Sexistische Endometriose-Studie sorgt für Shitstorm auf Twitter
Eine bizarre Endometriose-Studie, die die Schwere der Krankheit mit der Attraktivität der Betroffenen in Verbindung bringt, geht auf Twitter viral.
Die Sache mit der Endometriose ist die: Die Emotionen kochen bei dem Thema schnell hoch. Die Krankheit betrifft schätzungsweise eine von zehn menstruierenden Personen und geht oft mit extremen Schmerzen, möglicher Unfruchtbarkeit und anderen Beeinträchtigungen einher. Trotzdem ist sie erstaunlich schlecht erforscht, weshalb es im Durchschnitt zehn Jahre dauert, bis sie diagnostiziert wird. Erst seit einigen Jahren erhält das Thema größere Aufmerksamkeit, auch dank prominenter Betroffener wie Lena Dunham, der wegen der Krankheit schon Gebärmutter und ein Eierstock entfernt wurden.
Dass die Krankheit erst seit kurzer Zeit ins öffentliche Bewusstsein getreten ist, hat einen Grund: Sie betrifft mehrheitlich Frauen. Und Frauen und ihre spezifischen Probleme wurden im Medizinwesen jahrhundertelang strukturell benachteiligt, heruntergespielt, ignoriert. Was die Studie, die seit einigen Tagen auf Twitter auseinander genommen wird, nur noch empörender macht: Ein italienisches Forscherteam hat es auf sich genommen, zu untersuchen, ob Frauen mit rektovaginaler Endometriose attraktiver sind als andere. Warum? NIEMAND WEISS ES.
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Und so ging sie viral: Ein Twitter-Account, der sich über Evolutionspsychologie lustig macht (eine Disziplin, die bei vielen Wissenschaftlern verschrien ist wegen ihrer zum Teil kruden Erklärungsansätze), twitterte zwei Screenshots von einem Artikel, der vor sieben Jahren in einem seriösen wissenschaftlichen Journal namens “Fertility and Sterility” (Fruchtbarkeit und Sterilität) erschienen ist:
woman: im in terrible pain and i need help
doctor: the bad news is that u have rectovaginal endometriosis
woman: oh no...
doctor: but the good news is im enrolling u in a study
woman: u mean like a clinical trial?
doctor: [staring directly at the womans chest] oh, youll see... pic.twitter.com/dzg0DyE0tY— evo psych googling (@evopsychgoogle) August 15, 2019
Frau: Ich habe schreckliche Schmerzen und brauche Hilfe
Arzt: Die schlechte Nachricht ist: Sie haben rektovaginale Endometriose
Frau: Oh nein...
Arzt: Aber die gute Nachricht ist, dass ich Sie bei einem Forschungsprojekt anmelden werde
Frau: Sie meinen eine klinische Studie?
Arzt: [glotzt direkt auf ihre Brust] Das sehen Sie dann...
Der Tweet ist lustig, aber die Studie namens “Attraktivität von Frauen mit rektovaginaler Endometriose: eine Fallkontroll-Studie” ist tatsächlich kein Scherz. Sie stammt von einem Forscherteam aus Mailand, und die Twitter-Meute, die sich in der Folge dieses Tweets auf sie stürzte, wollte ihren Augen kaum trauen: Offenbar waren 300 Frauen von vier Ärztinnen und Ärzten nach ihrer Attraktivität beurteilt worden, 100 mit rektovaginaler (schwerer) Endometriose, 100 mit leichterer, 100 ohne. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Frauen mit rektovaginaler Endometriose angeblich durchschnittlich attraktiver seien als gesunde oder Frauen mit leichteren Formen der Endometriose. Bahnbrechend. Gewonnene Erkenntnisse darüber, wie man diesen Frauen helfen kann: 0. Twitter-Nutzer: Begeistert.
Das ist so unglaublich, ihr müsst den Thread lesen.
Medzin ist eine Männerwelt. Und wenn dann mal eine Krankheit, die nur Frauen haben von Interesse ist: https://t.co/XuRQcs2l0V— Ghislaine von Bunsen (@Dr_Gretchen) August 17, 2019
Gesellschaft: *entwickelt Bewusstsein für Endometriose und interessiert sich allmählich für Erkennung und Behandlung*
Arzt: "Jaja, die Schmerzen sind sicher ungut, aber wie geil wäre eine Studie darüber, ob Frauen mit Endometriose heißer aussehen als Frauen ohne???"
👨🏼⚕️🔫 https://t.co/8jApNQc5V4— Nicole Schöndorfer (@nicole_schoen) August 15, 2019
There’s rightful anger about this paper & some attempts to say it’s legit science. I did my PhD on endometriosis & can tell you that this isn’t surprising. Women’s personality, educational levels/aspirations, intelligence & more has always been studied in relation to the disease. https://t.co/rzAuF1TOTm
— A/Prof Kate Seear (@Kate_Seear) August 16, 2019
Dieser Tweet zeigt, wie tief Diskriminierung von Frauen in der medizinischen Forschung verankert ist: “Es gibt berechtigten Ärger über dieses Paper und einige Versuche, zu behaupten, das sei ernstzunehmende Wissenschaft. Ich habe meine Doktoarbeit über Endometriose geschrieben und sage euch, das ist keine Überraschung. Die Persönlichkeit, der Bildungsstand/Ziele, die Intelligenz von Frauen sind schon oft in Verbindung mit dieser Krankheit untersucht worden.”
Jen Gunter, eine in den USA bekannte Gynäkologin, nannte den Titel der Studie “obszön” und machte sich auf ihrer Webseite Luft: “Ich räume absolut ein, dass es wichtig ist, Attraktivität von einem psychologischen Standpunkt aus zu erforschen. [...] Diese Studien sollten von Psychologen durchgeführt werden, nicht von Frauenärzten. Ich kann nicht verstehen, was es zur medizinischen Forschung beitragen soll, wenn eine kleine Gruppe von italienischen Ärzten die Attraktivität von Frauen mit unterschiedlichen Stadien von Endometriose untersucht.
In dieser *hust* Studie waren dann Frauen mit der fortgeschritteneren Form von Endometriose dünner (laut BMI), hatten größere Brüste (laut Brust-Unterbrust-Verhältnis) und wurden von einer Gruppe Ärzte als attraktiver als die anderen Frauen “beurteilt” (ich zitiere hier). Ehrlich gesagt macht es mich krank, das hier zu tippen. Wenn irgendein Forscher mich bitten würde, an dieser Studie teilzunehmen, wäre meine erste Antwort “Verpiss dich”. Und dann würde ich sie oder ihn beim Ethikrat melden.”
Gesundheitsmythen: Was stimmt wirklich?
Die Autoren der Studie haben inzwischen ein Statement veröffentlicht – in dem, zusammengefasst, steht, man habe sich von der Studie Erkenntnisse über die Ursachen von Endometriose erhofft. So sei es beispielsweise denkbar, dass das erhöhte Vorhandensein des Sexualhormons Östrogen oder anderer genetischer Marker, die für höhere Attraktivität sorgen, auch etwas mit einem schlimmeren Verlauf der Krankheit zu tun haben könnten.
Gunter merkt zu Recht an, dass die Bewertung der Attraktivität bei der Beantwortung keiner dieser Fragen helfe. Wenn man vermute, dass BMI oder Östrogen etwas mit Endometriose zu tun haben könnten, so Gunter, dann solle man diese Zusammenhänge untersuchen und diese auch in den Titel der Studie schreiben.
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