Nostalgie reloaded: Der Modeherbst lehrt uns Kostümgeschichte

Die Herbstmode 2024 führt durch die Kostümgeschichte

Die Herbst-Kollektionen übersetzen charmante Zitate längst vergangener Modeepochen ins Hier und Jetzt (Chanel Herbst/Winter 2024/25)

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Wer würde sich nicht gerne auf eine Zeitreise begeben? Nicht mit dem eigenen Geist und Gefühl durchlebt, längst hinter uns gelassen und deshalb unerreichbar, wecken vergangene Dekaden und Jahrhunderte eine große Faszination, die befeuert wird durch immer akribischer recherchierte Historienepen und Biopics, deren Set-Designs und Kostümbild uns für die Dauer eines Films oder einer Serie in eine andere Zeit abtauchen lassen.

Auch die Mode bietet der Herbst-/Wintersaison 2024/25 eine imaginäre Zeitkapsel, die in vergangene Epochen entführt und tief in die Kostümtruhe zu greifen scheint: Auf den Runways sind rebellische Schnitte der Seventies und futuristische Akzente der 1990er zu finden. Die Mode lässt uns in die Roaring Twenties reisen, aber auch ins poetisierte Anna-Karenina-Jahrzehnt, erinnert an kalte Winter in Sankt Petersburg, katapultiert uns über die Wende zum 20. Jahrhundert bis zurück ins Elisabethanische Zeitalter, zumindest tief in ein englisches Fantasie-Mittelalter, so wie man es sich in Umrissen skizziert, denkt man an die große Ära des Shakespeare-Theaters oder an den Hof von Heinrich VIII. zurück.

Auch wenn dem Entdecken historischer Kostümanleihen ein großes Maß an origineller Interpretationsfläche zugrunde liegt, zeigen die Entwürfe dieser Saison eine Hommage an die Vielfalt vergangener Modeepochen und machen Geschichte wieder lebendig – ohne simples copy and paste, sondern durch raffinierte Transformation.

Von der Mittelalterhaube bis zur Fifties-Silhouette – eindrucksvolle Akzente im Herbst 2024, die das Gestern ins Heute holen

Royal-Chic

Manche langen Kleider, die für Herbst/Winter 2024/25 über die Laufstege schritten, weckten umgehend majestätische Assoziationen, fast mehr Couture als Prêt-à-Porter. Der Anlass muss natürlich stimmen, um voluminöse Silhouetten zu tragen, die sich wie bei den Entwürfen von Ashida Tae oder Tanakadaisukein in abgewandelter Form an die Pracht der Krinolinen der höfischen Rokoko-Mode des 18. Jahrhunderts oder des viktorianischen Zeitalters des 19. Jahrhunderts anlehnen. Sehen Sie sich spätere Aufnahmen der österreichischen Kaiserin Elisabeth an – Sie werden sich an AndreasKronthalers Entwurf erinnert fühlen. AntonioMarras kratzt hingegen mit seinen eingeflochtenen Inspirationen noch an der Epoche des Mittelalters, vielleicht sogar an die Jahrzehnte der Tudor-Dynastie, ob durch ein gold glänzendes Kopfstück, das an eine die Ritterrüstung ergänzende Kettenhemdhaube erinnert, oder durch die damals populären Farbkompositionen aus Schwarz, Ockergelb und Bordeauxrot.

Während jedoch unter einigen Hofzeremoniellen strenge Kleiderordnungen einzuhalten waren, die vor allem vorsahen, durch lange Ärmel, aufwendige Krägen und unzählige Knöpfe jegliche Haut vornehmer Damen zu bedecken, erlauben sich die zeitgemäßen Übersetzungen der opulenten Roben dieser Saison, den Dekolleté-Bereich und die Arme raffiniert freizulegen, um einen Ausgleich zur fließenden Menge an Stoff zu schaffen und dem Look die Prise Modernität zu verleihen, die zwar die Hommage an vergangene Zeiten betont, jedoch eine zeitlose Noblesse ausstrahlt.

Die Herbstmode 2024 führt durch die Kostümgeschichte

Tae Ashida Herbst/Winter 2024/25

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Tanakadaisuke Herbst/Winter 2024/25

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Andreas Kronthaler for Vivienne Westwood Herbst/Winter 2024/25

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Antonio Marras Herbst/Winter 2024/25

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Antonio Marras Herbst/Winter 2024/25

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Um die Jahrhundertwende

Zu dieser Zeit begann die Damenmode, sich von starren und üppigen Silhouetten der vorangegangenen Jahrhunderte zu lösen. Die Frau befreite sich zunehmend von Korsett und Wespentaille, aber auch von zahlreichen langen Unterröcken, die angesichts der neuen Lebensumstände – die Berufstätigkeit unter Frauen begann, stetig zu wachsen – unpraktikabel wurden, nur als Beispiel: Eine volle Damenmontur um 1875 wog zwischen zehn und zwölf Kilogramm. Favorisiert wurden nun geradlinigere, fließendere Formen, wie im Herbst 2024 bei Maison de R oder BoraAksuzu finden: Die Taille blieb oft schmal, die Betonung des Körpers lag nun aber mehr auf einer natürlichen Körperlinie. Die damals aufkeimende junge Frauen- sowie die Lebensreformbewegung, die vorsah, sich auf allen Ebenen des Lebens von jeglichen Konventionen zu lösen, unterstützte diese Entwicklung durch das Etablieren von sogenannten Reformkleidern, die gänzlich auf eine Taille verzichteten (abwertend wurden sie damals „Künstlersäcke“ genannt, da sie vordergründig von Intellektuellen, Künstlerinnen und Künstlern getragen wurden).

Der Praktikabilität des An- und Auskleidens wegen, teilte sich das Kleid bereits oft in Rock und Oberteil. Der Saum blieb noch immer lang, reichte aber meist nur noch bis zu den Knöcheln, was mehr Bewegungsfreiheit ermöglichte. Chanel adaptiert die Rocklänge ins Heute, betont aber – wie auch Le Fame – durch den langen schmalen Mantel die klare Silhouette der 1910er Jahre, der ausladende Hut lässt zwangsläufig das Bild von Kate Winslet als junge Rose DeWitt Bukater im legendären Epos „Titanic“ vor dem inneren Auge vorbeiziehen.

Die Herbstmode 2024 führt durch die Kostümgeschichte

Maison de R Herbst/Winter 2024/25

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Bora Aksu Herbst/Winter 2024/25

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Chanel Herbst/Winter 2024/25

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Le Fame Herbst/Winter 2024/25

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Fifties Swing

Der Look der 1950er Jahre darf in der Kostümgeschichte nicht übersprungen werden. Doch in dieser Saison erhalten weniger die verspielten Petticoat- und Polkadot-Varianten als die mondän-eleganten Looks ihre Bühne. Mode der 1950er Jahre verkörperte nach den harschen Jahren der Nachkriegszeit nun wieder die Ideale von Weiblichkeit, Glamour und Wohlstand, inspiriert von Filmstars wie Marilyn Monroe, Grace Kelly und Audrey Hepburn, die diese Ästhetik populär machten – heute deutlich in den femininen Konturen, dem eleganten Gelb und der konsequenten Accessoire-Strategie von Jacquemus nachzuvollziehen. MarcJacobs kontert überspitzt mit einem Augenzwinkern und entwirft ein klassisches Trio, das von einem Kurzblazer und einem schwingenden Rock dominiert wird und entfernt an den „New Look“ erinnert, den Christian Dior im Jahr 1947 prägte. Das Office-Outfit der Fifties liefert das Label Philosophy di Lorenzo Serafini mit einem Zweiteiler, unten abgerundet durch die für die 1950er Jahre klassische Bleistiftsilhouette, die die natürliche Form der Frau umarmte – als Gegenentwurf zu ausladenden Tellerröcken.

Die Herbstmode 2024 führt durch die Kostümgeschichte

Jacquemus Herbst/Winter 2024/25

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Marc Jacobs Herbst/Winter 2024/25

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Philosophy Herbst/Winter 2024/25

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