Warum Proteine so wichtig sind und wie viel Eiweiß wir wirklich brauchen – eine Expertin klärt auf

Laut Expertin: So viel Protein brauchen wir wirklich

Ob vegan, vegetarisch oder ohne Einschränkungen - ausreichend Proteine sind besonders wichtig

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Proteinshakes, Proteinriegel, Proteinpudding, Proteinbrot – besonders zum Jahresanfang kommen wir an dem Wort "Protein" nicht vorbei. Von allen Seiten lockt die Fitness-Industrie mit vermeintlich gesunden Mitteln, um schnell Muskeln aufzubauen. Dabei ist die richtige Menge Eiweiß nichts, was wir auf kurze Dauer als Neujahrsvorsatz haben sollten. Eiweiß ist außerordentlich wichtig für den Muskelaufbau und für unser Immunsystem, weshalb wir ganzjährig auf eine ausreichende Proteinzufuhr achten sollten. Warum Eiweiß ein so wichtiger Bestandteil unserer Ernährung sein sollte und wie wir möglichst unkompliziert gesund Eiweiß zu uns nehmen können, hat uns die Fachärztin für Allgemeinmedizin mit Schwerpunkt Präventiv- & Ernährungsmedizin Dr. Constanze Lohse im Interview erklärt.

Laut Expertin: Darum sind Proteine so wichtig und wie wir ausreichend Eiweiß zu uns nehmen

 

freundin: Was genau sind Proteine und warum sind sie so wichtig für uns?

Dr. Constanze Lohse: Proteine, auch Eiweiße genannt, sind neben Kohlenhydraten und Fetten essenzielle Makronährstoffe, die unser Körper zur Energiegewinnung benötigt. Sie sind fundamental für den Aufbau von z.B. Muskeln, Immunzellen, Antikörpern sowie Haut und Haaren. Man kann allgemein sagen, dass unser Körper zu einem Fünftel aus Eiweiß besteht, ohne Eiweiß geht quasi nichts und Proteine sind somit lebensnotwendige Bausteine unseres Körpers.

Werde ich also auch schneller krank, wenn ich zu wenig Eiweiß zu mir nehme?

Ja, definitiv. Studien zeigen, dass eine ausreichende Eiweißzufuhr den Immunstatus sowohl bei Tieren als auch bei Menschen verbessert. Ist man also krank, ist es umso wichtiger, ausreichend Eiweiß zu essen.

Zum Proteinbedarf kursiert auf TikTok die Formel 1,2 g x 1 kg Körpergewicht. Ist das eine gute Richtlinie?

Ja, das ist eine gute Faustregel. Für die meisten Erwachsenen im Alter zwischen 20 und 59 Jahren ist eine Aufnahme von 1 bis 1,5 g Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht angemessen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt aktuell 0,8 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht. Das ist aber laut aktuellem, wissenschaftlichem Stand zu knapp bemessen. Der Eiweißbedarf ist zusätzlich immer auch individuell. Eine schwangere Frau hat beispielsweise besonders im letzten Schwangerschaftsdrittel einen erhöhten Bedarf. Auch der Bedarf bei Babys, die schnell wachsen, kann höher sein. Und: Besonders im Alter ist es wichtig, mehr Eiweiß zu essen, um dem körperlichen Verfall entgegenzuwirken.

Was muss denn auf meinen Teller, um ausreichend Protein zu mir zu nehmen?

Ich empfehle meinen Patienten immer grob, die Hälfte des Tellers mit Gemüse zu füllen und die andere Hälfte des Tellers aufzuteilen in ein Viertel Eiweiß und ein Viertel Kohlenhydrate. Von allen Nährstoffen hat Eiweiß den höchsten Sättigungseffekt, starte ich also bereits mit einer eiweißreichen Mahlzeit in den Tag, habe ich weniger Heißhungerattacken über den Tag verteilt.

Morgens empfehle ich Quark oder Joghurt mit ein paar Nüssen und Beeren oder ein gutes Nuss-Saatenbrot mit beispielsweise Avocado, Hüttenkäse und Ei, vielleicht noch Lachs oder Pilze dazu. Für Mittag- und Abendessen dann die Tellerregel: Die Hälfte besteht aus Gemüse und das Viertel Eiweiß aus Quellen wie Fleich, Fisch, (beides aus guter Bio-Qualität) Hülsenfrüchte oder Eier. Als Kohlenhydrate eignen sich Quinoa oder Kartoffeln super.

Und wenn ich zwischendurch doch einmal Hunger bekomme? Was kann ich snacken?

Eiweiß sättigt bereits stark. Sollte doch einmal der kleine Hunger zwischendurch kommen, eignen sich gekochte Eier, Nüsse oder Käsewürfel besonderes gut als Snack. Manchmal kann auch ein Shake mit Eiweißpulver sinnvoll sein.

Sind Proteinpulver denn wirklich gesund?

Proteinpulver ersetzen natürlich keine gesunde Ernährung, können aber – vorausgesetzt sie sind von guter Qualität – eine sinnvolle Ergänzung sein, besonders wenn es schnell gehen muss. Im Prinzip ist ein Proteinpulver einfach gemahlenes Eiweiß, genau wie Mehl beispielsweise gemahlene Kohlenhydrate sind – es ist also gar nicht so schwierig.

Und woran erkenne ich ein gutes, hochwertiges Proteinpulver?

Zum einen an einer kurzen Liste natürlicher Inhaltsstoffe mit möglichst wenig Zucker, Aromastoffen oder künstlichen Zusätzen. Zum anderen an einer hohen biologischen Wertigkeit (BW). Diese bestimmt die Qualität eines Proteins. Je mehr essenzielle Aminosäuren ein Protein enthält, desto höher die BW und desto besser wird das Protein in körpereigenes Eiweiß umgewandelt. Die BW einzelner Proteine lässt sich ganz einfach online nachlesen.

Ein gutes Proteinpulver liegt bei ca. 80 g Eiweiß auf 100 g und je ca. 2-5 g Kohlenhydrate und Zucker.

Ein Mandelproteinpulver besteht beispielsweise zu 100 Prozent aus Mandeln. Ist das gut?

Es ist definitiv clean, enthält aber allein zu wenig Eiweiß. Proteine haben immer bestimmte Aminosäuren, von denen wir eine gemischte Konstellation benötigen. Nehmen wir, um bei ihrem Beispiel zu bleiben, nur Mandelprotein, fehlt eine ganze Reihe anderer Aminosäuren. Deshalb rate ich bei einer veganen Ernährung immer dazu, eine Mischung aus Mandel-, Hafer-, Reis- oder Sojaproteinpulver zu nutzen, um die biologische Werigkeit des Eiweißpulvers zu erhöhen.

Kann ich auch ohne Proteinpulver Muskeln aufbauen?

Für einen durchschnittlichen Menschen ohne bestimmte Fitnessziele ist kein Pulver nötig. Aber bei sehr ambitionierten (sportlichen) Zielen kann es sehr hilfreich sein und reden wir vom Bodybuilding, ist es obligatorisch.

Kann ich auch zu viel Protein zu mir nehmen? Und kann zu viel Protein den Nieren schaden?

Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Menschen eher zu wenig als zu viel Eiweiß essen. Dennoch kann es unter Umständen schädlich sein, zu schnell zu viel Eiweiß zu essen. Vor allem tierisches Eiweiß schlechter Qualität kann die Darmbakterien aus dem Gleichgewicht bringen. Insbesondere in Kombination mit einer allgemein ungesunden Ernährung. Wenn ich zum Beispiel ein 500-Gramm-Steak und eine Portion Pommes in wenigen Minuten hinunterschlinge, ohne vernünftig zu kauen, können die Verdauungsenzyme das Essen nicht richtig verarbeiten. Es gelangt unverdaut weiter in den Darm, wo sich die falschen Bakterien vermehren können. Das muss nicht, kann aber passieren.

Was die Nieren angeht: Bei sehr schwer vorerkrankten Personen kann das der Fall sein, ein gesunder Mensch erleidet jedoch keine Schäden durch Eiweiß.

Schauen wir uns die Supermarktregale an, gerade jetzt zum Jahreswechsel, wirbt jedes zweite Produkt mit „High Protein“. Gesund oder Falle?

Nicht alles davon ist schlecht, aber vieles enthält unnötige Zusätze. Ein kurzer Blick auf die Zutatenliste hilft. Stehen da viele Aromastoffe, E-Nummern oder Zuckerersatzstoffe drin, heißt es Finger weg! Ein Proteinriegel, der ordentlich Protein hat (ca. 40 g auf 100 g) und z.B. mit Datteln gesüßt ist, ist aber immer allemal besser als ein Schokoriegel.