Ungewissheit, Schmerzen, unerfüllter Kinderwunsch: Wie wirkt sich Endometriose auf die Psyche aus?
Abseits ihrer Schmerzen kämpfen Frauen mit Endometriose an vielen Fronten: Darum, ernst genommen zu werden. Darum, dass endlich jemand herausfindet, was mit ihnen los ist. Darum, im Beruf und in der Partnerschaft Verständnis zu erfahren und oftmals auch darum, ein Kind zu bekommen. Hier erklärt Prof. Dr. Tewes Wischmann von der Uniklinik Heidelberg, wie man diesen Problemen begegnen kann.
„Endometriose ist eine chronische aber gutartige Erkrankung bei der sich die Schleimhaut der Gebärmutter außerhalb derselbigen befindet“, erklärt PD Dr. med. Sebastian Berlit im Interview mit Yahoo Style. „Normalerweise ist es so: Zum Beginn des Menstruationszyklus baut sich die Schleimhaut, die die Gebärmutterhöhle ausfüllt, auf und wird gegen Ende hin mit der Menstruation wieder abgestoßen und nach außen hin abgeblutet.“ Die Schleimhaut außerhalb der Gebärmutter durchläuft denselben Prozess, allerdings kann der Körper sie nicht einfach loswerden. „Das verursacht dann, je nachdem wo die Schleimhaut sitzt, Beschwerden“, erklärt der Fachmann. Je nach Lage kann dies mehr oder weniger starke Schmerzen verursachen, die oft kontinuierlich stärker werden.
Wie wirkt sich die Krankheit auf die Psyche aus?
„In der Regel kommen die Frauen zu mir, wenn sie glauben, in bestimmten Bereichen nicht mehr weiterzukönnen“, sagt Prof. Dr. Tewes Wischmann im Interview mit Yahoo Style. Der Diplom-Psychologe arbeitet am Universitätsklinikum Heidelberg und ist unter anderem spezialisiert auf Frauen, die aufgrund ihrer Endometriose-Erkrankung psychologische Hilfe brauchen. „Sei es, weil sie Probleme am Arbeitsplatz haben, in der Familie oder in der Partnerschaft.“
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Die Zeit bis zur Diagnose hinterlässt Spuren
Wie belastend das Leben mit der Krankheit sein kann, wird klar wenn man bedenkt, dass die Frauen im Durchschnitt sieben bis acht Jahre von einem Arzt zum anderen laufen, bevor sie letztendlich die richtige Diagnose bekommen. Woran das liegt, erklärt Prof. Wischmann so: „Erstens kennen einige Ärzte das Krankheitsbild nicht so genau. Zweitens gibt es das Vorurteil, dass es erst Frauen in einem höheren Alter betrifft.“ Wenn dann 16 bis 17-Jährige über zyklusabhängige Schmerzen im Unterleib klagten, hieße es schnell, da müssten Frauen eben durch. „Und dann werden die Schmerzen leider oft noch psychosomatisch gesehen, also als Ausdruck eines psychosomatischen Konflikts.“
Die Diagnose ist erst einmal befreiend
Wenn jemand immer wieder starke Schmerzen hat, die Ursache unbekannt ist und man sich immer wieder anhören muss, man solle sich eben ein bisschen zusammenreißen, zweifeln viele Frauen irgendwann auch an sich selbst. „In der Regel sind sie dann tatsächlich erst einmal erleichtert, wenn die Diagnose steht und die Krankheit endlich einen Namen hat. Dass sie wissen, sie haben sich das nicht eingebildet und dass sie nicht als Simulantinnen dargestellt werden“, sagt der Psychologe.
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Nach der Erleichterung folgt aber gleich der nächste Hammer, weiß Prof. Wischmann aus der Praxis. Denn: „Die Krankheit ist zwar nicht bedrohlich im Sinne von lebensgefährlich, aber der Verlauf ist nicht vorherzusehen.“ Es kann sein, dass eine Frau nach einer Operation gar keine Beschwerden mehr hat, dass die Krankheit von alleine zurückgeht, ein paar Jahre unauffällig ist, dann wieder starke Schmerzen verursacht oder relativ schnell nachoperiert werden muss. „Das Ungewisse ist das Schwierigste“, sagt der Psychologe. Und doch gilt es meist, vor der Bewältigung dieser diffusen Angst erst einmal ganz reale Probleme anzugehen.
Probleme mit der Sexualität kreativ lösen
Oft betreffen solche die Partnerschaft, weil unter der Krankheit auch die Sexualität leidet. „Tatsächlich sind auch Patientinnen hier, die sagen: Ich habe zwar große Schmerzen, aber ich sage es meinem Partner nicht, um die Beziehung nicht zu gefährden“, erzählt der Psychologe. „Da rate ich natürlich dazu, damit offener umzugehen. Wenn der Mann einigermaßen sensibel ist, kriegt er ja mit, dass da was nicht stimmt.“ Immer wieder hat Prof. Wischmann es auch mit Fällen zu tun, in denen Paare komplett auf Geschlechtsverkehr verzichten müssen, weil die Endometrioseherde zu nah an den Geschlechtsorganen liegen und die Schmerzen der Frau einfach zu groß sind. Dann gilt es laut dem Psychologen, über die vielfältigen Arten von Sexualität ins Gespräch zu kommen.
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„Es muss nicht immer nur auf vaginalen Geschlechtsverkehr hinauslaufen, da gibt es ja noch eine ganze Menge Varianten drumherum. Es kann für beide Partner erleichternd sein zu sehen, dass sie auf das Schmerzempfinden Rücksicht nehmen und experimentieren können.“
Plan B bei unerfülltem Kinderwunsch
Schwierig wird es natürlich auch, wenn Patientinnen zusätzlich noch einen Kinderwunsch haben. Zum einen kann die Endometriose zu Unfruchtbarkeit führen, wenn zum Beispiel die Eileiter betroffen sind. Zum anderen gehört zur medikamentösen Behandlung auch die Pille, was wiederum dem Kinderwunsch entgegensteht. Und drittens kann es sein, dass die Beschwerden durch die Hormonumstellung geringer werden, wenn die Frau ein Kind zur Welt gebracht hat. „Das erhöht den Druck natürlich.“ Dazu kommt ein weiterer Punkt: „Die Erfolgschancen der Reproduktionsmedizin werden leider oft überschätzt. Ich breite Paare auch darauf vor, ob jetzt Endometriose oder nicht, dass sie sich auch rechtzeitig einen Plan B oder C zurechtlegen sollten.“ Adoption, Pflegschaft, aber auch die Vorbereitung auf ein Leben ohne Kinder: „Wichtig ist es, dass die Paare gut über die verschiedenen Möglichkeiten informiert sind. Und dass sie wissen, dass die gefühlsmäßigen Reaktionen und Trauerprozesse völlig normal sind. Das alles ist zwar nicht einfach auszuhalten, aber überwindbar.“
Auch bei der Arbeit ist Offenheit angesagt
Ein anderes Gebiet, auf dem Frauen mit Endometriose oft Schwierigkeiten bekommen, ist die Arbeit. Fehlen die Mitarbeiterinnen immer wieder, werden sie schnell als überempfindlich oder als Simulantinnen abgestempelt. Und auch hier ist der Tipp des Psychologen Offenheit. Betroffene sollten ihrem Chef erklären, dass sie eine chronische aber nicht lebensbedrohliche Krankheit haben. „Dann sollten Vorgesetzte und Kollegen auch bei häufigeren Arztbesuchen Verständnis haben und wissen, dass die Frauen nicht simulieren, sondern tatsächlich einfach schmerzbedingt tagelang ausfallen“, meint Prof. Wischmann.
Es gibt nicht die eine Therapie, die allen hilft
Die Endometriose sei eine heimtückische Krankheit, sagt der Psychologe, und dazu gehört auch, dass die Behandlung nicht bei allen gleich gut anschlägt und dass sich die Krankheit immer wieder verändern kann. Es ist nicht gesagt, dass Patientinnen nach einer Operation komplett schmerzfrei sind, zudem können sich wieder neue Herde bilden.
Teil 4: Diese Behandlungsmöglichkeiten gibt es
Manche Frauen lehnen die begleitende medikamentöse Behandlung mit der Pille ab, weil sie entweder ein Kind wollen, die Nebenwirkungen zu groß sind, die Schmerzen auch mit Pille zu stark oder weil sie schlicht keine Lust haben, den Rest ihres Lebens Hormone zu schlucken. Und auch, wenn die Schmerzambulanzen über viele verschiedene Medikamente verfügen, die bei verschiedenen Frauen unterschiedlich wirken – ganz ausschalten lässt sich der Schmerz oft nicht.
Was hilft: Lebensfreude und alles, was gut tut
Bei den Frauen hinterlässt das Spuren: „Die uneingeschränkte Freiheit gibt es für sie nicht mehr“, sagt Prof. Wischmann. Wer bewusst mit der Krankheit umgeht, sollte am besten auf verschiedenen Ebenen ansetzen, um ihr beizukommen. Neben Hormonen und Schmerzmitteln gehört dazu auch eine Ernährungsumstellung, leichter Sport, Entspannungstraining, im Grunde alles, was den Frauen gut tut. „Man sollte sich überlegen, bei welchen Aktivitäten man Kraft tankt, die Batterien wieder auflädt und die Krankheit auch mal vergessen kann“, rät der Experte. „Und dann so viel Lebensfreude in den Alltag hineinpacken, dass die Erkrankung besser zu bewältigen ist.“
Autorin und Interview: Ann-Catherin Karg