Experten( )Wissen: Wie erkläre ich Kindern den Krieg zwischen Israel und Gaza?

Der Krieg in der Ukraine, der Nahost-Konflikt – immer mehr Kriege und Hiobsbotschaften dominieren die Nachrichten. Auch diejenigen, die nicht direkt betroffen sind, leiden darunter und fühlen sich bedroht. Nicht selten schürt der Krieg zwischen Israel und Gaza auch die Angst vor einem dritten Weltkrieg. Doch was davon bekommen Kinder eigentlich mit und wie erklären wir ihnen, was auf der Welt vor sich geht? Eine Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychatrie schafft Lösungsansätze.

Ein palästinensischer Junge streckt seine Hand zum Zelt
Kindern den Krieg zwischen Israel und Gaza zu erklären, ist nicht einfach (Bild: REUTERS/Mohammed Salem)

Es ist wahrlich kein einfaches Thema. Krieg ist etwas, das auch Erwachsene nicht wirklich verstehen oder erklären können. Solch sensible Themen Kindern näherzubringen, ist dann wohl auch keine gute Idee, oder? "Falsch ist Verdrängung. Oder Sätze wie 'Es gibt keinen Krieg, du musst keine Angst haben’“, erklärt Liliya Butenko, Fachärztin für Kinder und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie aus Petershausen bei München. "Das ist allein aus emotionaler Sicht nicht gut.“

"Auch, wenn wir von der Weltkrise nicht unmittelbar betroffen sind, erlebe ich bei Kindern, insbesondere zu Beginn des Krieges, eine starke emotionale Betroffenheit“, sagt die Ärztin. Wie wichtig ist dann also die Aufklärung? "Was ich bei den Kindern, insbesondere im Grundschulalter, bemerke, ist, dass das Thema bereits gut und ausführlich in der Schule thematisiert worden ist. Die Kinder kommen also schon aufgeklärt in meine Praxis“, so die Expertin. Und das ist dann der Punkt, an dem die Arbeit der Eltern beginnt. "Wichtig ist, zu erfahren, wie viel die Kinder bereits wissen und dann damit zu arbeiten“, sagt Butenko. "Viel mehr Aufklärung ist gar nicht notwendig. Die Fragen kommen auch so. Es ist wichtiger ein authentisches, dem Alter gerechtes Gespräch zu führen und die Gefühle des Kindes zu berücksichtigen, als sich zu fragen: 'Was sage ich denn genau, wenn mein Kind mich fragt?’“

Gibt es einen Satz, mit dem man Kindern den Krieg erklären kann?

Laut der Expertin gibt es nicht den einen magischen Satz, den man sagen kann, um ein Thema wie Krieg zu erklären. Man müsse natürlich immer den Kontext dazu betrachten. Wichtig ist auch die intellektuelle Entwicklung des Kindes, das Alter und eben auch sein Vorwissen. "Wir können davon ausgehen, dass Kinder einen sehr authentischen und ehrlichen Umgang mit dem Tod und somit auch mit dem Leben haben“, erklärt Liliya Butenko. Oft seien es genau die Eltern, die den Kindern ungewollt diese Natürlichkeit nehmen, weil sie oft mit einem Leistungsdruck ins Gespräch gehen und glauben, alles fachmännisch erklären zu müssen. Damit nehmen sie dem Kind den Raum für seine Fragen, was natürlich unproduktiv ist. Viel wichtiger sei es, sich erst über seine eigene Haltung zum Thema Krieg Gedanken zu machen und eine Art Selbstinterview zu führen.

Kommentar: Warum eine Kita nicht mehr nach Anne Frank benannt sein will

Sich zu fragen: Wie stehe ich dazu? Wovor habe ich Angst? Was macht mich wütend? "Wenn es sich dabei um sehr starke Gefühle handelt, sind wir in diesem Moment kein guter Aufklärer für unser Kind und können im Gespräch keine Klarheit vermitteln. Das können wir nur, wenn wir diese Gefühle selbst reflektieren und verarbeiten. Wenn wir unsere eigenen Ängste geklärt haben, können wir ruhiger im Gespräch sein“, sagt die gebürtige Ukrainerin.

"Wir müssen nicht versuchen, Superman zu sein“

"Wenn man mit seinen eigenen Ängsten klarkommt (das heißt nicht, dass man keine hat) und auch mal sagt, dass man etwas in dem Moment nicht weiß, dann kann man damit dem Kind schon teilweise seine Ängste nehmen. Wir müssen nicht jemand sein, der alles weiß. Das ist falsch und unrealistisch und gibt dem Kind ein Gefühl der Pseudosicherheit. Wir müssen nicht versuchen, ein Superman oder eine Superfrau zu sein.“

"Man könnte beispielsweise sagen: 'Du hast bestimmt mitbekommen, dass es in unserer Zeit sehr viele fürchterliche Kriege gibt, was mich unglaublich wütend macht.’ Wichtig ist, dass man das aufrichtig sagt, weil es nur natürlich ist, dass man sich selbst über solche Dinge aufregt. Und dann sowas wie 'Und ja, es verunsichert dich. Wir können nicht genau wissen, wie es weitergeht. Was ich aber genau weiß, ist ...’ Und dann kann man sich auf die Dinge beziehen, die man genau weiß. Das gibt eine Balance zwischen Sicherheit und Unsicherheit, aus der wir Zuversicht schöpfen können“, so Butenko.

Ein palästinensischer Junge steht an einem Zaun seines Haus und guckt durch das Gitter
Viele Kinder sind vom Krieg in Gaza betroffen (Bild: REUTERS/Mohammed Salem)

Der Expertin zufolge ist es wichtig, Verständnis für die Gefühle des Kindes zu zeigen, indem man beispielsweise sagt: "Ja, das ist zwar nicht irgendwo, sondern schon auf unserem Planeten, und das ist ärgerlich“, im zweiten Schritt dann aber die Dankbarkeit darüber zu äußern, dass man in einem demokratischen Land wie Deutschland Sicherheit genießen darf. Zu guter Letzt sollte man sich Gedanken darüber machen, wie man miteinander umgeht und Konflikte löst.

Man könne zum Beispiel auf Streitigkeiten im Kindergarten oder in der Schule hinweisen, die von Zeit zu Zeit vorkommen, und fragen, wie das Kind diese lösen würde. "Darüber hinaus könnte man fragen: ‚Was denkst du darüber, was wäre dein Lösungsansatz? Wie könnte der Krieg ausgehen?’ Auf diese Weise fördern wir den Intellekt und die soziale Kompetenz des Kindes – und geben ihm die Möglichkeit, darüber lösungsorientiert nachzudenken, anstatt in Wut oder Verängstigung zu versinken“, erklärt die Ärztin. Bei solch rührenden Themen sei es insbesondere wichtig, an der eigenen Authentizität zu arbeiten. "Wenn man eine liebevolle Beziehung zu seinem Kind hat, kann das Gespräch nur gelingen“, sagt Butenko.

Ab welchem Alter kann man Kindern den Krieg erklären?

"Es gibt kein richtiges Alter. Da gelten die gleichen Regeln wie bei der Sexualerziehung. Das sind sensible Entwicklungsthemen. Man spricht mit dem Kind, sobald es die Fragen stellt“, erklärt Liliya Butenko.

Tipps, die Kindern helfen, Themen wie Krieg zu verarbeiten?

"Man kann das Kind malen lassen“, so Butenko. "Das Kind fragen: 'Was denkst du geht da vor? Zeichne es! Und was geht in deinem Kopf vor?“ Diese Übung eigne sich vor allem für das Kindergarten- oder Grundschulalter. Dann könne man ein bildliches Gespräch daraus machen, indem man auch Figuren dazu benutzt, um sich zeigen zu lassen, was das Kind beschäftigt. „Wenn wir das mit einem Bild oder mit einem Spiel lösen, ist das oft in Anführungsstrichen erledigt, weil das Kind die Möglichkeit bekommt, das Ganze auf seine Art zu verarbeiten. "Dann würde ich erstmal abwarten, ob weitere Fragen kommen. Es gibt keine abgeschlossene Aufklärung“, sagt die Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Lampenfieber bei Kindern: So können Eltern helfen

Bei jüngeren Kinder empfiehlt die Ärztin das Buch "Frieden – wie geht das?“. "Wir Erwachsenen können davon ebenfalls profitieren“, so Liliya Butenko. "Wenn wir über das Leben sprechen, müssen wir das Thema Tod ausgraben. Wenn wir über den Krieg sprechen, müssen wir auch über den Frieden sprechen, über unsere humanistische Haltung im Hier und Jetzt.“ Eine gute Vorlage für die Entwicklung dieser humanistischen Haltung sei das Pop-up-Buch "Jeder Mensch ist etwas Besonderes“. Man müsse den Kindern klarmachen, dass Geben besser sei als Nehmen, Zuhören besser als Streiten, Hinsehen besser als Wegsehen und auch, dass Miteinander spielen besser sei, als anderen das Spiel zu verderben. "Freundschaft ist besser als Hass. Miteinander ist das Leben schön.“

Was tun, wenn das Kind schlimme Bilder gesehen hat?

"Wenn es dazu kommt, dass ein Kind schrecklichen Kriegsszenen gesehen hat – aus welchem Grund auch immer – ist es wichtig, ganz klar Stellung zu beziehen. Zu sagen, dass das fürchterlich und ganz traurig ist, dass so etwas passiert“, erklärt Liliya Butenko. Und dann auf die Gefühle des Kindes zu achten. Wenn es sich sehr stark davon bedroht fühlt, empfiehlt die Ärztin, sich fachliche kompetente Hilfe zu suchen. Alarmzeichen seien zum Beispiel Schlafstörungen, die länger als zwei Wochen andauern.

Zur Verarbeitung des Gesehenen könne man das Kind Bilder von der Situation malen lassen – und im Anschluss diese Bilder schreddern, um sie aus seinem Kopf zu kriegen. "Man könnte sagen: 'Das ist schlimm. Es ist nicht in Ordnung, dass das auf der Welt passiert. Wir dürfen und sollen aber auch schauen, dass es uns im Moment gut geht.“ Je nachdem, was das Kind malt, können wir sehen, ob es sich bedroht fühlt. Entweder es malt Bomben oder Blitze – oder vielleicht nichts von alledem.

Man könne auch haltgebende Sätze mit dem Kind entwickeln, Sätze, die ihm guttun und diese auf ein Plakat schreiben. Als Stabilisierungsübung könnte das Kind auch sich selbst zeichnen. Dazu die Worte: "Unser Körper ist unser Schutzraum. Male einen Kokon als zweiten Schutzraum um dich herum. Dieser lässt nur Licht und Luft durch, und alles, was wir sonst brauchen. Dieser Raum ist dafür da, dass wir ihn pflegen, damit er uns vor schlechten Einflüssen schützen kann.“ Die Expertin ist überzeugt: "Das gibt dem Kind ein Schutzschild, eine Resilienz in den schlimmen Zeiten, die wir erleben.

Unsere Expertin: Liliya Butenko

Liliya Butenko ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (Foto: privat)
Liliya Butenko ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (Foto: privat)

Liliya Butenko ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. Sie hat eine privatärztliche Praxis in Petershausen bei München. Die gebürtige Ukrainerin ist Autorin und Co-Autorin von verschiedenen Veröffentlichungen in medizinischen Magazinen. Derzeit macht sie eine Ausbildung zur Resilienztrainerin, um Menschen als Psychiaterin einen präventiven Zugang zur ganzheitlichen Gesundheit (körperlich, mental, seelisch und sozial) zu zeigen.

VIDEO: Was wird aus Gazas Kindern?