Gefangen in einer Textationship: Warum die Pseudo-Beziehung so trügerisch ist

Textationship: Das Dating-Phänomen, das eine Beziehung vorgaukelt
Endlose Chats ersetzen keine Beziehung. Wissen auch die Jungs von Heartstopper.Netflix/Samuel Dore,

Online-Dating ist eine gute Möglichkeit, Menschen kennenzulernen, bei denen man erst mal den Vibe checken kann. Stimmen Ansichten und Werte überein? Gibt es gemeinsame Interessen? Passt man potenziell zusammen? All das kann man beim Chatten herausfinden – und damit die Weichen für ein Date im realen Leben stellen. Das sollte man auch irgendwann tun. Wenn nicht, dann besteht die Gefahr, schnell in einer Textationship zu landen, die vielleicht mal ganz nett sein und über einsame Stunden hinweghelfen kann, im Endeffekt aber nur Ärger macht. Und weil wir 2025 mehr Bock auf Dopamin-Dating statt Dating-Drama haben, sollten wir uns über ein paar wichtige Dinge bewusst werden.

Wenn man beim Online-Dating den Absprung zum Date verpasst, gibt es in der Regel zwei Optionen: Der Chat dröppelt irgendwann aus und wird zur Karteileiche oder, und das ist nicht unbedingt besser, man rutscht in eine Textationship ab. Damit bezeichnet man eine "Beziehung", die ausschließlich über Chat stattfindet – wie eine Art Brieffreundschaft, bei der man sich regelmäßig schreibt und Kontakt hält. Zu einem Treffen im realen Leben kommt es aber nie. Das kann jetzt erst mal verlockend sein, immerhin gibt einem eine Textationship Bestätigung und Anerkennung, man fühlt sich begehrt und gesehen, fast so, als würde man wirklich gerade mit einem anderen Menschen eine Beziehung eingehen. Das ist aufregend und entspannt zu gleich, immerhin muss man sich für diese Form des Datings noch nicht mal von der Couch bewegen. Dafür hat man trotzdem Gesellschaft, eine Art Gesprächsperson, die mit ihren Nachrichten Einsamkeit und Langeweile vorbeugt. Wenn's im realen Leben mal nicht so gut läuft, bleibt immer die Flucht in die Textationship, die einem nicht nur einen Hormon-Boost verpasst, sondern gleich noch die Möglichkeit bietet, sich ganz neu zu erfinden. Verlockend, aber leider auch ziemlich ungesund.

Keine Panik, Texting gehört beim Online-Dating erst mal dazu. Wie sonst soll man herausfinden, ob man die andere Person überhaupt treffen will. Manche Menschen sind da schneller und schon nach drei Nachrichten bereit fürs erste Date, andere brauchen da länger. Das ist auch völlig okay so, immerhin sollte man sich erst miteinander verabreden, wenn es sich auch richtig anfühlt. Die Frage nach dem perfekten Zeitpunkt für das erste Date lässt sich nicht pauschal beantworten. Eine Studie der Universität von South Florida hat herausgefunden, dass der ideale Zeitpunkt zwischen dem 17. und dem 23. Tag nach dem Match liegen soll – wie viel Kontakt man bis dahin hat, wurde in der Studie allerdings nicht spezifiziert. Und so bleibt einfach nur die Option übrig, auf das eigene Bauchgefühl zu hören. Das dauert, so lange es dauert und hat auch erst mal gar nichts mit einer Textationship zu tun. Die beginnt nämlich erst, wenn ein persönliches Treffen gar kein Thema ist oder immer wieder rausgeschoben und vertagt wird. Stattdessen ist man unentwegt am Chatten, lernt sich kennen und zieht das, was man bei einem persönlichen Date machen würde, einfach schon mal digital vor. Manchmal ergibt es sich so, manchmal geht es nicht anders, deshalb ist daran auch erst mal nichts zu monieren. Ungesund wird es dann, sobald die Textationship zum Dauer-Zustand wird und man beginnt, richtige Gefühle zu entwickeln. Ab dann ist man nämlich verletzlich – und wird mit ziemlich großer Sicherheit auch verletzt werden.

Wie Sie Ihr Liebesleben gestalten, ist immer noch Ihre Sache. Solange Sie gut mit anderen Menschen umgehen und dabei niemanden verletzen, können Sie tun und lassen, was Sie wollen. Aber Sie sollten auch darauf achten, sich selbst nicht zu verletzen. Das kann bei einer Textationship schnell passieren. Bisschen chatten, bisschen flirten, dagegen wollen wir ja gar nichts sagen. Aber wenn Sie wochenlang mit einer Person schreiben und eine Textationship entwickeln, ist einfach Vorsicht geboten. Denn dann malt man sich im Kopf eine Beziehung aus, die es in dieser Form gar nicht gibt. Das fängt schon bei der Inszenierung der eigenen Person an. Das Schöne am Chatten ist ja, dass man sich selbst von seiner besten Seite präsentieren kann und unliebsame Eigenschaften schnell mal unter den Tisch fallen lässt. Heißt im Umkehrschluss: Die andere Person lernt sie schon mal gar nicht so kennen, wie Sie wirklich sind – und wird mit ziemlich großer Sicherheit auch das gleiche tun. Beide Parteien spinnen sich im Kopf ein Ideal der anderen Person zusammen, dass es so gar nicht gibt. Es entsteht eine Erwartungshaltung, bei der man einfach nur enttäuscht werden kann. Man steigert sich in eine Idee herein, die es so gar nicht gibt, auch wenn man das Gefühl hat, eine echte Beziehung zu führen. Das macht verwundbarer, als man sein sollte. Immerhin ist so eine Textationship ziemlich schnell abmoderiert. Geghosted, geblocked und dann steht man da mit seinen verletzten Gefühlen.

Der einzige Ausweg aus einer Textationship ist häufig, sie zu beenden. Denn der Versuch, eine monatelange Textationship ins reale Leben zu transferieren, scheitert in den meisten Fällen. Grund dafür ist die unerfüllbare Erwartungshaltung auf beiden Seiten, die nur selten der Realität entsprechen. Je länger man miteinander schreibt, desto spezifischer malt man sich die andere Person aus – und hat irgendwann dann eine idealisierte Person im Kopf, die dem Original nicht unbedingt ähnlich ist. Selbst wenn die Schreibpartner*innen noch so ehrlich und authentisch sind, kann ein Teil unserer menschlichen Wahrnehmung – Geruch, Gestik, Mimik, Stimme – nur persönlich stattfinden. Möglich, dass wir unsere Textationship noch so toll finden, sie am Ende dann aber einfach nicht riechen können. Natürlich trifft das nicht auf alle Fälle zu. Ausnahmen bestätigen die Regel und so kann es durchaus sein, dass Sie Ihre Textationship nach ewiger Schreiberei endlich mal treffen und sich fragen, warum Sie das nicht schon viel früher gemacht haben. Manchmal geht es halt auch nicht anders.

Das Trügerische an einer Textationship ist, dass man eine Art Pseudo-Beziehung führt, bei denen viele wichtige Aspekte einer Partnerschaft nicht erfüllt werden – sei es Nähe, Sex oder andere Dinge, die einfach nur persönlich funktionieren, aber total wichtig für eine gesunde Beziehung sind. In manchen Fällen ist es aber gar nicht möglich, dass die Beziehung zumindest zeitweise zu einer Textationship wird. Führt man zum Beispiel eine Fernbeziehung, sind Nachrichten immer noch besser als kein Kontakt. Und manchmal tut es ja auch einfach gut, sich die Bestätigung via Chat abzuholen. Deshalb wollen wir uns grundsätzlich auch gar nicht gegen eine Textationship positionieren, sondern einfach nur für einen gesunden Umgang damit plädieren. Der fängt bei einer realistischen Erwartungshaltung an und hört bei der Absicht auf, die Beziehung eben nicht nur virtuell zu pflegen. Solange man sich bewusst ist, womit man es bei einer Textationship zu tun hat, ist die gefährliche Fallhöhe auch nicht ganz so hoch. Irgendwann wird man aber immer an den Punkt kommen, an dem Textationships ihre natürliche Grenze erreichen – und man das Handy einfach mal weglegen und sich im realen Leben treffen sollte.