Paris Fashion Week im Frühjahr/Sommer 2025: Über feste Standpunkte und Veränderungen in der Mode
Und damit sind wir in Paris. Wo das Modepublikum ebenso wie die Modemacher*innen nach fashion-verliebten Kollektionen in New York, London und Mailand die Sehnsucht nach Veränderung umtreibt. „Für die Mode ist die Zeit gekommen, einen Standpunkt zu haben“, erklärte Demna nach seiner Show für Balenciaga. Seine Kollektion ließ er über einen Esstisch defilieren. Als kleiner Junge hatte er nämlich am Esstisch seiner Großmutter in Georgien die Liebe zur Mode entdeckt. Man kam hier allerdings nicht umhin, auch darüber nachzudenken, dass in der Mode immer mehr und mehr und mehr auf den Tisch kommt. Dass wir mit Kleidung längst so verschwenderisch umgehen wie mit Lebensmitteln.
Demna nahm die Show für Frühjahr/Sommer 2025 zum Anlass, um Kritik zu üben – an einer Modeindustrie, die noch immer nach dem perfekten und makellosen strebt. Aber man muss es anders machen, ist er sich sicher. Die Grundlage müsse Angst sein. Also präsentiert er erst mal jede Menge gar nicht mal so verführerisch wirkender Lingerie und dichtet die Kokon-Silhouetten von Cristóbal Balenciaga mit aufgeblasenen Hoodies und Bombern um. Als Durchschnittskund*in bekommt man da vielleicht wirklich ein bisschen Angst.
Paris Fashion Week: die wichtigsten Standpunkte und Trends für Frühjahr/Sommer 2025
Radikale Ansätze haben die Mode schon immer in die Zukunft getragen. Nicht alle guten Kollektionen, die während der Paris Fashion Week für Frühjahr/Sommer 2025 auf einem Laufsteg zu sehen waren, verändern grundlegend, wie wir die Welt betrachten oder uns auch nur in ihr anziehen. Aber sie alle haben einen relevanten Punkt.
Wer zum Beispiel gedacht hat, dass man (tragbare) Mode nicht mehr radikal neu denken kann, der dürfte von Loewe auch in dieser Saison wieder überrascht worden sein. Nach zehn Jahren bei dem spanischen Traditionshaus steckt Jonathan Anderson noch immer voller wundersamer Ideen. Für den kommenden Frühling und Sommer präsentiert er Krinolinen (ein Trend dieser Saison) unter leichtem Seidenorganza mit Blumenmuster, die so leicht anmuten wie Seidenpyjamas (so der Tenor) und zu Sneakers getragen werden. Die Säume von Mänteln und -jacken biegen sich nach oben, als hätte sie der Wind in Position gepustet. Weite Lederhosen werden am Bund zusammengerafft und nur von einem Loewe-Patch zusammengehalten. Tour-Shirts zeigen Mozart, Bach und Co. – die nicht auf Baumwolle, sondern auf weiße Federn gedruckt sind.
Das Debüt von Alessandro Michele für Valentino
Seit dem Frühling ist Alessandro Michele der Nachfolger von Pierpaolo Piccioli bei Valentino, der eine anmutige Eleganz in den leuchtendsten Farben für die italienische Marke kreiert hatte. Wie würde Valentino unter Alessandro Michele aussehen?
Wie die kunterbunt kuratierte Welt von Alessandro Michele. Ein maximalistisches Sammelsurium an Referenzen. Dekaden, Charaktere, Jahrhunderte. Damit macht er da weiter, wo er bei Gucci aufgehört hat und streut ein paar Valentino-Codes ein wie das ikonische Rot und die Rüschen. Es gab Volantkleider und romantische Blusen, knallige Spitzenstrumpfhosen und Spitzenhandschuhe, Etuikleider mit Schleifen, Blazer zu lässigem Denim, Turbane und schrägen Gesichtsschmuck. In den fast zwei Jahren Michele-Pause hat die Mode genug Quiet Luxury bekommen – jetzt wird es wieder Zeit für Mode, die nicht versteckt, sondern ausdrückt. Persönlichkeit am besten.
Die Leichtigkeit des Sommers in Paris
Chemena Kamali, nach Karl Lagerfeld die zweite deutsche Designerin bei Chloé, hat in der vergangenen Saison eines der spektakulärsten Debüts seit Langem abgeliefert. Also gibt sie den Leuten nun, wovon sie offensichtlich nicht genug bekommen können. 70er-Jahre Romantik, 2000er-It-Girl-Coolness und zeitloser französischer Chic. Hauchzarte Negligé-Sommerkleider, Bloomers zu Bra-Tops und wehende Empire-Kleider mit langer Schleppe. Dazu Sienna Miller als Stilvorbild in der Front Row. Die Leichtigkeit, mit der Kamali jeden dieser Looks für Frühjahr/Sommer 2025 auf den Laufsteg gebracht zu haben scheint, ist vielleicht nur nach einem so gefeierten Debüt möglich.
„A Longing for Lightness“, betont auch Albert Kriemler bei Akris. Der Designer hat dieses Jahr die Kostüme für das Ballett „Epilogue“ entworfen, das finale Stück von John Neumeier in Hamburg. Dabei hat er die frühe Renaissance als Inspiration für sich entdeckt. Am Anfang der Frühjahr-/Sommerkollektion 2025 stand das Fresko „Camera degli Sposi“ von Andrea Mantegna. Was erst mal nach einer schweren Inspiration klingt, steckt tatsächlich voller Licht und Leben und gipfelt in einer atemberaubend leichten Kollektion aus den zartesten Materialien. Mit kurzen Kleidern aus Baumwollraffia, Röcke aus übereinander geschichteten, winzigen Rüschen aus sogenanntem „Techno-Tüll“ und beeindruckend akkurat geschnittene Anzüge aus Seidenorganza.
Bei Hermès geht die Leichtigkeit mit einer subtilen Sinnlichkeit einher. Nadège Vanhee gelingt es hier sehr bemerkenswert, Haut zu zeigen, ohne den Körper zur Schau zu stellen. Vor allem weil die Stoffe in einer Farbpalette von Beige bis Karamell so luxuriös sind, wie man es von Hermès erwartet. Mesh wurde zu Bra-Tops und ausgestellten Hosen sowie Maxiröcken geschneidert, mit Zippern entlang der Seiten zum Anpassen. Kurze Polos und T-Shirts mit großen Taschen über den Brüsten werden zu feinen Lederröcken und Anoraks kombiniert. Seidentücher in Blusen und Röcken verwandelt. Dass ausgerechnet auf diesem Laufsteg nicht nur sehr dünne Models zu sehen waren, ist da umso erfreulicher.
Das Thema bei Issey Miyake im Frühjahr/Sommer 2025: Papier und Plissees. Kleider wirken wie nasses Papier an den Körper gedrückt. Die beliebten Plissees winden sich wie elastische Kokons von Kopf bis Knöchel; ihre Bewegungsfreundlichkeit wird durch die sich reckenden und streckenden Models unterstrichen. Eine Parade aus Blazern, Hosen und Mänteln ist aus einer Materialmischung von Seide und Washi, dem traditionellen japanischen Hanfpapier, gefertigt. Sie wirken wie frisch gepresst und sorgfältig um den Körper gefaltet.
Die starke Frau im Frühjahr/Sommer 2025
Seit ihrem Debüt für Christian Dior im Jahr 2016 hat Maria Grazia Chiuri sich von starken Frauen inspirieren lassen und ihnen währen der Show eine Bühne gegeben. Während dieser Pariser Modewoche konnte man das zum ersten Mal ganz wörtlich nehmen. Die Show eröffnete die Künstlerin und Bogenschützin Sagg Napoli, die eigentlich Sofia Genevra Gianni heißt, in einem schwarzen Body und Gladiatorenrock. Dazu ein sehr muskulöser Körper sowie Pfeil und Bogen für die folgende Live-Performance zum Defilé. Entsprechend viel Sportswear gab es in der Kollektion zu sehen: Bodys unter leicht transparenten Kleidern, Blazer und Blusen zu Trackpants aus Nylon oder Mesh, Schuh-Hybride aus Sneakers und Gladiatorensandalen. Hosenanzüge wirken so lässig, als seien es Jogginganzüge.
Bei Saint Laurent hat sich Anthony Vaccarello Gedanken zum „typischen weiblichen Archetyp“ gemacht. Das Ergebnis sind auf der einen Seite Models, die aussehen wie Yves Saint Laurent in 80ern höchstpersönlich, mit doppelreihigen breiten Blazern, Nadelstreifenhemden, Krawatten und dicken Hornbrillen. Und auf der anderen Seite Boho-Looks mit übergeworfenen Velourslederjacken und 80er-Jahre-Opulenz mit Miniröcken, Jacquard-Jacken und Spitze in Juwelenfarben. Sehr viel vom Oeuvre dieser Marke also. Es ist ein Frauenbild (oder Männerbild?), das man hinterfragen kann. Wie weibliche Stärke in Zukunft aussehen wird, muss sich noch zeigen. Sind es Miniröcke oder Männeranzüge? Vielleicht ganz was anderes? Womöglich alles, was man will?