Die Mailand Fashion Week im Frühjahr/Sommer 2025 zelebriert das Unerwartete und die Menschlichkeit
Fashion Weeks sind eigentlich immer für Überraschungen gut. Mit ihnen sorgt man für Aufmerksamkeit. Vor allem in Zeiten, in denen auf Social Media jede:r mit auf den Laufsteg gucken kann – was allerdings dazu geführt hat, dass immer seltener die Mode und umso öfter ausschließlich die Inszenierung überrascht. Millionen von Menschen zu erreichen, ist damit kein Problem. Sie wirklich zu berühren, schon eher.
Auch darum war diese Modewoche in Mailand eine der besten seit vielen Saisons. Sie war unvorhersehbar, unerwartet, menschlich. Auf den Punkt bringen es Miuccia Prada und Raf Simons bei Prada: Die Welt sei eben unlogisch. Und doch wird der unendliche Fluss an Content durch Algorithmen gesteuert, die Entscheidungen alleine auf Logik beschränken. Dem habe man bewusst Individualität entgegensetzen wollen. Keine Chronologie, kein roter Faden wie sonst bei Prada üblich. Dabei geht es nur vordergründig um Mode. Sich frei von Einflüssen anziehen ist die eine Sache – eigenständig denken, hinterfragen, entscheiden, wählen bietet ja noch ganz andere Möglichkeiten.
Die Prada-Kollektion für Frühjahr/Sommer 2025 ist also ein Aufbäumen gegen Algorithmen. Selbst wenn hier zur Show die größten Social-Media- und (K-)Popstars auflaufen. In 49 Looks wurden so viele Ideen ausgespuckt, dass sich ein Algorithmus dadurch womöglich überlisten lässt, der sonst auch Prada-Looks wie ein Echo durch den virtuellen Raum hallen lässt. Miuccia Prada und Raf Simons wollten zur Originalität ermutigen. Hier ein Blümchenkleid mit eingearbeiteten Drähten, mit denen sich die Kleidung individuell formen und anpassen lässt. Dort dicke Rippstrickstrumpfhosen mit Gürtel und Schluppenbluse. An anderer Stelle ein signalorangefarbener Anorak über einem Federkleid. Und weil zur Originalität eben auch gehört, sich nicht jede Saison einfach in die neuesten Kollektionen zu schmeißen, tauchten ein paar alte Bekannte aus vergangenen Prada-Kollektionen auf, zum Beispiel die Plateau-Pumps aus der Herbstkollektion 2012.
„Chice Unbeholfenheit“ oder „Casual Grandeur“ in Mailand
Bei Bottega Veneta nahmen die Gäste auf Sitzsäcken in Tierform Platz (angeblich jeweils dem Charakter des Gastes zugeordnet). Julianne Moore saß auf einem Bären, Kendall Jenner auf einem Pferd, dazu gab es unter anderem Wale, Otter und Dinosaurier. Matthieu Blazy hatte für die Kollektion dazu nicht nur sein eigenes Kind entfesseln wollen, sondern auch das seiner Kund*innen. Heißt für die nächste Saison bitte unbeschwert, rein und frei von äußeren Einflüssen anziehen. Zum Beispiel in einem Top und Rock mit Fransen, die wie Streichhölzer aussehen. Mit einem grauen Pullover, an dessen Ausschnitt ein Frosch hochklettert. Oder diesen großartigen Hybriden aus Röcken und Hosen. „Chice Unbeholfenheit“ nennt Blazy den Look.
Sabato De Sarno setzt für Gucci wiederum auf „Casual Grandeur“. Das klingt so eingängig wie „Quiet Luxury“ und bezieht sich auf den Stil von Jackie Onassis, eine Muse dieser Kollektion. Der Look: lässig und bequem – aber bitte mit Grandezza! Für Frühjahr/Sommer 2025 zu sehen sind Tailoring, Lingerie, Leder und Sixties-Silhouetten. Also alles, was Sabato De Sarno seit seinem Debüt vor einem Jahr begonnen hat. Anzughosen, die über Sneakern aufspringen. Tanktops mit Paspelierung in Gucci-Grün-und-Rot. Spitzenkleider in Ancora Rosso über Panties mit Monogramm. Ein Highlight sind die Miniröcke aus Satin mit leichtem Krinolineneffekt, kombiniert zu schlichten Shirts und dramatischen Hüten.
Mailand Fashion Week: der Blick zurück in die Zukunft
Bei Fendi blickt man nächstes Jahr einem großen Jubiläum entgegen: Vor 100 Jahren wurde die Marke offiziell gegründet. Seitdem ist es fast durchgehend in den Händen von Frauen gewesen – selbst wenn man männliche Designer angeheuert hat wie einst Karl Lagerfeld und nun Kim Jones. „Das Fundament dafür, wie Frauen sich heute kleiden, wurde in den 1920er-Jahren gelegt“, erklärt Jones und meint damit nicht (nur) die Gründung von Fendi, sondern die gesamte Modegeschichte. Für Frühjahr/Sommer 2025 präsentiert er hauchfeine Kleider mit Perlenstickereien und Art-Déco-Motiven, cappuccinofarbene Hemdblusenkleider und Shorts zu langen Blazermänteln. Für die Accessoires sorgen bei Fendi noch immer die Frauen: Silvia Venturini Fendi hat die neuen, noch größeren Mamma Baguette Bags entworfen, ihre Tochter Delfina Delettrez Fendi den Schmuck.
Donatella Versace spult zurück ins Jahr 1997. Damals verantwortete sie die Kollektionen der Zweitlinie Versus Versace. Den Blick in die Neunziger hat die Designerin in den vergangenen Jahren häufig gemacht – immer auf die Kollektionen allerdings, dir ihr Bruder Gianni entworfen hatte. Jetzt erlaubt sie sich ein wenig Nostalgie für die eigenen Entwürfe. Das sei damals ein „glücklicher Moment“ für sie gewesen, weil die Outfits noch nicht so durchkalkuliert wurden. Also lässt sie heute einfach noch mal Blumenmuster und graphische Prints clashen. Auf 90s-Styles wie Slipdresses, Shorts und Cardigans.
Bei Dolce & Gabbana nahm Madonna unter einem schwarzen Spitzenschleier in der Front Row Platz. Damit war auch hier die Hommage an die Neunziger gesetzt. Konische BHs unter Trenchcoats und Anzügen, an Korsagen und Etuikleidern oder eingearbeitet in einen Blazer (was nur wenige Designer*innen heute so perfekt schneidern können wie Dolce und Gabbana) stammen genauso wie die goldenen Ohrringe in Kreuzform, die Korsetts, Nadelstreifen und weitere Referenzen an Madonnas Bühnenoutfits nicht alle direkt von Dolce & Gabbana, sondern auch von Jean Paul Gaultier. Dass man aber bitte nicht alles so ernst nehmen muss, verraten womöglich schon die blonden Perücken, die jedes Model auf diesem Laufsteg maximal offensichtlich trug.
Vom Entwurf zur Kollektion auf dem Laufsteg
Mit einer Parade schlichter Schnitte in schönstem Schokoladenbraun eröffnete Ian Griffiths bei Max Mara. Lange Röcke und kurze Jacken, schmale Strickkleider und Maximäntel mit Sanduhrsilhouette. Hier ein Cut-out, dort eine extragroße Manschette oder eine leicht ausgestellte, fast quadratische Schulter. Es sind subtile Eingriffe in bekanntes Design, die eine Kollektion modern machen. Auch wenn der Weg dahin in den Presseinfos komplizierter klingt, als er gewesen sein mag: Ausgangspunkt für Frühjahr/Sommer 2025 war die Mathematikerin und Astrologin Hypatia aus dem spätantiken Alexandria und eine daraufhin eigens für das Design entwickelte Formel. „Erwarte das Unerwartete“, besagt die Chaos-Theorie.
Bei Sportmax regen Kleider zum Nachdenken darüber an, was man in der nächsten Saison so alles könnte. Drapierte Kleider fließen vorhangartig vom Hals abwärts. Beinah zweidimensional anmutende Kleider haben tiefe V-Ausschnitte. Zu langen Fransen aufgefädelte Perlen tanzen unter hauchfeinen Stoffen. Viel Modefantasie von ihrer schönsten Seite.
Auch für Marco de Vincenzo zählt bei Etro der Designprozess mehr als das Ergebnis. Die Reise mehr als die Destination, um im Bild jener Marke zu bleiben, die ihren Eklektizismus den Referenzen aus der ganzen Welt verdankt. Mutig schichtet De Vincenzo also für Frühling und Sommer große Blumenmuster, Pailletten, Spitze, Netzstoffe und Denim auf. Nicht nur die Looks eignen sich zum Nachmachen, sondern auch die Haltung: Die Freude am Anziehen zählt mehr als das finale Outfit.
Handwerk und Freiheit während der Mailand Fashion Week
Giorgio Armani fehlte mit seiner Hauptkollektion dieses Mal im Schauenkalender; eine Show in New York wird im Oktober folgen. Also alle Augen auf die Zweitlinie Emporio Armani, deren Flagship-Store in der Via Manzoni, direkt unter dem Armani Hotel, parallel neu eröffnet wurde. Auf dem Laufsteg zu sehen gab es die Quintessenz von Armani: „anziehen mit Freiheit und Ironie“. Frauen in Männeranzügen und Krawatten. Die Jacken soft, die Hosen fließend, die Kleider hauchzart und mit Stoffblüten bestickt.
Bei Tod’s ehrt Matteo Tamburini die traditionelle Handwerkskunst der Marke mit einem langen Tisch, an dem 60 Mitarbeiter:innen aus den Fabriken live die berühmten Gammino-Mokassins der Marke fertigten. Auch die Kollektion für Frühjahr/Sommer 2025 ist größtenteils aus Leder gefertigt, aber die Texturen vielfältig und teilweise nicht auf den ersten Blick auszumachen in einem Parka mit integriertem Cape oder großzügig plissierten Kleidern. Nach der Show brachte der Designer die Wahl auf den Punkt, vor der die meisten Designer*innen heute stehen: „Sie können ihre kreative Vision heute entweder den Anforderungen der Marketingabteilungen anpassen und auf Nummer sicher gehen – oder einen mutigeren, innovativen Weg wählen.“ Klar: Tamburini hatte sich für den zweiten Weg entschieden. Wie so viele Designer*innen hier in Mailand.