Luftschlößer aus Beton: Der große Oscar-Kandidat „Der Brutalist“ erzählt von Träumen und der harten Realität im Exil

The Brutalist

Suchen ihr Glück in den USA: László Tóth (Adrien Brody) und seine Frau Eszsébet (Felicity Jones)

© Universal Pictures,

Mit gerade mal 29 Jahren erhielt Adrien Brody 2003 seinen ersten Oscar als bester Hauptdarsteller für „Der Pianist“. Und war bis dato in dieser Kategorie der jüngste Schauspieler jemals. Wie er bei der Verkündigung euphorisch über die Sitzplätze kletterte, hat sich ins Gedächtnis eingebrannt. Jetzt, über zwanzig Jahre später, könnte es nochmal so weit sein: Sein neuer Film „The Brutalist“, der am 30. Januar in den deutschen Kinos startet, ist ganze zehnmal für den Oscar nominiert. Und so auch wieder Adrien Brody als Main Actor. Das ganz zu Recht: Nach „Der Pianist“ spielt er in diesem neuen Architektur-Epos seine zweite, große Lebensrolle.

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Um was geht es in „Der Brutalist“?

Der jüdische Architekt László Tóth (Adrien Brody) hat das KZ Buchenwald überlebt und reist Ende der 1940er-Jahre in die USA. Er hofft hier auf einen Neuanfang, seine Frau Erzsébet (Felicity Jones) bleibt in Ungarn zurück. Tóth startet im Möbelladen seines Cousins in Pennsylvania und erhält den Auftrag, die Bibliothek des reichen Industriellen Lee Van Buren (Guy Pearce) umzugestalten. Tóth, am Bauhaus in Dessau studiert und voller modernistischer Ideen, plant sie kühn avantgardistisch mit Flügeltür-Regalen. Und die in den USA unbekannten Stahlrohrmöbel gleich dazu. Van Buren ist entsetzt über das schlicht skulpturale Interieur, erkennt schließlich aber sein künstlerisches Potenzial. Er recherchiert und findet heraus, dass Tóth in seiner Heimat eine Berühmtheit war und jetzt inzwischen als Bauarbeiter arbeiten muss. Van Buren eröffnet ihm ein neues Leben, ermöglicht die Reise seiner Frau Erzsébet in die USA und beauftragt ihn zum Bau eines Gemeindezentrums, das jegliche Dimensionen sprengen wird: in Größe, Kosten und Stil. Mit schmucklosen, riesigen Betonmauern und massiven Formen bricht es mit allem bis dahin Gesehenen. Und löst wie der „Turmbau zu Babel“ schrittweise immer mehr Chaos und Untergang aus. Denn so gönnerhaft wie Van Buren zunächst wirkt, ist er zuletzt nicht.

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Pure Schönheit: László Tóths Entwurf für Lee Van Burens Bibliothek

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Ein Film für das Kino

Lange gab es keinen Film, der so sehr Kinofilm ist wie „Der Brutalist“: Nicht nur dauert er dreieinhalb Stunden, was in Zeiten von Sparkursen und vor allem immer mehr Serien mit einzelnen Kapiteln, fast schon ein Wunder ist. „Der Brutalist“ lebt vor allem von der großen Leinwand und dem dunklen Kinosaal, die seine Bilder und architektonischen Settings umso eindrücklicher machen.

Obwohl er in den 1950er-Jahren spielt, wählt er ungewöhnliche Perspektiven und collagiert gesplitterte Blickwinkel, die an das „Neue Sehen“ der 1920er-Jahre erinnern – der Zeit, als Tóth studierte und seinen künstlerischen, grafischen Stil entwickelte. Wie die Fotografie dieser Zeit zoomt der Film bis zur Stofflichkeit ran, dann wählt er wieder den Weitwinkel und wirkt immer äußerst unmittelbar und hypnotisch. Er entwickelt eine Dynamik und ein Tempo, die mitreißen und berühren, was aber auch am Spiel Adrien Brodys liegt.

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Der Bauherr und sein Architekt: László Tóth (Adrien Brody) aund Lee Van Buren (Guy Pearce) mit Schaufel bei der Grundsteinlegung

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„Der Brutalist“ lebt vom Eindruck seiner Bilder. Sie sind grafisch komponiert wie Avantgarde-Kunstwerke

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Marmorstein in all seiner Massivität: Die Natur übernimmt eine der Hauptrollen in „Der Brutalist“

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Adrien Brody in Bestform

„Der Brutalist“ ist ein Kunstfilm mit einer ganz besonderen Ästhetik. Und Einstellungen, die man sich einrahmen möchte, so geschmackvoll und besonders sind sie gestaltet. Seine eigentliche Kunst liegt aber darin, dass diese Optik nicht den Plot überblendet. „Der Brutalist“ ist kein Kostümfilm, sondern eine berührende Geschichte darüber, wie man versucht ein neues Leben zu beginnen. Und wie man das furchtbar Erlebte traumatisch nicht hinter sich lassen kann.

Brody spielt dieses Pendeln zwischen Hoffen und Resignation eindrücklich. So wie die Nationalsozialisten seiner Architektur ein jähes Ende bereiteten und seine Bauwerke zerstörten, so soll das neue Werk Tóths Manifest werden und sein ganzes Können widerspiegeln. Von seinen Plänen will er kein bisschen abweichen. Sehr zu Irritation seines Umfelds, was ihn immer isolierter und manischer macht. Er greift häufiger zu Heroin, auch seine Ehefrau kommt nicht mehr an ihn heran. Brody spielt diesen psychischen und physischen Verfall lebensnah und ganz pur aus sich selbst heraus. Manchmal ist in seinen Blicken alles zu sehen: kurzes Glück, Dankbarkeit, aber auch Traurigkeit. Und Leidenschaft und Leiden liegen nahe beieinander.

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Ein Leben für die Architektur: Adrien Brody als László Tóth

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Ende und Neustart

Eine neue, auch kreative, Heimat suchen, davon handelt „Der Brutalist“. Und die wird Tóth am Schluss bei Van Buren nicht finden, was man von Anfang an spürt. Zuletzt unternimmt der Film eine Wendung hin zur eigentlichen Erlösung. Tóths Zeit kommt und sein Weg ist symptomatisch für das unwägbare Schicksal vieler Flüchtlinge der Vergangenheit und auch des Jetzt. Das macht den Film, trotz seiner Retro-Ästhetik, thematisch äußerst aktuell. Zwischen kühlen Betonmauern spürt und sieht man ganz viel Menschlichkeit. Ein Film so ambivalent wie das Leben.

The Brutalist

Brady Corbets Film ist symptomatisch für das Schicksal vieler Emigrant*innen im und nach dem Zweiten Weltkrieg, für die Amerika eine neue Heimat wurde – oder nicht

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