Sexualpädagogin Gianna Bacio im Interview – über persönliche Erfahrungen mit HPV-Infektionen und warum es noch mehr Aufklärung braucht
Masturbation, Lecktücher, Vulvalippen: Gianna Bacio ist Sexualpädagogin und spricht auf Social Media und in ihrem Podcast „Hot Stuff“ über all das, worüber die meisten wahrscheinlich nur mit ihren engsten Freund*innen reden. Ein Thema, das damit unweigerlich zusammenhängt: sexuell übertragbare Krankheiten.
Der Januar ist jährlich der Monat, in dem auf Gebärmutterhalskrebs aufmerksam gemacht wird. Eine Krankheit, die durch eine Infektion mit Humanen Papillomviren (HPV) ausgelöst wird. Zusammen mit der Initiative „ENTSCHIEDEN. Gegen Krebs“ klärt Gianna Bacio über HPV-Infektionen und mögliche Folgeerkrankungen wie Gebärmutterhalskrebs auf. Zum Gebärmutterhalskrebs-Awareness-Month sprach sie mit InStyle über Mythen rund um HPV-Infektionen und ihre persönlichen Erfahrungen.
Gianna Bacio im Interview: „Jungen und Männer können sich genauso infizieren“
InStyle: Du bist Sexualpädagogin. Was kann man sich unter deinem Beruf genau vorstellen?
Gianna Bacio: Sexualpädagogin ist kein klassischer Beruf, bei dem man sofort weiß, was dahintersteckt. Meine Arbeit ist sehr vielfältig. Ich mache zum Beispiel einen Podcast, der wöchentlich erscheint. Darin spreche ich über Sex und alle möglichen Themen, die damit verbunden sind. Außerdem schreibe ich Bücher – unter anderem habe ich eines über Masturbation und eines über Paarsexualität veröffentlicht. Daneben mache ich ganz viel „Internetkrams“, produziere Videos zu allen möglichen Aufklärungsthemen, die ich auf Instagram und auch auf TikTok teile.
Wie hast du entschieden, dass Social Media – insbesondere Instagram – eine gute Plattform ist, um mehr über dieses Thema zu sprechen?
Wie so vieles in meinem Leben war das eher Zufall als eine strategische Entscheidung. Ich hatte einfach Lust, kurze Video-Snippets zu machen, und Instagram bot sich dafür perfekt an. Vorher war ich hauptsächlich auf YouTube aktiv, aber hatte nicht mehr so viel Freude daran, lange Videos zu produzieren. Ursprünglich habe ich dort vor 14 Jahren mit Aufklärungsvideos begonnen.
Du klärst u.a. darüber auf, dass Kondome – obwohl viele davon ausgehen – nicht zu 100 Prozent vor der Übertragung von HPV schützen. Welche Mythen zu Gebärmutterhalskrebs und HPV kennst du, und wie viel Wahrheit steckt dahinter?
Ein weit verbreiteter Mythos ist, dass sich Männer nicht mit HPV anstecken können. Das stimmt nicht: Jungen und Männer können sich genauso infizieren und auch Folgeerkrankungen entwickeln. Daher ist die HPV-Schutz-Imfpung genauso für Jungen wie für Mädchen empfohlen. Das wissen viele nicht. Ein weiterer Mythos ist, dass HPV grundsätzlich harmlos ist und von allein wieder verschwindet. Das kann zwar in vielen Fällen passieren, aber es gibt eben auch Infektionen, die langfristig zu ernsthaften Erkrankungen führen können – bis hin zu Gebärmutterhalskrebs oder anderen Krebsarten. Hier fehlt es oft an Aufklärung über die möglichen Risiken. Außerdem gibt es noch den Irrglauben, dass die HPV-Impfung ausschließlich in jungen Jahren erfolgen muss, da die Impfung häufig zwischen neun und 14 Jahren verabreicht wird. In diesem Alter reagiert das Immunsystem tatsächlich am besten auf die Impfung, weshalb sie in diesem Zeitraum von der STIKO empfohlen wird. Aber eine Impfung kann auch danach noch individuell sinnvoll sein und wird von vielen Krankenkassen übernommen.
Was denkst du: Wissen genug Menschen in Deutschland, was hinter der Buchstabenfolge HPV steckt?
Ich glaube tatsächlich, dass die meisten Menschen darüber nicht ausreichend informiert sind. Vielleicht haben sie die Buchstabenfolge HPV schon einmal gehört, wissen aber nicht genau, was dahintersteckt. Ich habe zwar keine Umfrage dazu durchgeführt, aber bereits viel über HPV gesprochen und sogar eine Podcast-Folge dazu aufgenommen. Dabei hat es mich immer wieder überrascht, wie wenig Wissen vorhanden ist – und wie dankbar die Menschen sind, wenn sie mehr darüber erfahren. Die Zahl derjenigen, die sich mit HPV infizieren, ist extrem hoch. Das zeigt, dass es nach wie vor nicht genug Aufklärung zu diesem Thema gibt.
Würdest du also sagen, dass der Hauptgrund für das mangelnde Wissen die unzureichende Aufklärung über HPV und Folgeerkrankungen in Deutschland ist?
Genau – es gibt einfach zu wenig Aufklärung darüber, wie man sich mit HPV anstecken kann, dass auch Jungen betroffen sein können und wie man sich davor schützen kann. Außerdem fehlt oft das Wissen über die möglichen Folgeerkrankungen. Viele wissen nicht, dass HPV nicht nur Gebärmutterhalskrebs verursachen kann, sondern auch andere Krebsarten oder Krebsvorstufen. Das ist einfach noch nicht weit genug verbreitet.
Gebärmutterhalskrebs ist die Folgeerkrankung, die im öffentlichen Diskurs am häufigsten mit HPV in Verbindung gebracht wird. Hattest du in deinem privaten Umfeld schon einmal Berührungspunkte damit?
Eine sehr gute Freundin von mir hatte einmal einen positiven Abstrich. Daraufhin musste eine Konisation an ihrem Gebärmutterhals durchgeführt werden (die operative Entfernung eines Gewebekegels aus dem Gebärmutterhals; Anm. d. Red.). Dabei wurden veränderte Zellen festgestellt. Ich erinnere mich noch gut daran, wie sehr mich das mitgenommen hat. Ich hatte einfach große Angst, dass es sich um Gebärmutterhalskrebs handeln könnte. Zum Glück war es „nur“ eine Krebsvorstufe, und das veränderte Gewebe konnte vollständig entfernt werden. Trotzdem war das eine sehr emotionale Zeit, in der viele Tränen geflossen sind.
Hat diese Erfahrung etwas an deiner eigenen Vorsorge verändert?
Für mich persönlich hat sich nichts verändert, weil ich ohnehin regelmäßig zur Vorsorge gehe. Aber es hat mir noch einmal verdeutlicht, wie nah das Thema tatsächlich ist. Das war ein Moment, in dem ich dachte: Wow, das kann wirklich jede und jeden betreffen. Was meinen Wunsch bestärkte, noch mehr Aufklärung zu betreiben.
Wie sieht denn die richtige Gebärmutterhalskrebsvorsorge aus?
Zum einen gehören dazu die regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen. Die wichtigste Maßnahme ist aber die prophylaktische Schutzimpfung, die insbesondere gegen bestimmte HPV-bedingte Folgeerkrankungen schützen kann. Viele wissen nicht, dass diese Impfung auch noch im höheren Alter möglich ist, also über die empfohlenen 9 bis 14 Jahre hinaus. Besonders für sexuell aktive Menschen mit wechselnden Sexualpartner*innen ist es auch im höheren Alter ratsam, sich impfen zu lassen.
Findest du, dass in Deutschland offen genug über sexuell übertragbare Krankheiten gesprochen wird?
Einerseits würde ich sagen, dass wir in Deutschland schon relativ gut aufgeklärt sind. Zumindest, wenn es um die Vermeidung von Krankheiten und Schwangerschaften geht. In der Schule wird vor allem vermittelt, wie man sich schützt – also Vermeidungspädagogik. Es gibt natürlich auch positive Beispiele: Wenn Organisationen wie Pro Familia oder Sexualpädagog*innen in den Unterricht kommen, gibt es oftmals mehr zu lernen. Da geht es bestenfalls nicht nur um Schutz, sondern auch um Lust, Erregung und die verschiedenen Möglichkeiten, die eigene Sexualität zu entdecken. Trotzdem merke ich, dass bestimmte Themen nicht sehr weit verbreitet sind – wie der Gebrauch von Kondomen oder Lecktüchern. Und obwohl über Krankheiten, Periode und Schwangerschaft gesprochen wird, bleibt oft nicht genug davon hängen. Gerade HPV bekommt im Unterricht nicht den Stellenwert, den es haben sollte. Wenn man bedenkt, dass sich 85 bis 90 Prozent der Menschen im Laufe ihres Lebens mit dem Virus infizieren, zeigt das, dass es immer noch großen Aufklärungsbedarf gibt. Wir müssten definitiv unser Schulsystem in diesem Bereich überdenken und überlegen, wie wir Kindern und Jugendlichen dieses Wissen so vermitteln, dass sie es auch wirklich mitnehmen. Ein freiwilliges Impfangebot an Schulen könnte eine Möglichkeit sein, um ins Gespräch zu kommen. Auch mit den Eltern.
Siehst du die Verantwortung also direkt bei der Schule?
Ja, auch – aber nicht ausschließlich. Ich finde, es sollte nicht nur Aufgabe der Schule sein. Auch die Sorgeberechtigten sollten in die Pflicht genommen werden, ihre Kinder aufzuklären.
Das Thema Aufklärung von den Eltern verbinden viele erst einmal mit dem Wort: Unangenehm. Hast du einen Tipp, wie Eltern ihre Kinder über die HPV-Impfung und andere Vorsorge-Methoden aufklären können – ohne, dass es eine komische Situation wird?
Ich bekomme häufig von Eltern solche Fragen, weil sie sich unsicher sind, wie sie mit ihren Kindern darüber sprechen sollen. Eltern haben dann meist eine „Erwachsenenbrille“ auf und denken, sie könnten mit ihren Kindern über manche Themen noch nicht sprechen. Helfen würde, durch eine „Kinderbrille“ zu schauen. Kinder sind neugierig, aufnahmebereit und sehr intelligent. Wir können ihnen viel mehr zutrauen, als wir denken. Sie merken sofort, wenn wir ihnen etwas verheimlichen oder bei einem Thema rumdrucksen. Deshalb sollten Eltern das Thema entspannt angehen und erklären, dass es dabei um ihre Gesundheit geht. Je nach Alter kann man die Impfung genauer erklären: Dass man Bestandteile eines Erregers verabreicht bekommt, die aber selbst keine Krankheiten auslösen können. Und dass das Immunsystem darauf reagiert, indem es spezielle Antikörper bildet, die schnell aktiv werden, wenn man sich einmal anstecken sollte. Und dass die Impfung eben einen kleinen Piekser bedeutet. Solch ein Gespräch übt einen auch selbst, lockerer damit umzugehen. Es ist einfach total wichtig, über solche Themen mit Kindern im Gespräch zu bleiben.