmaunternehmen gebracht hat. Marktwert: 160 Milliarden US-Dollar.

Die Entdecker gingen leer aus

Tragisch irgendwie, dass ausgerechnet die beiden Personen nichts vom Kuchen abbekommen, die das Ganze erst ins Rollen gebracht haben. 1991 war das, als der Hautarzt Alastair Carruthers aus Vancouver mit seiner Frau Jean rein zufällig auf die faltenglättende Wirkung von Botox stieß. Bis dahin hatte er es nur verwendet, um zwanghaftes Blinzeln, unkontrolliertes Zucken der Augenlider und Schielen seiner Patienten zu behandeln. Pech für ihn, dass er sich die Behandlung nicht patentieren ließ – seine Zornesfalte wird er aber sicher im Griff haben.

Zornesfalten & Co. stören schon die Jungen

Und sie ist es laut Prof. Horch tatsächlich oft, die viele Menschen in die Botox-Praxen treibt. „Es stört sie, wenn sie zornig dreinblicken, es aber gar nicht sind. Genauso, wie es sehr fröhliche Menschen gibt, deren Mundwinkel von Haus aus nach unten gezogen sind. Das wollen sie dann korrigieren.“ Nicht selten sind die Leute unter 30 und damit viel jünger als früher, als sich die meisten erst mit Mitte 40 oder 50 beim Dermatologen vorstellten.

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Ein Schritt, der immer normaler geworden ist und auch immer wieder Diskussionen darüber auslöst, ob bei manchen nicht eine psychologische Behandlung angemessener wäre als der oft mehrmalige Griff zur Spritze. „Wenn jemand unrealistische Erwartungen hat oder glaubt, nur so seine soziale Akzeptanz steigern zu können, wird ein seriöser Arzt da natürlich eingreifen.“

Das sind die Gefahren

Genauso, wie er zur Stelle sein muss, wenn tatsächlich einmal etwas schief geht. Etwa, weil die verabreichte Dosis dann doch zu stark war oder beim Spritzen ein Blutgefäß getroffen wurde. Die Patienten leiden dann an Übelkeit oder Kopfschmerzen, in schlimmeren Fällen geht das bis zu Schluckstörungen, Sprechstörungen und dem Sehen von Doppelbildern. „Es gab schon Fälle, in denen Betroffene über einen längeren Zeitraum künstlich beatmet werden mussten.“ Ungut, wenn man sich da zwischen Sektbeschwipsten Gästen auf einer Botox-Party befindet und nicht etwa bei einem Arzt. Obwohl auch das manchmal nicht ausreicht. Da das Botox seine Wirkung erst nach einem bis zu sieben Tagen entfaltet, kann die Vergiftung auch erst dann auftreten, wenn man längst zuhause ist.

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Im Ernstfall hilft dann nur ein aus Pferdeserum gewonnenes Antigift. Ausnahmen natürlich, die aber vor einem allzu leichtfertigen Gebrauch warnen sollten. Genau wie die berechtigten Bedenken über die Langzeitfolgen. Denn auch, wenn das Botox nach spätestens sechs Monaten vollständig abgebaut ist - bislang weiß keiner so genau, was mit einem Muskel passiert, der über Jahre immer und immer wieder lahmgelegt wird.

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(Autorin & Interview: Ann-Catherin Karg)