Experten( )Wissen: Kann ein Ohrgeräusch auf eine koronare Herzerkrankung hinweisen?
Der Kardiologe Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer im exklusiven Interview
Im britischen Mirror nannte der Kardiologe Dr. Michael Miller von der University of Maryland School of Medicine kürzlich ein mögliches Symptom einer koronaren Herzerkrankung, das wohl die wenigsten auf dem Schirm haben: ein Ohrgeräusch, welches vor allem beim Einschlafen zu hören sein soll. Im Gespräch mit Yahoo Life! erklärt der Kardiologe Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer, was es damit auf sich hat und welche weiteren Warnsignale es gibt.
Was ist die koronare Herzerkrankung?
Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer: Zunächst einmal zum Hintergrund: Die Blutgefäße, die das Herz versorgen, muss man sich vorstellen wie Benzinleitungen, die einen Motor versorgen. Das Herz ist der Motor und die Herzkranzgefäße oder auch Koronargefäße, sind die Benzinleitung des Herzmuskels. Corona heißt der Reif, und die Kranzgefäße umschlingen den Herzmuskel wie ein Reif oder Kranz.
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Wenn die Koronararterien erkranken, liegen Verkalkungen der Herzkranzgefäße vor. Wenn diese sehr ausgeprägt ist, kann es zu Verengungen und Verschlüssen kommen und der Herzmuskel wird nicht mehr ausreichend durchblutet.
Wie viele Betroffene gibt es in Deutschland?
Am plötzlichen Herztod sterben jedes Jahr 65.000 Patienten, bei 80 Prozent dieser Patienten ist die Ursache eine koronare Herzerkrankung. Insofern ist die koronare Herzerkrankung eine wirklich gefährliche Erkrankung, die deutschlandweit etwa 5 Millionen Menschen betrifft. Das Schöne ist: Man kann sie gut behandeln. Man muss sie nur früh erkennen.
Sind darunter viele Patienten, die gar nichts von ihrer Herzkrankheit wussten?
Gerade beim plötzlichen Herztod oder Herzinfarkt als Maximalvarianten einer Herzkranzgefäßproblematik, bei der sich ein Herzkranzgefäß verschließt, haben die Patienten häufig erstmals Symptome. Oft ist zuvor also nicht bekannt, dass sie herzkrank sind.
Experten( )Wissen: Wie kann es beim Schreien während eines Konzerts zum Lungenschaden kommen?
Bei diesen Patienten schon im Vorfeld aufzuklären und zu behandeln, ist die wirklich große Chance, um die Erkrankungshäufigkeit und Sterblichkeit zu reduzieren. Und das ist ja auch die Aufgabe der Deutschen Herzstiftung, die Menschen so aufzuklären, dass sie eine Gesundheitskompetenz erwerben. Um einschätzen zu können, ob sie prinzipiell gefährdet sind oder nicht.
Was sind denn die Risikofaktoren?
Im Volksmund haben immer die, die dick sind und rauchen, ein Problem, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Ganz viele Menschen, die alles richtigmachen, können trotzdem einen Herzinfarkt bekommen, weil sie Risikofaktoren haben, die genetisch bedingt sind. Wenn Vater, Mutter oder Geschwister schon eine Herzkranzgefäßproblematik hatten, zum Beispiel mit einem plötzlichen Herztod oder Herzinfarkt, sind die Chancen nicht gering, dass man das selbst auch hat. Die Krankheit ist also vielfach genetisch determiniert.
Sind Männer und Frauen gleichermaßen betroffen?
Die traditionelle Meinung ist immer noch, das ist ein Männerthema. Das kommt noch aus den 70er- und 90er-Jahren des vergangenen Jahrtausends, in denen der Managertod der Klassiker war. In den Studien sind es zwei Drittel Männer, ein Drittel Frauen, wobei die Frauen nachziehen. Man kann aber sagen, dass die Problematik bei ihnen später auftritt und sie auch häufiger unterdiagnostiziert sind.
Auf welche Symptome sollte man achten?
Ganz wichtig ist: Wenn ein Symptom beginnt, hat man noch die Chance einzugreifen. Wenn man es länger laufen lässt, steigt die Gefahr der Katastrophe in Form eines Herzinfarkts oder plötzlichen Herztods. Das wichtigste Symptom ist der Brustkorbschmerz, eine Brustkorbenge oder -brennen. Oder auch plötzlich auftretende Luftnot, die man sich nicht erklären kann. Dazu gibt es immer auch sogenannte vegetative Begleitsymptome wie Schwitzen, Übelkeit, Oberbauchbeschwerden. Diese Symptome sind bei Frauen etwas häufiger.
Treten diese Symptome nach Belastung auf oder auch einfach so?
Auch in Ruhe. Man kann auch nachts mit den Beschwerden erwachen, das ist dann ein absolutes Alarmzeichen.
Wie würden Sie das Ohrgeräusch einordnen, das manche Patienten beim Einschlafen hören sollen?
Patienten geben eine Fülle von Symptomen an, wobei das Ohrgeräusch am ehesten bei Patienten auftritt, die einen hohen Blutdruck haben. Es hört sich an wie ein Pulsieren. Das kommt auch bei Patienten mit einer ganz speziellen Herzklappenerkrankung vor, die aber sehr selten ist. Und es kommt auch bei Extrasystolen vor. Das heißt, es kommt ein extra Schlag des Herzens, der ungewöhnlich ist, und dadurch zu einer Änderung der Pulswelle insgesamt. Wenn etwas unregelmäßig ist, kann das ein Unruhegefühl verursachen. In diesem Fall ist es weniger ein richtiges Geräusch als ein Gefühl des unruhigen Herzschlags.
Wann sollte man sofort den Notarzt rufen und bei welchen Symptomen reicht es, einen Arzttermin auszumachen?
Wenn es zu Brustkorbdruck und Luftnot kommt, sollte man sofort die 112 wählen. Wenn es bei Belastung neu auftretend zu Brustkorbenge oder Luftnot kommt, sollte man ganz schnell einen Termin beim Kardiologen oder Hausarztnotfallzentrum ausmachen. Und wenn Sie das Gefühl des Herzstolperns haben und sonst keine weiteren Symptome, sollten Sie zeitnah beim Hausarzt vorstellig werden.
Wie sieht die Behandlung aus?
In aller Regel weitet der Kardiologe die Engstelle und setzt dort mit Hilfe eines Herzkatheters einen Stent ein, das ist die häufigste Methode. In unter zehn Prozent der Fälle, wenn die Stenosen zu zahlreich oder zu komplex sind, wird eine Bypass-Operation erforderlich.
Unser Experte: Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer
Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. Der Ärztliche Direktor des Agaplesion Bethanien Krankenhauses ist als Kardiologe am Cardioangiologischen Centrum Bethanien (CCB) Frankfurt am Main tätig.
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