Experten( )Wissen: Demenz - Wen sie betrifft, was sie bedeutet und wie du vorbeugen kannst
Der Neurologe Prof. Dr. med. Johannes Levin im Interview
Mit der #bademantelchallenge hat die Deutsche Demenzhilfe eine bundesweite Aktion gestartet, die auf die Situation von Demenzkranken und deren Angehörigen aufmerksam machen und Spenden generieren soll. Dafür posten ganz normale Menschen und Prominente wie Ilka Bessin, Steffen Hallaschka oder Martin Rütter Fotos von sich im Bademantel – nicht zuhause, sondern an allen möglichen Orten. Was die Krankheit bedeutet und wie man ihr begegnen kann, erklärt der Neurologe Prof. Dr. med. Johannes Levin im Interview mit Yahoo Life!
Was ist Demenz überhaupt?
“Es gibt nicht die Demenz, sondern tatsächlich viele Formen davon“, sagt Prof. Levin. Es handle sich dabei um einen Überbegriff für diverse Krankheiten, die alle zu einem fortschreitenden Absterben von Nervenzellen führen. Die bekannteste und am weitesten verbreitete Form ist Alzheimer, die zwei Drittel aller Patient*innen betrifft. Daneben gibt es weitere Formen wie die Frontotemporale Demenz, die Vaskuläre Demenz und die Lewy-Körperchen-Demenz. Während eine Demenz in den allermeisten Fällen ältere Menschen betrifft, können auch schon Jugendliche und sogar Kinder an Demenz erkranken.
Wie viele Menschen sind betroffen?
Um auf die Krankheit aufmerksam zu machen, posten Prominente wie Steffen Hallaschka unter dem #bademantelchallenge Fotos von sich in Bademänteln auf Instagram. Laut Prof. Levin lebten im Jahr 2021 schätzungsweise 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenz in Deutschland. Mit 1,7 Millionen Betroffenen war der Großteil davon mindestens 65 Jahre alt. Auch, da die Menschen immer älter werden, dürften die Zahlen in Zukunft immer weiter steigen. “Gemäß Prognosen könnte die Anzahl der Betroffenen im Alter ab 65 Jahren im Jahr 2030 auf bis zu 2 Millionen ansteigen, im Jahr 2040 auf bis zu 2,4 Millionen und im Jahr 2050 bis zu 2,8 Millionen erreichen“, so der Neurologe. Zu einer ähnlichen Prognose kommt die Deutsche Alzheimer Gesellschaft, wie folgende Grafik zeigt.
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Das ganze Ausmaß des Problems beleuchtet ein Blick auf die weltweiten Betroffenenzahlen samt entsprechender Prognose. Expert*innen schätzen, dass 2019 mehr als 55 Millionen Menschen ab 40 Jahren an Demenz erkrankt waren. Laut Prognosen könnte diese Anzahl der Betroffenen bis 2030 auf rund 78 Millionen wachsen und im Jahr 2050 fast 140 Millionen Menschen betreffen.
Prof. Levin weist auch auf einen signifikanten Unterschied zwischen den Geschlechtern hin: “Rund zwei Drittel aller Menschen mit Demenz sind Frauen“, sagt er. Und betont, dass Demenz eben nicht nur ältere Leute betrifft. 2018 gab es in Deutschland schätzungsweise 73.000 Menschen mit Demenz, die zwischen 30 und 64 Jahre alt waren. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO waren 2019 rund 6,8 Millionen Betroffene weltweit zwischen 40 und 64 Jahren. Fälle unter Kindern und Jugendlichen seien zum Glück "sehr selten“, so Prof. Levin weiter.
Das sind die Symptome
"Zu den möglichen Symptomen gehören Gedächtnis- und Orientierungsprobleme, Sprachstörungen, Minderungen des Denk- und Urteilsvermögens sowie Veränderungen der Persönlichkeit“, fasst Prof. Levin zusammen. Eine Demenz gehe immer mit einer Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeiten und schwerwiegenden Folgen einher. Sei die Krankheit weiter fortgeschritten, könnten die Betroffenen ihren Alltag nicht mehr alleine bewältigen und wären zunehmend auf fremde Hilfe angewiesen, beziehungsweise pflegebedürftig.
Wer kann die Diagnose stellen?
Im Fall eines Verdachts auf Demenz sollten Betroffene eine*n Neurolog*in oder eine*n Psychiater*in aufsuchen. Daneben gibt es auch sogenannte Gedächtnisambulanzen, in denen genauere Untersuchungen und Tests wie zum Beispiel der “Mini Mental Status Test“ durchgeführt werden. Bei Anzeichen für eine Demenz wäre der zweite Schritt die Klärung der Ursachen beziehungsweise der Frage, um welche Form der Erkrankung es sich genau handelt. “Hier kommen Blutuntersuchungen, Computertomographien oder MRTs zum Einsatz“, erklärt Prof. Levin. In einzelnen Fällen könnte auch das Nervenwasser im Hinblick auf spezielle Biomarker untersucht werden.
Das ist der Verlauf von Alzheimer
Der Verlauf von Alzheimer als häufigste Form der Demenz wird von Mediziner*innen in drei Phasen eingeteilt. Prof. Levin: “In der frühen Phase wirken Betroffene häufig bedrückt: Die Veränderungen lösen Kummer, Angst und Scham aus.“ In diesem Stadium könne die Erkrankung einer Depression ähneln, wobei dabei keine Sprachstörungen aufträten, die Betroffene allerdings oft zu überspielen versuchten.
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In der mittleren Phase leide zunehmend das Sprachverständnis, wobei Schritt für Schritt auch das Orientierungsvermögen, berufliche Fertigkeiten oder Fähigkeiten wie zum Beispiel Autofahren verloren gingen. Nach dem Kurzzeit- ist auch das Langzeitgedächtnis immer mehr betroffen und es treten Persönlichkeitsveränderungen auf. Betroffene sind dann “häufig nervös und rastlos, aber auch misstrauisch, gereizt und zuweilen enthemmt oder aggressiv“, weiß der Mediziner.
Dazu werden die Patient*innen von einer motorischen Unruhe befallen, die sie rastlos umherwandern lässt. Im Spätstadium würden Betroffene immer mehr zu bettlägerigen Pflegebedürftigen, die nur noch wenig oder gar nicht mehr sprechen könnten. Was sie dann noch am ehesten erreicht? Musik, Gerüche oder Gebete.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Für Demenzkranke empfehlen sich mehrere Therapieformen wie Gedächtnistraining, Ergotherapie, Logopädie sowie Physio-, Verhaltens-, Musik- und Kunsttherapie. Im Idealfall werden Angehörige im wertschätzenden Umgang mit den Erkrankten geschult und sollten bei der Pflege unterstützt und entlastet werden.
Begleitend dazu bekommen Betroffene Medikamente, die das Absterben der Nervenzellen aber nicht ursächlich bekämpfen können. Sie wirken stattdessen stabilisierend und sollen die psychischen und verhaltensbezogenen Symptome vor allem bei Alzheimer abmildern. Für Europa erwartet Prof. Levin in den kommenden Monaten die Zulassung von Medikamenten, die in den USA bereits verabreicht werden.
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Dabei handle es sich um spezielle Antikörper-Präparate, die die sogenannten Amyloid-Plaques als Hauptursachen für den Untergang der Nervenzellen beseitigen könnten. Mit ihrer Hilfe soll der Fortschritt der Erkrankung deutlich hinausgezögert werden. “Für Formen von Demenz, deren Ursache nicht die Alzheimer- oder die Parkinson-Krankheit ist, gibt es bis jetzt keine spezifischen medikamentösen Therapien“, bedauert der Mediziner.
Vorbeugung
Ganze 40 Prozent aller Demenzerkrankungen könnten entweder ganz vermieden oder zumindest hinausgezögert werden, ist sich Prof. Levin sicher. Was es dafür bräuchte? “Günstige Lebensgewohnheiten und Maßnahmen gegen Risikofaktoren“. Beeinflussbare Risikofaktoren von Demenz seien ganz konkret unter anderem folgende: “Bluthochdruck, Übergewicht, Diabetes, Luftverschmutzung, Bildungsarmut und mangelnder sozialer Kontakt.“
Unser Experte: Prof. Dr. med. Johannes Levin
Prof. Levin ist Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Der Facharzt für Neurologie mit Zusatzbezeichnung Neurologische Intensivmedizin leitet außerdem die Ambulanzen für kognitive Neurologie und für Bewegungsstörungen am LMU Klinikum München.
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