Ich führe seit einem Jahr eine offene Beziehung – das hat sie mit meiner Partnerschaft gemacht
Körperliche Affären außerhalb der Partnerschaft? In offenen Beziehungen erlaubt. Kann das gut gehen?
Getty Images/Jerome Tisne,Marie* ist seit drei Jahren mit ihrem Freund zusammen, seit einem Jahr führen sie eine offene Beziehung. Sie hat uns von ihrem Beziehungsmodell erzählt und ein Resümee gezogen: Wie profitiert ihre Partnerschaft von der offenen Beziehung? Welche Probleme gibt es, worauf muss man achten? Und wie hat sich ihre Beziehung seitdem verändert? Ein Erfahrungsbericht.
* Unsere Protagonistin will anonym bleiben. Deshalb haben wir ihren Namen geändert.
Warum wir beschlossen haben, unsere Beziehung zu öffnen
Wir haben schon von Anfang an gesagt, dass wir unsere Beziehung irgendwann öffnen wollen. Ich habe durch vorherige Beziehungen schon gemerkt, dass mir Monogamie schwerfällt und nicht meinem Wesen entspricht. Irgendwann fehlte es mir einfach, neue Leute kennenzulernen und auch mit ihnen was zu haben. Dadurch fühlte ich mich dann sehr eingeschränkt. Außerdem steht eine offene Beziehung für mich nicht im Widerspruch zu der Liebe zu einer anderen Person. Ich kann sehr wohl jemanden lieben und committed sein und mich trotzdem zu anderen hingezogen fühlen. Eifersucht war für mich irgendwie nie ein Thema. In vergangenen Beziehungen war es so, dass ich immer gesagt habe: Wenn ich mich wohl und sicher fühle in der Beziehung, dann finde ich es jetzt auch nicht so schlimm, wenn er was mit jemand anderem hat. Ich hatte nie Angst, dass mein Partner fremdgeht.
Bei mir war es eine Wesenssache, bei meinem Freund eine bewusste Entscheidung. Zum einen fehlte ihm in Beziehungen davor irgendwann immer dieses Neue, Aufregende. Das kann man in einer langfristigen Beziehung einfach nicht haben. Zum anderen hält er offene Beziehungen auch für realistischer, weil man ja alleine schon in Statistiken sieht, dass Monogamie nicht gut funktioniert. Er wollte nicht, dass wir uns irgendwann trennen, nur weil eine*r von uns was mit anderen Personen haben will oder sogar fremdgeht. Für ihn ergab es mehr Sinn, wenn wir die Beziehung dann einfach öffnen und ehrlich miteinander umgehen.
"Wir wollten die offene Beziehung nicht dafür nutzen, um Probleme zu reparieren"
Wir wollten eine stabile Partnerschaft haben, bevor wir sie dann irgendwann öffnen. Wir waren zwei Jahre monogam und hatten am Anfang auch gar nicht das Bedürfnis nach einer offenen Beziehung. Irgendwann haben wir dann gemerkt, dass wir auch wieder Bock auf Flirten haben und andere Leute kennenlernen wollen. Für uns war klar, dass wir den Schritt wirklich nur gehen, wenn bei uns alles gut läuft, wenn wir uns in der Beziehung sicher fühlen, wenn es zwischen uns keine Probleme gibt und auch, wenn bei uns im Sexleben alles okay ist. Wir wollten die offene Beziehung nicht dafür nutzen, um irgendwelche Probleme zu reparieren oder zu kompensieren.
Welche Regeln wir uns vorgenommen – und schnell wieder aufgelöst haben
Am Anfang haben haben wir gesagt, dass wir nur auf Partys was mit anderen haben wollen. Der klassische One Night Stand also. Aber irgendwie hat sich das gar nicht so häufig ergeben, wie man sich immer vorstellt. Dementsprechend haben wir uns dann beide Dating-Apps heruntergeladen und sind dort auf die Suche gegangen. Dabei haben wir schnell gemerkt, dass wir beide doch mehr Interesse daran haben, Menschen nicht nur einmal, sondern auch häufiger zu sehen. Deshalb haben wir die Regeln gelockert und beschlossen, dass wir nicht mit oder bei anderen übernachten, dass wir natürlich immer mit Kondom verhüten und dass wir niemanden mit zu uns nach Hause nehmen.
Anfangs hatten wir dann noch spezifischere Regeln, die vorschreiben, wie oft man im Monat jemanden sehen darf, aber auch da schnell gemerkt: Das brauchen wir gar nicht. Für uns ergibt es mehr Sinn, in der konkreten Situation einfach drüber zu sprechen. Also: „Hey, ist es okay für dich, wenn ich am Wochenende jemanden treffe? Wie geht es dir gerade damit?“ Und dann hat es sich irgendwie so gefügt, dass wir, auch dem Alltag geschuldet, vielleicht einmal im Monat jemanden getroffen haben. Manchmal auch alle zwei Wochen. Aber es kam nie so, dass wir Personen einmal wöchentlich gesehen haben – und wir hatten auch beide gar nicht das Bedürfnis danach.
In Beziehungen wird das Dating-Leben häufig romantisiert
Ich wurde durch den Wiedereinstieg in das Dating Life sehr desillusioniert und habe schnell gemerkt: „Ach stimmt ja, ist ja gar nicht alles so rosig hier.“ In Beziehungen romantisiert man ja schnell mal, wie aufregend und cool und sexy das Dating-Leben ist – und vergisst dabei, dass Dating auch echt anstrengend sein kann. Wir haben beide am gleichen Abend das erste Mal jemanden geküsst, sind danach nach Hause gekommen und haben darüber gesprochen. Dabei mussten wir beide lachen, weil es so surreal war, weil wir beide so gut drauf waren – und haben dann direkt miteinander geschlafen. Zweimal. Irgendwie hat uns die Erfahrung beflügelt. Beim ersten Rummachen gab es also noch keine Probleme. Das kam dann erst, als wir auch wirklich mit anderen Personen geschlafen haben.
"Als ich das erste Mal mit jemand anderem geschlafen habe, war das sehr schlimm für ihn"
Ich habe gemerkt, mir macht es nichts aus, wenn mein Partner was mit anderen Frauen hat. Ich freue mich eher für ihn, wenn er einen schönen Abend hatte. Das war von Anfang an so. Ehrlich gesagt finde ich es sogar ganz hot, weil das ja auch sexy sein kann, wenn jemand unabhängig und begehrt ist. Davon profitiert auch unser Sexleben. Wenn er auf einem Date ist, liege ich jetzt nicht irgendwie wach und mache mir Gedanken. Für ihn ist das schon anders. Gerade als ich das erste Mal mit jemandem geschlafen habe, war das schon sehr schlimm für ihn. Er war sehr verletzt und hat sich auch ein paar Tage lang sehr von mir distanziert. Ich musste ihm sehr viel Bestätigung geben, dass er sich wieder sicher fühlt. Aber wir wussten von Anfang an, dass das auf uns zukommen wird. Er meinte auch, dass er das aushalten will, weil er weiß, dass es irgendwann besser wird und das solche Erfahrungen in offenen Beziehungen auch einfach dazu gehören.
Wie sich unsere Beziehung im Laufe der Zeit verändert hat
Am Anfang hatten wir sehr starre Vorstellungen von einer offenen Beziehung, weil wir vermeiden wollten, dass sich jemand dann doch in eine andere Person verliebt. Wir wollten unsere Beziehung durch bestimmte Regeln, wie dass wir Dates nur einmal treffen und auch nur Sex mit ihnen haben, schützen. Relativ schnell wurde uns klar, dass das gar nicht nötig ist und es sogar okay ist, wenn wir andere Menschen mögen oder vielleicht mal einen Crush haben. Das heißt nicht, dass wir gleich unsere ganze Beziehung infrage stellen. Ich hatte einmal eine Situation mit einem Typen, den ich ein paar Mal getroffen und gemerkt habe: „Boah, den mag ich richtig gerne.“ Trotzdem hat mich das null an meiner Beziehung zweifeln lassen. Ich hatte keine Sekunde die Sorge, dass ich jetzt nicht mehr mit meinem Freund zusammen sein will. Klar ich fand den Typen toll. Aber es war trotzdem okay für mich, ihn nur einmal im Monat zu sehen. Am Anfang wäre diese Situation nicht denkbar gewesen. Die Mauern, die wir um unsere Beziehung herum aufgebaut haben, haben wir mit der Zeit schon weiter abgebaut – auch weil die Eifersucht meines Partners nachgelassen hat. Er ist viel entspannter geworden, wenn ich was mit anderen habe und wir reden auch mittlerweile viel häufiger darüber. Er ist noch nicht hundertprozentig entspannt, er ist immer noch eifersüchtig, klar, aber es wird immer besser.
Eifersucht und Schuldgefühle haben natürlich eine Rolle gespielt
Eigentlich würde ich noch nicht mal sagen, dass uns die offene Beziehung Probleme gemacht hat. Es gab Hürden und Herausforderungen, aber die haben uns auf lange Sicht nur geholfen. Eine große Herausforderung war die Eifersucht meines Freundes und natürlich auch sein Frust. In seinen vorherigen Beziehungen lief das nicht alles so glatt, er wurde betrogen und hat davon seine Narben getragen. Durch das Öffnen der Beziehung sind sehr viel Sachen wieder hochgekommen, mit denen er sich konfrontieren musste. In der Therapie hat er viele Themen aufgearbeitet und deshalb ist es jetzt auch viel besser geworden. Vielleicht ist diese Herausforderung ja aber auch eine Chance, an Problemen zu arbeiten, derer man sich davor gar nicht bewusst war, die man davor verdrängt hat. Auf meiner Seite war es zum Beispiel auch so, dass ich immer starke Schuldgefühle hatte, wenn ich gesehen habe, wie verletzt er war. Ich habe mich gefragt, ob ich zu egoistisch bin und zu sehr an mich denke, warum ich so unbedingt eine offene Beziehung will. Daran habe ich auch in der Therapie gearbeitet – und jetzt ist es schon sehr viel besser geworden.
Wie wir von der offenen Beziehung profitieren
Bei uns beiden sind durch die offene Beziehung Probleme hochgekommen, die wir schon immer hatten. Jetzt waren wir aber gezwungen uns damit auseinanderzusetzen. Darin hat uns unsere offene Beziehung geholfen. Auch was die persönliche Weiterentwicklung und die Partnerschaft an sich angeht. Man schafft dadurch nochmal eine andere Form der Intimität. Man lernt sich auf eine neue Art kennen und macht diese Erfahrung gemeinsam, das schweißt zusammen. Das ist echt ein krasses Gefühl. Zu wissen, mein Partner der trifft sich mit anderen Frauen, hat Sex mit ihnen und entscheidet sich trotzdem immer wieder neu für mich – dadurch fühle ich mich noch mal sicherer in der Beziehung. Er bleibt bei mir, weil er bei mir bleiben will. Auch unser Sexleben ist noch mal viel besser geworden. Es ist ein verdammt schönes Gefühl, einen Freund zu haben, der mir alle Freiheiten lässt und mir vertraut. Dadurch fühle ich mich auch noch mal mehr geliebt.
Wann ich anderen zu einer offenen Beziehung raten würde – und wann lieber nicht
Eine offene Beziehung ist einfach ein authentischeres Miteinander. Ich kenne so viele monogame Beziehungen, in denen Menschen heimlich auf andere stehen, wo man vielleicht auch schon mal fremdgegangen ist, wo man Bedürfnisse hat, die man nicht ausdrückt. Im Vergleich dazu finde ich es so schön, dass ich nicht das Gefühl habe, etwas vor meinem Partner verstecken zu müssen. Man lernt, so viel besser miteinander zu kommunizieren. Das hilft auch im Umgang mit den eigenen Gefühlen oder einfach so im Alltag. Man lernt generell sehr viel. Man muss sich so krass mit sich selber auseinandersetzen, man entwickelt sich persönlich stark weiter und man lernt auch noch mal viel mehr darüber, wie man eine gute Beziehung führen kann. Und die beinhaltet natürlich auch das Sexleben. Das profitiert in jedem Fall von der offenen Partnerschaft.
Bevor man eine Beziehung öffnet, sollte man sehr im Reinen mit sich sein. Wenn man Selbstwertprobleme hat, dann würde ich eher Abstand von offenen Beziehungen nehmen. Man muss schon relativ gefestigt sein, um zu akzeptieren, dass der Partner mit anderen schläft und auch darauf zu vertrauen, dass die Person einen trotzdem liebt. Wenn die Partnerschaft sowieso schon instabil ist, würde ich auch nicht empfehlen, die Beziehung zu öffnen. Die offene Beziehung wird nicht die Lösung für alle Probleme sein – und sie vermutlich auch nicht besser machen. Wichtig ist, dass immer beide Menschen Lust auf die offene Beziehung haben. Das ist nichts, was man den Partner*innen zuliebe tun sollte. Wenn man einer offenen Beziehung wirklich gar nichts abgewinnen kann und es nur für die andere Person macht, dann würde ich es auch auf keinen Fall machen. Man muss dieses Beziehungskonzept schon auch wollen.