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"Dark Tourism“ in Tschernobyl: Selfies und Nacktfotos sorgen für Entrüstung

Der Trend, möglichst düstere Orte mit dramatischer Vergangenheit zu bereisen, hat Tschernobyl erreicht und auch auf Instagram sieht man immer mehr Schnappschüsse aus der ukrainischen Geisterstadt Prypjat. Leider zeigen nicht alle den nötigen Respekt. Nun hat der Produzent der HBO-Serie “Chernobyl“ reagiert.

Besucher stehen neben einem Geschäft mit Souvenirs am Checkpoint Dytyatky in der Sperrzone von Tschernobyl in Pripyat. (Bild: ddp)
Besucher stehen neben einem Geschäft mit Souvenirs am Checkpoint Dytyatky in der Sperrzone von Tschernobyl in Pripyat. (Bild: ddp)

Die aktuelle HBO-Serie “Chernobyl“ hat der ukrainischen Geisterstadt Prypjat wieder einen Platz im kollektiven Gedächtnis verschafft. 33 Jahre, nachdem die Kleinstadt nach dem dramatischen Reaktorunglück von Chernobyl (im Deutschen auch: Tschernobyl) geräumt wurde, reisen regelmäßig ganze Busse voller Touristen an, um sich die verlassenen Gebäude und Hinterlassenschaften der weiterhin unbewohnbaren 30-Kilometer-Zone anzusehen. Und um Fotos zu machen, viele Fotos – die dann, so will es die Gewohnheit, auch häufig auf Instagram landen. Unter dem Hashtag #Chernobyl findet man mittlerweile über 275.000 Beiträge, zu denen täglich neue hinzukommen – und von denen leider nicht alle der Katastrophe von 1986 den notwendigen Respekt zollen.

“Dark Tourism”: TV-Serie sorgt für Tourismus-Boom in Tschernobyl

Von lächelnden Selfies auf dem verlassenen Rummelplatz von Prypjat über halbnackte Dessous-Shots bis hin zu Witzen über Evakuierungsüberbleibsel finden sich alle möglichen typischen Touri-Bilder, deren Fotografen offenbar vergessen haben, dass sie sich an dem Ort befinden, an dem sich der schwerste Unfall in einem Kernkraftwerk mit katastrophalen gesundheitlichen und ökologischen Folgen ereignet hat, die noch immer nicht vollständig absehbar sind. Bis heute bleibt auch die wahre Zahl der Todesopfer des Super-Gaus im Dunkeln – manche der Instagram-Fotografen scheinen sich dafür aber sowieso nicht zu interessieren.

“Auf der Suche nach meiner nächsten Rave-Location“, heißt es etwa unter diesem Post vom Reaktorgelände, während eine andere Userin mit einem zerstörten Fernseher posiert: “Endlich berühmt im Fernsehen.“

Sehr viel Gegenwind erhält diese Instagram-Nutzerin in den Kommentaren zu ihrem Halbnackt-Shoot, der offenbar in der Sperrzone stattgefunden hat:

Dagegen scheinen solche “lustigen“ Szenerien schon fast harmlos:

Assoziationen mit “Yolocaust“

Die Attraktivität des so genannten “Dark Tourism“ erklärt sich, so Wissenschaftler, grundsätzlich durch die physische Nähe zu einem Ort mit tragischer Geschichte: “Die Motivation für solche Besuche ist der Wunsch nach wahrhaftigen oder symbolischen Begegnungen mit dem Tod“, erklärte John Lennon, Autor des Buchs “Dark Tourism“ im “Daily Telegraph“. Die geschmacklosen Bilder von Tschernobyl-Besuchern erinnern allerdings mehr an die respektlosen Fotos, die Reisende vom Holocaust-Mahnmal in Berlin posteten und die Künstler Shahak Shapira im Kunstprojekt “Yolocaust“ verarbeitete: Dabei setzte er die strahlenden Touri-Selfies und Fotos von Turn- und Yoga-Übungen am Mahnmal vor den Hintergrund tatsächlicher Bilder aus dem Holocaust.

Serien-Meisterwerk "Chernobyl": Wir sind so ignorant wie damals

“Chernobyl“-Produzent reagiert auf die Geisterstadt-Selfies

Craig Mazin, einer der Produzenten der HBO-Serie “Chernobyl“, die für das wachsende Interesse an Reisen ins Sperrgebiet mitverantwortlich gemacht werden, hat mittlerweile übrigens auf die fragwürdigen Bilder reagiert und auf Twitter einen Appell an die Besucher gerichtet:

“Es ist wunderbar, dass #ChernobylHBO eine Welle des Tourismus in die Sperrzone von Tschernobyl gebracht hat. Aber ja, ich habe die Fotos gesehen. Wenn ihr dorthin reist, denkt bitte daran, dass sich dort eine schreckliche Tragödie ereignet hat. Begegnet allen, die gelitten und geopfert haben, mit Respekt.“

VIDEO: Tschernobyl - Tourismus boomt dank Mini-Serie