Marie Nasemann und Sebastian Tigges im Interview: Zwischen Gleichberechtigung und Kindererziehung
Werden aus zwei, plötzlich drei oder vier, stellt das alles auf den Kopf. Das gilt nicht nur für den normalen Alltag mit Kindern, sondern auch für die Beziehung zwischen den Eltern. Wer holt die Kids von der Schule? Wer sorgt für Mittagessen? Wer kümmert sich um Spieltreffen, Hobbys, Kindergeburtstage? Die To-Do-Liste und der Mental Load sind riesig – und können schnell für ungleiche Verhältnisse sorgen.
Marie Nasemann ist Content Creatorin und Schauspielerin, klärt auf Instagram über nachhaltige Mode und feministische Themen auf. Mit ihrem Mann, dem ehemaligen Rechtsanwalt und Content Creator Sebastian Tigges, berichtet sie außerdem im gemeinsamen Podcast „Family Feelings“ aus dem Alltag zwischen Kindererziehung und anderen Jobs. Sie sprechen über Grenzen in der Partnerschaft, Gleichberechtigung bei der Care-Arbeit und eigene Fehler.
Wir haben das Paar am Rande der „glückskind-Inspirationstage von dm-drogerie markt“ zum Interview getroffen und mit ihnen über gleichberechtigte Elternschaft gesprochen – und ob das wirklich funktioniert.
Marie Nasemann & Sebastian Tigges im Interview über Gleichberechtigung in der Kindererziehung
Marie, du hast Anfang des Jahres bei dem feministischen Online-Magazin femtastics einen Blick in deinen Kalender gewährt. Dort war auch die gleichberechtigte Aufgabenteilung mit Sebastian zu sehen. Wie würdet ihr euer Schema dahinter beschreiben?
Marie Nasemann: Wir probieren, uns immer wieder 50/50 Strukturen zu schaffen. Welche sich natürlich oft ändern, weil sich etwas im Alltag der Kinder verändert. So ist es ein ewiges Austarieren. Zum Beispiel, indem wir uns an den Nachmittagen bei der Kita abwechseln und jeder Slots in der Woche hat, um etwas alleine zu machen, Freunde zu treffen und Hobbys nachzugehen. Es ist natürlich ein großes Privileg, dass wir uns das so frei einteilen können. Das geht auch nur, weil wir beide freiberuflich tätig sind. Aber es ist am Ende auch nie ganz so, wie es im Kalender steht. Es passiert dann doch mal, dass man nachmittags spontan am Computer sitzt. Sofern müssen wir da auch immer flexibel bleiben.
Wie sorgt ihr dafür, dass die Aufgabenteilung auch bei spontanen Änderungen gleichberechtigt bleibt?
Sebastian Tigges: Wir führen keine Strichliste und auch keinen Summensaldo, aber wir versuchen regelmäßig darüber zu sprechen, ob es sich gerade noch gut anfühlt. Das klappt eigentlich ganz gut. Es gibt nie längere Phasen als ein paar Wochen, wo es genau gerecht ist. Das ist bei unseren Jobs quasi unmöglich. Meistens hat Marie ein bisschen mehr zu tun, weil sie auch Schauspielerin ist und dadurch mal ein paar Tage länger weg ist. Es ist wichtig, dass es sich fair anfühlt und dann kann es auch eine Aufteilung von 80/20 sein. Wenn man darüber spricht und gegenseitige Wertschätzung pflegt, kann sich das trotzdem wie 50/50 anfühlen.
Marie Nasemann: Es ist immer auch eine Frage der Energie, also der Belastung. Wir haben am Anfang sehr stark aufgerechnet, und das war nicht unbedingt immer so gut für die Beziehung. So kommt man teilweise in einen Gegeneinander-Modus. Wir schauen jetzt eher: Wie geht's dem anderen? Wer braucht gerade mehr Entlastung? Wie viel Energie habe ich noch? Da probieren wir immer, zu schauen, dass nicht einer in die Überlastung kommt oder den Mental Load alleine trägt.
Wie sprecht ihr darüber?
Sebastian Tigges: Es gibt das Modell der gewaltfreien Kommunikation. Da werden wir auch immer besser drin und das versuchen wir einzuhalten und zu üben. Zum Beispiel, in Ich-Botschaften zu sprechen und nicht immer nur „Du“ zu sagen. Das wirkt tatsächlich auch. Natürlich ist es unrealistisch, im ganzen Alltagsstress, zwischen Kindern, Beruf und Haushalt, immer gewaltfrei zu kommunizieren. Aber es ist auch okay, geduldig und milde mit sich und als Paar zu sein.
Marie Nasemann: Manchmal müssen die Emotionen einfach raus. Wenn man sehr angespannt ist und das dann der Partner oder die Partnerin abbekommt, ist das auch okay. Wir können das inzwischen so einordnen, dass nicht jeder Streit in ein mehrtägiges Fiasko ausartet. Sondern dass man auch mal sagt: Entschuldige, ich war jetzt einfach gerade gestresst, das hatte nichts mit dir zu tun.
Sebastian, du versuchst auch auf Social Media, über gleichberechtigte Partnerschaft aufzuklären, stößt du trotzdem manchmal in deinem Umfeld auf Widerstand?
Sebastian Tigges: Widerstand würde ich nicht sagen, aber Unverständnis vielleicht. Ich habe viele Freunde, die das klassische Familienmodell leben, und daher nicht so gut nachvollziehen können, was mich so beschäftigt. Aber es stellt niemand in Frage oder bezeichnet mich als Pantoffelheld. Es gibt auch Interesse und Fragen danach, wie mein Tag so aussieht. Im besten Fall ist es ein Austausch, im schlechtesten Fall ist es ein Hemmnis in der Freundschaft.
Versuchst du dann in den Dialog zu gehen?
Sebastian Tigges: Wenn es meine Energie erlaubt, schon. Aber ich will auch nicht im Freundeskreis für mein Lebensmodell missionieren. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich halte mein Modell auch nicht für das einzig Wahre, deswegen versuche ich nicht, meine Freunde zu belehren.
In unserer Gesellschaft gibt es weiterhin Strukturen, die das klassische Rollenmodell in einer Familie fördern. Was ist dein Anteil daran, dass eure Beziehung da nicht reinrutscht?
Sebastian Tigges: Ich muss das gar nicht machen. Marie ist da einfach sehr hinterher bei den Themen. Es ist ja eher so, dass Marie mich so geprägt hat, dass ich mehr Augenmerk auf Themen rund um Gleichberechtigung lege. Ich sehe uns beide in der Rolle in der Beziehung, darauf aufzupassen, dass wir nicht in alte Rollenbilder zurückfallen. Da trägt bei uns beiden keiner die Hauptverantwortung. Aber wenn mal jemand das Zepter in der Hand hatte, dann war das ehrlicherweise Marie. Mittlerweile achten wir da aber beide als Team drauf.
Marie Nasemann: Obwohl du mich zum Glück auch darauf hinweist, wenn ich in diese Rolle des patriarchalen Familienvaters reinrutsche. Wenn ich zum Beispiel Drehs habe, wo ich zehn Stunden lang weg bin, nach Hause komme und frage, wieso es nichts zu essen gibt. Dann sagt mir Sebastian auch, dass ich mich daneben benehme. Weil ich es auch so vorgelebt bekam, habe ich dann die Erwartungshaltung, als müsste zu Hause alles super laufen. Ich dachte auch eine Zeit lang, dass es ein Ideal sei, als Frau in dieser machtvollen Position zu sein. Da musste ich mich auch selber stoppen und zu mir sagen: Du willst das Modell ja jetzt nicht einfach umdrehen, sondern eine Beziehung auf Augenhöhe führen.
Woher kam dieses Idealbild?
Marie Nasemann: Ich bin schon so aufgewachsen. In meiner Jugend habe ich „Sex and the City“ geschaut, was eher für eine veraltete Form des Feminismus steht. Für uns war das damals total neu. Wir dachten: Wow, was für tolle starke Frauen. Aber die haben halt Männer total herabgewürdigt, haben sexistisch über Penislängen gesprochen, was heute einfach nicht mehr zeitgemäß ist. Ich wünsche mir einen modernen Feminismus, wo es keinen Sexismus gibt – auch nicht von Frauen gegenüber Männern. Einen Feminismus, wo man noch mehr auf Augenhöhe ist. Aber da kommen wir gerade erst langsam an, das muss sich noch weiterentwickeln.
Wie schafft ihr es, im Alltag mit euren Kindern, trotzdem auf euch selbst zu achten?
Sebastian Tigges: Fast die größte Herausforderung. Vor allen Dingen dadurch, dass wir versuchen, gleichberechtigt zu leben. Wir haben keine gelernten Strukturen, also müssen wir als Eltern irgendwie selbst herausfinden, wie das funktioniert. Insbesondere auch, was das überhaupt ist: eigene Bedürfnisse. Das müssen wir dann ins Gleichgewicht bringen, ohne uns ständig in Bezug auf die Kinder zurückzunehmen. Nicht die Kinder immer an erster Stelle zu stellen, sondern auch auf sich selbst aufzupassen. Da haben die Kinder auch am meisten von. Es ist echt eine der schwierigsten Aufgaben des Elternseins. Aber auch, wenn es nur kleine Pausen sind, wir versuchen, sie uns zu ermöglichen – sei es zehn Minuten Yoga, Meditation oder Joggen zu gehen. Das sind zwar Kleinigkeiten, aber die können im Alltag ganz schön Widerstand erfahren.
Marie Nasemann: Das Schwierige ist ja auch, dass wir in einer Zeit erzogen wurden, als es den Begriff der bedürfnisorientierten Erziehung überhaupt noch nicht gab. Es ist wichtig, dass die Kinder nicht immer an erster Stelle stehen müssen. Das haben wir lange getan und das hat uns total kaputt gemacht. Wir haben einfach sehr viel gegeben, bis wir beide sehr leer waren und gemerkt haben, dass wir erst einmal innehalten und um uns selber kümmern müssen. Eben nicht immer nur Arbeit und Care Arbeit im Wechsel, sondern auch Pausen für beispielsweise Therapie, um an den eigenen Themen zu arbeiten. So schnell Therapieplätze zu bekommen, war zwar auch ein Privileg, aber auch nötig, damit wir uns weiterentwickeln können.
Würdet ihr eine Therapie anderen Eltern immer empfehlen?
Marie Nasemann: Das hängt total davon ab, wie man aufgewachsen ist. Wenn als Kind die eigenen Bedürfnisse gezählt haben und die Gefühle da sein durften, wird man damit im wachsenden Alter nicht so das Problem haben. Aber wenn man zum Beispiel in einer sehr leistungsorientierten Familie aufgewachsen ist, dann probiert man als Eltern, jede freie Sekunde zu arbeiten, um da noch möglichst viel voranzukommen. Doch das funktioniert nur eine gewisse Zeit, bis man in der totalen Überlastung ist. Das ist eine sehr individuelle Frage, oder?
Sebastian Tigges: Wir sind ja heute hier bei dm – „glückskind“ ist das Motto – und ich begegne manchmal Menschen, die wirklich so Glückskinder sind. Die sind ausgeglichen, ein bisschen mehr mit sich selbst im Reinen und bei denen habe ich nicht das Gefühl, dass sie irgendwas kompensieren müssen. Und ich glaube, das ist in unserer Generation sehr selten so. Das sollten wir in den nächsten Generationen gekittet bekommen. Und es ist eben zwingend notwendig, dass wir uns alle einmal unsere Kindheit und persönlichen Themen anschauen, weil sonst dieser Kreislauf nie durchbrochen wird. Dafür ist Arbeit an sich selbst zwingend notwendig.
Was wollt ihr euren Kindern denn mitgeben, damit sie am Ende sozusagen Glückskinder sind?
Sebastian Tigges: Der Impuls ist ja immer, das Gegenteil von dem zu machen, was die eigenen Eltern getan haben. Aber ich glaube, das ist gar nicht so das Entscheidende, sondern bei sich selbst genauer hinzuschauen und daraus eigene Lehren zu ziehen: Was ist mir wichtig und was kann ich meinen Kindern mitgeben, was ich vielleicht so nicht erfahren habe? Bei uns zu Hause ist es zum Beispiel so, dass alle Gefühle da sein dürfen. Egal in welcher Form und welcher Art – also „negative“ und „positive“, ohne das werten zu wollen. Alle Gefühle sind erlaubt und haben ihren Raum. Immer bis zu der Grenze, wo es anderen Menschen schadet. Das ist eines der großen Mantras unseres Zusammenlebens, und das kriegen wir in guten Momenten sehr stark von unseren Kindern gespiegelt. Bei uns zu Hause ist immer ein relativ hoher Geräuschpegel, was auf der einen Seite natürlich anstrengend ist, aber auf der anderen Seite auch sehr glücklich macht. Wenn mein Sohn sich vor mich stellt und mich anbrüllt, weil er wütend auf mich ist, dann denke ich immer so: Wow, cool, dass der das macht, der kleine Knirps. Mit vier Jahren brüllt der seinen Vater an, das hätte ich mich nicht getraut – und da bin ich fast stolz auf ihn.
Marie Nasemann: Und den Kindern bedingungslose Liebe mitzugeben, die nicht an etwas gekoppelt ist, wie brav sein, hübsch auszusehen oder irgendetwas Tolles zu leisten. Das ist eine sehr große Herausforderung, weil wir in einer Leistungsgesellschaft leben, im Kapitalismus, wo schon kleine Kinder gefragt werden, was beruflich später einmal machen wollen. Mir ist total wichtig, dass wir von diesem Leistungstrieb weggehen und ich meinen Kindern das Gefühl gebe, dass sie gut sind, wie sie sind. Dass ich sie bedingungslos liebe, egal was sie machen. Dadurch erhoffe ich mir natürlich auch eine Beziehung auf Augenhöhe. Viele sagen, die Eltern müssen vorgeben, was gemacht wird. Aber ich wünsche mir, dass meine Kinder, das Gefühl haben, dass sie gesehen werden und ihre Meinung äußern dürfen. Warum sollten Kinder nicht auch Entscheidungen treffen dürfen, zum Beispiel, was wir am Samstag unternehmen?
Sebastian Tigges: Neulich wollten wir einen Ausflug machen und haben unserem Sohn gesagt, dass wir etwas essen gehen und vielleicht gibt es danach ein Eis. Da hat er gesagt, dass er vor dem Essen ein Eis möchte. Als ich dann gesagt habe, dass man Eis zum Nachtisch isst, hat er dann gesagt: Wieso bist du jetzt der Bestimmer? Und dann gab es vor dem Essen ein Eis. Ich glaube, da war er nicht nur glücklich wegen des Eis, sondern hat sich auch ernst genommen gefühlt. Das ist ein Gefühl, was ich in meiner Kindheit nicht so erlebt habe.
Marie Nasemann: Wir wollen ihnen auch jetzt schon Kommunikations-Skills mitgeben, die wir uns erst durch unsere Therapie aneignen konnten. Neulich wollte unser Sohn, dass wir im Auto aufhören zu reden, weil es ihm zu laut war, da hat er uns angebrüllt. Dann habe ich ihm erklärt, dass er viel weiterkommt, wenn er uns ganz höflich darum bittet und aus seiner Sicht heraus erklärt, warum es ihm gerade zu laut ist. Erst dachte ich, er hört mir gar nicht richtig zu, aber drei Stunden später fragte er uns plötzlich ganz höflich, ob wir aufhören könnten, zu reden, weil es ihm gerade zu laut sei. Also den Kindern zu zeigen, wie sie ihre Bedürfnisse kommunizieren und Kompromisse eingehen können.