Einladung zur Reise: Die Fondation Beyerle führt durch das Gesamtwerk des Kosmopoliten Henri Matisse
Wer in diesen tristen Winterwochen den Wunsch nach Wärme, Licht und Farbe hegt, sollte einen Besuch in der Schweiz planen. In Riehen bei Basel bietet die Fondation Beyerle mit der umfassenden Werkschau „Matisse: Einladung zur Reise“ hochdosiertes, zu Gemälden verarbeitetes Vitamin D: Der Blick der ersten Matisse-Retrospektive seit über 20 Jahren im deutschsprachigen Raum richtet sich nämlich auf das Licht, das der Künstler in seinen unzähligen Reisen quer über den Erdball suchte, und den damit verbundenen Farbeinsatz, der seine Gemälde unnachahmlich zum Leuchten brachte.
Henri Matisse – ein ewig Reisender auf der Suche nach dem idealen Licht
Als Ausgangspunkt der Ausstellung, die Matisses Werke als einen poetischen Akt des Reisens widerspiegelt, dient Charles Baudelaires Gedicht „L’Invitation au voyage“, auf das Matisse in seinem Œuvre immer wieder zurückkommt. Mit dem Gesamtwerk des französischen Lyrikers war Matisse eng vertraut, 1943 fertigt er die Illustrationen zu einer epochalen Ausgabe mit ausgewählten Gedichten aus Baudelaires „Les Fleurs du Mal“ an. In den besagten Zeilen skizziert Baudelaire nicht nur eine imaginäre Reise zu einem idealisierten Ort, der Schönheit und Harmonie verspricht, sondern kreist auch leitmotivisch um die Begriffe „Überfluss“, „Ruhe“ und „Genuss“, die sich als Sujets auch in Matisses Gesamtwerk wiederfinden.
Einer Reise gleich führt die Ausstellung durch sämtliche Schaffensphasen des Künstlers: Beginnend bei den um 1900 entstandenen Bildern der Frühzeit, vorbei an den fauvistischen sowie den experimentellen Werken der 1910er Jahre, setzt sie ihre Koordinaten auch in der Bildhauerei, in der Zeichnung, Illustration und Matisses Kunstfertigkeit des Scherenschnitts, umfasst so also auch das Spätwerk der 1940er und 1950er Jahre.
Besuchende bewegen sich im Rahmen zahlreicher Hauptwerke Matisses entlang seiner unzähligen Routen – immer den vielseitigen Charakterzügen des Sonnenlichts, ja gar dem idealen Licht hinterherreisend. Im Norden Frankreichs, in Le Cateau-Cambrésis, aufgewachsen, suchte er es zunächst im mediterranen Süden des Landes – und fand es. Es zog ihn nach Italien, Spanien und Nordafrika – dort fand er es. Er reiste nach New York, durch die gesamten USA hinweg, schließlich nach Panama, Martinique und Guadeloupe bis in die Südsee – und fand es, dort in seiner prägendsten Version. „Ich bin häufig in der Fantasie gereist, und da das Hauptziel meiner Arbeit ja die Klarheit des Lichts ist, habe ich mich gefragt: ‚Wie mag das Licht auf der anderen Seite der Hemisphäre sein?‘“, reflektierte Henri Matisse seinen Besuch auf Tahiti.
Während Baudelaire in „L’Invitation au voyage“ einen Raum für Illusionen eröffnete, wurden für Matisse diese Tagträume auf seinen Reisen zur künstlerischen Realität. Mit dem Entdecken, Erforschen und Festhalten von Licht, dessen Strahlkraft und Wirkung auf Farbe, erweckte Matisse die Idee eines inneren Paradieses zum Leben. Neue Naturräume, Kulturen und Bildtraditionen griff er in seiner Malerei auf und übersetzte sie in eine universelle Bildsprache. Das offene Fenster als immer wiederkehrendes Motiv in seinen Gemälden, durch das hindurch er seine Reisen unternimmt, legt davon exemplarisch Zeugnis ab.
Die Ausstellung inszeniert Matisses Arbeiten also in Anlehnung an diese poetische Vision, die das Reisen in ein sinnliches Erlebnis des Sehens und Fühlens transformiert, zeigt, wie seine Werke durch Begegnungen mit exotischen Farben, Texturen und Ornamenten bereichert wurden. In der Befreiung der Farbe vom Motiv und in der Vereinfachung der Formen definierte Matisse die Malerei schrittweise neu und setzte der Moderne in ihrer Entwicklung entscheidende Impulse.
Mehr als nur Matisse
Doch sehenswert ist nicht nur die aktuelle Ausstellung. Wer noch nie im von Renzo Piano entworfenen Museumsgebäude der Fondation Beyerle war – inmitten eines idyllischen Parks mit altem Baumbestand und Seerosenteichen gelegen – wird schnell bemerken, dass ein Besuch auf ganzheitliches Empfinden ausgelegt ist, nicht nur für’s Auge, auch für das Naturerleben und -fühlen. Die Lage inmitten eines Erholungsgebiets mit Aussicht auf Kornfelder und Rebberge an den Ausläufern des Schwarzwalds schafft eine unvergleichliche Verbindung von Kunst, Architektur und Natur.
Die Henri-Matisse-Ausstellung wird über die Winterwochen hinweg zudem von einem inspirierenden Rahmenprogramm begleitet. So können unter „The Art of Meditation“ Frühaufsteher*innen das Museum bereits ab 8.45 Uhr in morgendlicher Ruhe, begleitend zu Entspannungsmeditationen, erleben. Die Freitagabende bieten unter „Friday Beyeler“ die Plattform zu Austausch und Gespräch, indem das Museum zu einem Ort gemeinsamen Entdeckens wird, wozu wechselnde Gastgeber*innen aus Kunst- und Kulturbetrieb mit individuellen Matisse-Programmen thematische Impulse setzen. Neben Kunstfrühstücken im Dezember und Januar, ermöglicht auch die Museumsnacht am 17. Januar Spotlight-Touren durch die Ausstellung, das „Atelier Matisse“ inspiriert anschließend zum kreativen Gestalten. Ein Highlight: Im „Erzählcafé“ können Sie im November und Januar im Rahmen ausgewählter Werke von Matisse selbst über Ihre kleinen und großen, inneren und äußeren Lebensreisen berichten, Ihre Erfahrungen und Anekdoten – generationenübergreifend – teilen.
Die Ausstellung „Matisse – Einladung zur Reise“ läuft noch bis zum 26. Januar 2025 in der Fondation Beyerle bei Basel. Nähere Informationen zum Rahmenprogramm finden Sie unter www.fondationbeyerle.ch