Keine Lust mehr pleite und einsam zu sein: Die Generation Z definiert die Lavendel-Ehe neu
Für viele junge Menschen ist die Dating-Welt kompliziert und sie leben weit von ihrer Familie entfernt in einer teuren Wohnung. Um die Last zu teilen, nehmen einige von ihnen jetzt Bewerbungen für "Lavendel-Ehen" entgegen – etwas, das früher der LGBTQ-Gemeinschaft vorbehalten war.
Der Begriff wurde ursprünglich Anfang des 20. Jahrhunderts geprägt, um eine Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau zu beschreiben, bei der einer oder beide Partner homosexuell oder bisexuell sind. Es handelte sich also um eine Scheinehe und sollte eine Fassade für diejenigen bieten, die ihre Sexualität verbergen wollten. Die Farbe Lavendel wurde damals mit Homosexualität assoziiert.
Doch in den letzten Monaten haben Lavendel-Ehen in den sozialen Medien unter der Generation Z, die es satt hat, pleite, ledig und einsam zu sein, einen Aufschwung erlebt. Einige Videos mit dem Hashtag #lavendermarriage auf Tiktok haben Millionen von Aufrufen angehäuft.
Robbie Scott, ein Tiktoker und Musiker mit 300.000 Followern, hat kürzlich ein Video gepostet, in dem er um "Bewerbungen für eine Lavendel-Ehe" bittet. Er möchte mit jemandem zusammenleben, damit er sich Hypothekenzahlungen, Nebenkosten und Steuern leisten kann.
"Du kannst herummachen mit wem und wann du willst, es ist mir egal", sagte er in dem Video, das bereits mehr als fünf Millionen Mal aufgerufen wurde. "Ich ermutige dich sogar dazu. Hab Spaß. Leb dein bestes Leben."
Eine moderne Lavendel-Ehe
Traditionell war eine Lavendel-Ehe einfach nur eine rechtsverbindliche Ehe. Edward Reese, Experte für Gender und Sexualität bei der LGBTQ-Dating-App Taimi, erklärte Business Insider (BI), dass dies immer noch der Fall sein könne. Sie könne Vorteile beim Erbrecht, bei der Kinderbetreuung, Steuererleichterungen und bessere Hypothekenzinsen bringen.
"Die Leute könnten es tun, wenn einer oder beide Partner keine Familie oder keinen Kontakt zu ihr haben. Ihr Lavendel-Ehepartner wird nicht nur ihr bester Freund, sondern ein rechtliches Familienmitglied", sagte er.
Die moderne Version einer Lavendel-Ehe könnte aber auch einfach eine mündliche Vereinbarung zwischen zwei Menschen sein, ihr Leben wie ein Ehepaar zu leben, nur ohne Sex. Dies unterscheide sich von einem Mitbewohner, fügte Reese hinzu, der jederzeit aus einem gemeinsamen Haushalt einfach ausziehen könne.
"Von einem Paar in einer Lavendel-Ehe wird erwartet, dass es alle Konflikte durchsteht, diskutiert und Kompromisse eingeht", sagte er. "Es ist eine Verbindung mit Engagement, Liebe und Loyalität, und all das geht auch ohne Romantik."
Christine DeVore, eine zugelassene klinische Psychologin und Leiterin der Abteilung für Erwachsene und Paare bei Birch Psychology, erklärte BI, dass eine Lavendel-Ehe eine praktische Lösung für einige der Belastungen des Lebens biete. "Es ist eine Möglichkeit, finanziellen Stress abzubauen und trotzdem unabhängig zu sein", sagte sie.
Scotts Video auf Tiktok war zwar etwas ironisch gemeint, aber es veranlasste andere Angehörige der Generation Z, ihre Gedanken mitzuteilen. Sie sagten, dass Lavendel-Ehen "von Tag zu Tag attraktiver werden" und dass die Vereinbarung das sein könnte, was sie "wirklich brauchen". Mehrere ältere Zuschauer kommentierten, dass sie in Lavendel-Ehen lebten und glücklicher denn je seien.
Sofie Roos, eine zugelassene Sexologin, Beziehungstherapeutin und Expertin für sexuelle Gesundheit, die für das sexpositive Magazin "Passionerad" schreibt, fügte hinzu, dass eine Lavendel-Ehe noch viele andere Vorteile habe, einschließlich körperlicher Berührung und Komfort.
Sie sagte, dass zu den Vorteilen auch das Kuscheln vor dem Fernseher oder beim Lesen eines Buches, das gemeinsame Schlafen und die Bereitstellung von körperlicher Unterstützung bei Bedarf gehören könnten.
"Wie in jeder Ehe fühlt man sich bei dieser Person sicher", fügte Roos hinzu. "Auch wenn man sich nicht zueinander hingezogen fühlt, kann man von der körperlichen Nähe zu seinem Lavendel-Ehepartner viel mehr profitieren als von der Nähe zu einem Freund oder einem One-Night-Stand."
Ein tieferes Problem
Es ist unklar, wie viele dieser Ehen es genau gibt und inwieweit das Geschehen auf Tiktok einen breiteren Trend widerspiegelt. Aber es deutet auf ernste gesellschaftliche Probleme hin.
Dating ist immer noch ein großes Geschäft. Allein im Jahr 2023 erwirtschafteten Dating-Unternehmen mehr als fünf Milliarden US-Dollar (etwa 4,6 Milliarden Euro). Die Match Group, zu der zum Beispiel Tinder, Hinge und Okcupid gehören, erwirtschaftete einen Jahresumsatz von mehr als 3,4 Milliarden Dollar (3,1 Milliarden Euro), während Bumble im vergangenen Jahr einen Umsatz von 1,1 Milliarden Dollar (1 Milliarde Euro) erzielte.
Aber das Wachstum scheint sich zu verlangsamen. Die zahlenden Nutzer der Match Group sind im ersten Quartal des Jahres um rund sechs Prozent zurückgegangen. Der Wert des Unternehmens liegt jetzt bei 9,51 Milliarden Dollar (8,7 Milliarden Euro), verglichen mit 50 Milliarden Dollar (45,8 Milliarden Euro) im Jahr 2021. Bumbles Wert ist seit dem Börsengang im Jahr 2021 um rund 90 Prozent gesunken. Es ist jetzt etwa 822 Millionen Dollar (752 Millionen Euro) wert.
Das mag daran liegen, dass die Generation Z sich teilweise von Dating-Apps abwendet. Einige sind der Meinung, dass die Apps den Sinn verfehlen, der sie ursprünglich interessant gemacht hat – sie streben nach Profit statt nach dem Schaffen echter Beziehungen. Andere sind der modernen Dating-Kultur überdrüssig, mit Ghosting, Catfishing und einigen potenziellen Partnern, die überhaupt nicht zu Dates erscheinen.
Eine Creatorin, die 23-jährige Cleopatra, erklärte BI, dass sie vor allem der Gemeinschaftsaspekt reize, in dem Frauen leben können, ohne Angst zu haben, verletzt oder missbraucht zu werden. "Ich glaube, die Mehrheit will eine Veränderung", so Cleopatra. "Dieser patriarchalische Lebensstil, diese Geschlechterrollen, sind, gelinde gesagt, anstrengend geworden."
Sie sagte, dass die finanzielle Stabilität, die das Arrangement bieten könnte, definitiv ein Anreiz sei. Vor allem wenn man bedenke, dass die Zoomer (Angehörige der Gen Z) mehr Schulden hätten und mehr für Wohnraum zahlen würden als die Millennials vor einem Jahrzehnt.
Laut einer aktuellen Analyse der Zeitung "Washington Post" auf der Grundlage von Daten des Bureau of Labor Statistics, einer Abteilung des US-Arbeitsministeriums, gibt die Generation Z 31 Prozent mehr für Wohnkosten aus als Millennials vor zehn Jahren. Dabei wurde auch die Inflation berücksichtigt.
Laut der Analyse haben sich die Kosten für die Kfz-Versicherung für Amerikaner im Alter von 16 bis 24 Jahren zwischen 2012 und 2022 mehr als verdoppelt. Die Kosten für die Krankenversicherung sind für diese Gruppe im gleichen Zeitraum um 46 Prozent gestiegen.
Das hat einige dazu veranlasst, "Inflationsbeziehungen" in Erwägung zu ziehen – im selben Zimmer, im selben Bett zu leben, ohne Sex zu haben. Lavendel-Ehen könnten diesen Trend noch weiter führen.
Grenzen sind wichtig
Für junge Menschen, die ihre Einstellung zu Beziehungen überdenken, kann eine Lavendel-Ehe ein "guter Ersatz" sein, so Reese. Immer mehr Menschen entdeckten, dass sie asexuell oder aromantisch sind. Das stelle die popkulturelle Norm in Frage, die sich so lange auf Heterosex und Liebe konzentriert habe.
Es gibt jedoch auch Herausforderungen. DeVore und Roos warnten davor, dass solche Verstrickungen zu emotionalen Problemen führen können. Eine offene Kommunikation über Grenzen und Gefühle sei unerlässlich.
So können die Regeln einer Lavendel-Ehe beispielsweise vage sein, was bedeutet, dass es im Laufe der Zeit zu Unstimmigkeiten kommen kann. Die Partner sind sich möglicherweise nicht einig, was außerhalb der Beziehung erlaubt ist und was nicht, und haben unterschiedliche Vorstellungen davon, was Betrug ist.
Roos sagte, dass sich die Lavendel-Ehe in diesem Fall von ihrer schlechten Seite zeigen könne und Gefühle von Eifersucht und Traurigkeit auslöse, wenn sich ein Partner ausgeschlossen fühle.
Es kann auch sein, dass das Arrangement nicht für immer passt, zum Beispiel wenn einer der beiden beschließt, eine romantische Beziehung einzugehen. "Was sich bei den Gesprächen vor oder zu Beginn der Ehe noch gut angefühlt hat, kann sich später nicht mehr gut anfühlen", so Roos.
Letztlich könne es auch in den engagiertesten Partnerschaften zu Herausforderungen und Konflikten kommen, so DeVore. "Eine Lavendel-Ehe mag zwar gewisse Vorteile bieten, aber sie ist keine Garantie für lebenslanges Glück und Erfüllung", sagte die Psychologin. "Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass keine Beziehung, auch keine Lavendel-Ehe, gegen Herzschmerz immun ist."
Dieser Artikel wurde von Jonas Metzner aus dem Englischen übersetzt und bearbeitet. Den Originalartikel könnt ihr hier lesen.