Tabu-Thema Menstruation: Wie kann Aufklärung gelingen?

Das Thema Menstruation ist immer noch stark mit Tabus und Stigmata behaftet. Insbesondere Jugendlichen, aber auch vielen Männern fehlt es an Akzeptanz und Wissen. Wie sich dies ändern lässt und wie gute Aufklärungsarbeit aussehen kann, darüber haben wir mit einer Expertin gesprochen.

Das Stigma der Menstruation bleibt. Warum? Schließlich betrifft die Periode rund die Hälfte der Gesellschaft. (Bild: Getty Images)
Das Stigma der Menstruation bleibt. Warum? Schließlich betrifft die Periode rund die Hälfte der Gesellschaft. (Bild: Getty Images)

Dass die Kommunikation rund um das Thema Periode mit Scham behaftet ist, hat viele und verschiedene Gründe: Angefangen beim Sexverbot der Christen während der Menstruation, das erstmals im Alten Testament auftaucht und schließlich mit dem Sündenfall Evas und ihrer Bestrafung durch eine monatliche Blutung fortgesetzt wird, über das Herunterspielen von Schmerzen, um beispielsweise im beruflichen Umfeld nicht "aufzufallen", bis hin zu fehlender Forschung und Kommunikation sowie falschen Informationen, die bereits bei Jugendlichen dafür sorgen, dass sie mit dem Einsetzen der Periode vollkommen überfordert sind.

Überforderung und Scham: Gefühle, wenn es um die Menstruation geht

Aus einer repräsentativen Umfrage, die Plan International und WASH United mit jeweils 1.000 Frauen und Männern zwischen 16 bis 45 Jahren durchführen ließ, geht hervor, dass auch Deutschland leider noch weit davon entfernt ist, eine vorurteilsfreie, aufgeklärte und periodenfreundliche Gesellschaft zu sein.

Gerade junge Erwachsene sind offenbar nicht aufgeklärt genug, wie die Umfragezahlen zeigen: Jede fünfte befragte menstruierende Person wusste eigenen Angaben zufolge nicht, was bei der ersten Periode mit ihr passiert. Rund ein Drittel der befragten Menstruierenden fühlt sich während der Periode "unrein", doch fast genauso viele haben den Wunsch, sich nicht mehr für ihre Periode schämen zu müssen.

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Fast alle, nämlich 97 Prozent, der befragten Mädchen und Frauen empfinden Blutflecken auf der Kleidung als "Worst Case"-Szenario. Sichtbar "durchzubluten" ist stark mit Scham behaftet. Doch woher kommt überhaupt dieses Gefühl der Scham? Warum ist die Menstruation nach wie vor – selbst bei Erwachsenen – ein Tabu-Thema?

Enttabuisierung und Aufklärung – aber wie?

Wir haben mit Jessica Linder von Einhorn gesprochen; das Berliner Unternehmen, das unter anderem Periodenprodukte aus fair hergestellter Baumwolle sowie Menstruationsbecher im Sortiment hat, setzt sich auch für die Enttabuisierung des Themas ein – und hat nun auch einen Guide zur Aufklärung herausgebracht: "Ella's Welt" soll Lehrer*innen dabei helfen, einen spaßigen Aufklärungsunterricht zu gestalten – der garantiert nicht peinlich ist.

Yahoo Life Deutschland: Frau Linder, in der Umfrage, die Plan International und WASH United durchgeführt hat, gaben 62 Prozent der Teilnehmerinnen an, dass die Periode enttabuisiert werden sollte – aber warum ist die Menstruation überhaupt nach wie vor so ein Tabu-Thema?

Jessica Linder: Auch wenn ich mitbekomme, dass viele Jugendliche mittlerweile deutlich offener mit dem Thema umgehen, ist die Periode doch gerade am Anfang noch etwas, das einfach verunsichert. Wenn sich der Körper verändert hilft es grundsätzlich, Teenies durch Aufklärung auf alle kommenden Schritte vorzubereiten, aber wenn es dann soweit ist, herrscht ja doch erstmal ein Überforderungszustand mit vielen "Muss das so?!"-Fragen. Gerade am Anfang ist die Periode vielleicht noch eher bräunlich oder auch mal deutlich länger, das Tampon sitzt nicht richtig und die Binde ist schneller voll als gedacht. Da noch keine Erfahrungswerte da sind, schämen sich viele Teenies dafür, was der Körper da gerade macht. Wenn man dann nicht die richtigen Menschen um sich hat, die man im Vertrauen fragen kann, was da passiert, wird es erstmal ein Tabu-Thema bleiben.

Warum fällt es sogar vielen Erwachsenen noch schwer, offen über die Monatsblutung zu sprechen?

Leider wurden ja viele Menschen so sozialisiert, dass die Periode möglichst versteckt werden sollte und sie sich nichts anmerken lassen durften. So wissen viele Männer auch kaum mit dem Thema umzugehen, wenn die Berührungspunkte fehlen. Dieses Schweigen rund um die Menstruation muss definitiv durchbrochen werden, da die Regelblutung einfach zu unserem Alltag gehört.

Dass beim Thema Aufklärung noch Luft nach oben ist, darüber sind sich auch die Befragten der Studie einig: 79 Prozent der weiblichen und 60 Prozent der männlichen Befragten fordern, dass Schulen besser über die Menstruation informieren. Aber: Wie kann eine zeitgemäße, nicht peinliche Aufklärung zum Thema Periode für Jugendliche aussehen?

2019 haben wir von Einhorn gemeinsam mit WASH United durch eine Umfrage zum Team Menstruationsaufklärung herausgefunden, dass es da definitiv Verbesserungspotential gibt und gemeinsam einen Leitfaden für den Schulunterricht entwickelt. Der Guide Namens "Ella's Welt" hilft Lehrer:innen, einen spaßigen Aufklärungsunterricht zu gestalten, der garantiert nicht peinlich ist. Den Guide kann man kostenlos herunterladen und direkt ohne viele Hilfsmittel nutzen. In dem Unterricht lernen die Mädchen als Gemeinschaft spielerisch das Thema Periode kennen und lernen, welche Produkte sie wie einsetzen können, sodass sie gut vorbereitet sind.

(Bild: Einhorn)
(Bild: Einhorn)

In der Umfrage von Plan International und WASH United gaben 79 Prozent der Männer an, schon mal einen "blöden" Spruch über die Periode gemacht oder solche Kommentare mitbekommen zu haben. Wie wichtig ist es, auch die Jungs mit ins Boot zu holen?

Oftmals findet der Aufklärungsunterricht getrennt statt, damit ein Safe Space für offene Fragen geschaffen wird, so auch bei "Ella's Welt". Langfristig wäre es wunderbar, wenn die Jungs parallel einen äquivalenten Unterricht erleben würden, da es natürlich total wichtig ist, dass auch sie wissen, wie der Zyklus funktioniert. Ansonsten bleibt hier immer die Wissenslücke, die zu unnötigen Unsicherheiten im Umgang mit der Periode führt.

Ab wann sollte man zu Hause mit der Aufklärung beginnen und wie sollten wir mit unseren Kindern/Jugendlichen über das Thema Periode sprechen?

Auch wenn ich keine Kinder habe und hier sicherlich nicht die Expertin bin, würde ich grundsätzlich einen offenen Umgang empfehlen und dem Kind in passenden Situationen auch erklären, dass man gerade blutet, damit es zu etwas Normalem wird, anstatt das Thema nur hinter verschlossenen Badezimmertüren zu halten.

Anhand ihrer Studienergebnisse haben Plan International und WASH United Forderungen für die Politik und die Gesellschaft abgeleitet, was alles passieren muss, damit die Menstruation bis 2030 "etwas völlig Normales ist und keine Frau und kein Mädchen aufgrund der Periode daran gehindert wird, ihr volles Potenzial zu entfalten". Ist das ein realistisches Ziel, wenn nach wie vor Mädchen und Frauen Blutflecken auf der Kleidung als "Worst Case"-Szenario empfinden?

Natürlich kann man die schlechte Aufklärung der letzten Jahre nicht rückgängig machen und es wird sicherlich 2030 auch noch Frauen geben, denen das Thema noch unangenehm ist. Trotzdem hilft ein guter Aufklärungsunterricht natürlich, diese Scham für die nächsten Generationen zu minimieren und ein Verständnis zu schaffen, dass die Periode etwas ganz Normales ist.

VIDEO: 3 Wege, um Menstruation zu enttabuisieren