Experten( )Wissen: Wie kann es beim Schreien während eines Konzerts zum Lungenschaden kommen?

Thoraxchirurg Dr. Stefan Welter im exklusiven Interview

Es sind Einzelfälle, die aber ziemlich spektakulär klingen. Besucher*innen von Konzerten geraten angesichts ihrer Lieblingsband derart in Entzücken, dass sie vor lauter Schreien einen Lungenschaden davontragen. Im Interview mit Yahoo Life erzählt der Thoraxchirurg Dr. Stefan Welter, wie so etwas passieren kann.

Teenager bei einem Konzert
Es passiert selten, aber immer mal wieder: Bei Konzerten wird so laut geschrien, dass die Lunge zusammenfällt. (Symbolfoto: Getty)

Yahoo Life: Im Jahr 2017 hat eine 16-Jährige bei einem Konzert von One Direction durch lautes Schreien einen Pneumothorax erlitten und es sind auch Fälle bekannt, in denen wummernde Bässe einen Lungenschaden verursacht haben. Wie oft kommt so etwas vor?

Priv.-Doz. Dr. Stefan Welter: Es gibt solche Fälle, aber die sind so selten, dass in der Weltliteratur nur Einzelfälle beschrieben sind. Man kann da keinerlei Prozentangaben machen.

Was genau passiert bei einem Pneumothorax?

Ein Pneumothorax ist ein in der Regel einseitiger Kollaps einer Lunge. Dieser Kollaps entsteht dadurch, dass an der Lungenoberfläche, also an der Lungenhaut, eine Undichtigkeit auftritt. Wenn zum Beispiel eine kleine Blase geplatzt ist, tritt Luft in den Brustkorb in den Raum zwischen Brustwand und Lungenoberfläche aus und die Lunge fällt zusammen.

Woran merkt man das?

Man kriegt dann schlechter Luft, man hat ein Schmerzempfinden, das kurz und stechend sein kann oder länger anhaltend, und man kann einen Hustenreiz haben. Bei gesunden Jugendlichen ist der Pneumothorax meistens weniger gefährlich. Aber bei Älteren, die schon Lungenvorerkrankungen haben, kann das auch mal lebensgefährlich sein.

Und das kann spontan auftreten, ohne dass es einer Vorerkrankung bedarf?

Es bedarf in der Regel einer Veränderung an der Lunge, die nicht einer Erkrankung entspricht, sondern anlagebedingt sein kann. Man findet zum Beispiel bei sehr schlanken großen Menschen oft an der Lungenspitze kleine Bläschen, die durch besonderes Längenwachstum auch der Lunge provoziert werden. Diese sogenannten Blebs können spontan platzen. Wann das passiert, kann man nicht vorhersagen. Man weiß aber, dass bestimmte Druckschwankungen in der Lunge dazu führen können, dass so ein Bläschen platzt.

Wodurch können diese Druckschwankungen entstehen?

Zum Beispiel durch ganz lautes Schreien. Das kommt dadurch zustande, dass die Stimmbänger eng werden, man einen hohen Luftdruck erzeugt, damit Luft an den Stimmbändern vorbeifließt und die zum Schwingen bringt. Das ist aber sehr selten. Es kann aber passieren, dass durch sehr laute Bassdruckwellen der Luftdruck in der Lunge zwischen hohem und niedrigem Luftdruck rasch wechselt. Auch das kann begünstigen, dass so ein Bläschen platzt.

Muss man diesen Bassdruckwellen dafür längere Zeit ausgesetzt sein?

Um das sagen zu können, sind die Fälle viel zu selten. Beschrieben sind nur Einzelfälle bei Rockkonzerten. Es kommt wirklich auf den Bass an, weil sich da die Frequenz der Luftdruckschwankungen tatsächlich mechanisch auf den Körper übertragen kann. Wenn man neben einer Bassbox sitzt, spürt man körperlich, wie die niedrigen Frequenzen einen zum Vibrieren bringen.

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Das Problem dabei ist nicht, dass der Brustkorb schwingt, sondern dass die Lunge durch den offenen Mund einer Druckschwankung ausgesetzt ist. Diese Druckschwankung überträgt sich in die Lunge hinein und dadurch schwankt der sogenannte transpulmonale Druck, der Luftdruck in der Lunge. Und der gelangt bis an diese Bläschen heran.

Illustration Lungen
Wegen des Unterdrucks im Brustkorb können sich die Lungen entfalten. Bei einem Pneumothorax aber gelangt Luft hinein, die eine oder im schlimmsten Fall beide Lungenflügel kollabieren lassen kann. (Illustration: Getty)

Und was passiert beim lauten Schreien?

Im Prinzip passiert etwas Ähnliches. Da wirken diese Druckkräfte nicht von außen über den offenen Mund in die Luftröhre hinein, sondern dieser Druck wird in der Lunge erzeugt, indem man den Brustkorb zusammenpresst und den hohen Luftstrom erzeugt, der die Stimme zum Vibrieren bringt und das Schreien erzeugt.

Gibt es bei einem Pneumothorax unterschiedliche Schweregrade?

Ein Pneumothorax kann bei Jugendlichen auch mal nur als Schmerzereignis und Hustenreiz bemerkt werden. Im Laufe von Tagen resorbiert sich die Luft und dann hat sich das von selbst geheilt. Es kann aber auch sein, dass das zunimmt, weil das Bläschen undicht bleibt und weiter Luft aus der Lunge austritt. Die Lunge kollabiert dann immer weiter, sodass man im Laufe von Stunden und Tagen immer mehr Luftnot bekommt. In ganz seltenen Fällen kann auch eine Blutung auftreten, aber das ist wirklich selten.

Aber im Allgemeinen ist das nicht lebensbedrohlich?

Es gibt beim Pneumothorax auch letale Fälle. Insbesondere wenn schon Lungenerkrankungen vorliegen wie schweres Asthma oder eine schwere COPD. Wenn so jemand zusätzlich einen Pneumothorax kriegt und keine Hilfe bekommt, kann er daran sterben. Aber dass jemand, der gesund ist, an einem Pneumothorax stirbt, ist extrem selten. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei unter einem Prozent.

Worin besteht die Therapie bei einem Pneumothorax?

Es gibt drei Eskalationsstufen. Die erste: Ein gesunder Patient hat einen kleinen Pneumothorax mit wenig Beschwerden. Dann macht am nächsten Tag nur eine Röntgenkontrolle und schaut, ob die Lunge sich wieder ausdehnt. Die zweite: Wenn der Pneumothorax größer ist und der Patient Beschwerden wie Luftnot hat kriegt er eine Drainage gelegt. Die Luft wird abgesagt und die Lunge entfaltet sich wieder.

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Die dritte Eskalationsstufe ist, wenn permanent Luft über die Drainage herauskommt oder die Lunge sich nicht ausdehnt, sodass man eine Operation durchführt. Da schaut man sich minimalinvasiv die Lunge an und wo das Bläschen ist. Das wird dann entfernt und die Lunge an der Stelle genäht oder geklammert. Dann macht man noch eine Klebung, wonach die Lunge mit der Brustwand verklebt ist.

Hat man danach ein größeres Risiko, wieder einen Pneumothorax zu bekommen?

Wer einmal einen Pneumothorax hatte, hat ein erhöhtes Risiko für einen weiteren. Das liegt zwischen 30 und 50 Prozent. Wenn man operiert worden ist, ist das Risiko aber auf fünf bis acht Prozent reduziert.

Woran liegt das?

Nach der Physik würde die Lunge nach unten fallen. Im Brustkorb herrscht aber ein Unterdruck, sodass die Lunge entfaltet ist. Der Unterdruck ist oben an der Lungenspitze am größten. Dort treten die größten Traktionskräfte auf, die zu einer lokalen Blasenbildung führen. Deswegen tritt das Problem des Pneumothorax immer an der Lungenspitze auf. Wenn man dort eine Verklebung induziert, sodass die Lunge gar nicht zusammenfallen kann und eine neues Bläschen nicht dazu führt, dass die Lunge kollabiert, hat man eine gute Therapie gemacht.

Was sind die Risikofaktoren?

Wichtigster Risikofaktor ist Rauchen. Und die Steigerung vom Rauchen ist Marihuana. Das ist das Einzige, bei dem man in der Literatur und der persönlichen Erfahrung beidseitig gleichzeitig auftretende Pneumothorax erleben kann. Das gibt es sonst quasi nie.

Worin liegt der Unterschied zwischen normalem Tabak und Marihuana?

Zum einen ist man in der Situation in Reflexen wie Husten gedämpft, zum anderen kann es sein, dass kleine Bronchen sich wie bei einem Asthmaanfall verändern, dahinter eine Überblähung auftritt und dadurch Bläschen eher platzen.

Im Normalfall muss man sich aber keine Sorgen machen, wenn Teenies bei Konzerten völlig ausrasten?

Nein, um Gottes willen.

PD Dr. Stefan Welter ist Experte für Thoraxchirurgie. (Foto: Lungenzentrum Hemer-Hamm)
PD Dr. Stefan Welte ist Experte für Thoraxchirurgie. (Foto: Lungenzentrum Hemer-Hamm)

Unser Experte: PD Dr. med. Stefan Welter

Der Privatdozent Dr. Stefan Welter ist Chefarzt der Abteilung Thoraxchirurgie und Leiter des Lungenkrebszentrums der Lungenklinik Hemer in Nordrhein-Westfalen. Außerdem ist er Sprecher der Sektion Thoraxchirurgie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP). Da ihm Nachhaltigkeit ein großes Anliegen ist, engagiert er sich mit seinen Mitarbeiter*innen und vielen Projekten besonders für die Entwicklung des Krankenhauses zur Klimaneutralität.

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