Vintage Bazaar: Die Dior Bar Jacket ist eine Design-Ikone, die sich stets neu erfindet

Design-Ikonen bei Vintage Bazaar: Dior Bar Jacket

Was ist die Formel, die ein simples Design zur zeitlosen Ikone macht? Welche Geschichte steckt hinter den Entwürfen, die heute zu den großen Klassikern zählen? Und wie entstehen die luxuriösen Stücke der Modehäuser von Mailand bis Paris, die durch ihren charakteristischen Look rund um den Globus einen enormen Wiedererkennungswert haben? Diesen und weiteren Fragen gehen wir im Blick auf Design-Ikonen für unsere neue Online-Rubrik „Vintage Bazaar“ auf die Spur. Diesmal: die Bar Jacket von Dior.

Diors „Bar Jacket“ entstand in einer Zeit, in der die Pariser Mode zurück zu ihrem Glanz finden musste

Heutzutage betrachten Menschen die „Bar Jacket“ aus der Maison Dior und sehen darin vermutlich primär eine luxuriöse, die Figur charmant umspielende Blazerjacke. Womöglich entdecken sie darin aber kein Design, das Basis kontroverser Debatten sein könnte. Ein Blick in das Klima zur Zeit seiner Entstehung gibt ein besseres Verständnis, weshalb der heutige Design-Klassiker damals als bahnbrechend galt. Die Geschichte beginnt im Jahr 1947, wesentlich für die Reaktion auf Diors Design waren jedoch auch die Jahre kurz zuvor. Der Zweite Weltkrieg hatte zwei Jahre vorher geendet und Europa in Trümmern zurückgelassen. Frankreich befand sich, wie viele Nachbarländer, in einer noch zäh fortschreitenden Phase des Neuanfangs. Und die Pariser Modewelt war nicht mehr dieselbe wie vor dem Krieg. Viele Maisons, darunter Chanel und Vionnet, hatten ihre Ateliers und Showrooms unter der Besetzung durch Nazideutschland nicht immer ganz freiwillig geschlossen, die künstlerischen Leiter mancher Häuser hatten darüber hinaus die Stadt teils fluchtartig verlassen, etwa Elsa Schiaparelli, deren Modehaus jedoch geöffnet blieb.

Als 1940 die deutsche Wehrmacht Paris besetzt hatte, war damit ein düsteres Kapitel für die Couture eingeleitet worden. Lucien Lelong, Modeschöpfer und Präsident der Chambre Syndicale de la Couture Parisienne, verhandelte in diesem bedrohlichen Klima mit den Besatzern über die Interessen und Rechte seiner Industrie. Die Nazi-Vertreter wollten die Couture mitsamt ihren Ateliers – wenig überraschend – nach Berlin und Wien verlagern. Lelong gelang es schließlich, sie zu überzeugen, dass es der Pariser Couture mit ihren über Jahre zu höchster Expertise ausgebildeten Handwerker*innen andernorts unmöglich wäre, dieselbe Qualität zu liefern. Quellen zufolge bewahrte Lelong mit seiner Beharrlichkeit so rund 12.000 Mitarbeitende vor der Deportation. Obwohl viele Maisons nicht zuletzt dank Lelong weiterarbeiten konnten, verlor die Mode aus Paris ihren Glanz. Die Stadt war von der Außenwelt abgeschnitten, und von Stofflieferungen aus dem Ausland. Der Betrieb konnte nur mit erheblichen Einschränkungen und Zugeständnissen in puncto Qualität, Menge und Raffinesse fortlaufen. Statt sie an Models zu zeigen, mussten die noch tätigen Couture-Häuser durch den Materialmangel bedingt ihre Designs an Miniatur-Mannequins verschicken, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Nach Kriegsende gelangte die Branche nur schwerfällig zurück zu ihrem alten Glamour, wozu einige Modepersönlichkeiten verstärkt beitrugen ...

Design-Ikonen bei Vintage Bazaar: Dior Bar Jacket

Am 12. Februar 1947 präsentierte Christian Dior im Rahmen seiner Haute-Couture-Präsentation für Frühjahr/Sommer das Ensemble, das durch Carmel Snow später als „New Look“ Modegeschichte schreiben sollte

BAR, Haute Couture Spring-Summer 1947 - © Eugène Kammerman/Gamma-Rapho,

Die Geburtsstunde der „Bar Jacket“ von Christian Dior ist zugleich die Geburt des „New Looks“

Indirekt mit Lucien Lelong ist auch die Geschichte von Christian Diors Karriere als Couturier verbunden, gewiss aber mit der Situation, in der sich die Pariser Mode zur Zeit seines Wirkens befand. Lelong hatte das Potenzial des noch unbekannten Designers gesehen. In dessen Atelier war Christian Dior, der bereits vor Kriegsende zurück nach Paris gekehrt war, drei Jahre lang an der Seite von Pierre Balmain beschäftigt. 1946 engagierte ihn der wohlhabende Textilfabrikant Marcel Boussac für ein von ihm neu gegründetes Haute Couture-Haus: die Maison Christian Dior mit dem namengebenden Designer in der künstlerischen Leitung. Im Dezember 1946 richtete sich der Modeschöpfer ein Atelier in der Avenue Montaigne ein, bis heute Hauptsitz des Unternehmens. Dort stellte er seinen Entwurf vor, der die Mode nachhaltig verändern sollte.

Am 12. Februar 1947 präsentierte Christian Dior ein architektonisch anmutendes Ensemble, den „Bar Suit“: Es bestand aus einem eng auf die Taille geschneiderten, die Sanduhr-Silhouette nachzeichnenden Blazer-Jäckchen aus elfenbeinfarbener Shantung-Seide (in Mengen: das Original-Design erforderte vier Meter des edlen Seidenstoffs) mit weicher Schulterpartie und stoffbezogenen Knöpfen, zum opulenten plissierten Tellerrock in Wadenlänge (aus weiteren rund 20 Metern Stoff), eleganten Pumps und einem Hut, dessen Optik von den „Bergère“-Hüten des 18. Jahrhunderts inspiriert war. Der Kragen der „Bar Jacket“ konnte wahlweise aufgestellt oder anliegend getragen werden. Aufgestellt offenbarte er die feinen Nähte, die von Hand angebracht und an den stoffbezogenen Knöpfen an der Front als wiederkehrendes Detail aufgegriffen wurden. Ein Anblick, der nach jahrelanger kriegsbedingter Knappheit an Stoff und vorrangig zweckmäßiger Mode so manchem Menschen im Publikum und Moderedakteurinnen den Atem stocken ließ. Diese Mengen an Stoff! Die skulpturale Silhouette, die beim Gang des Models elegant mitwippte! Der Luxus des verarbeiteten Materials! Diese Opulenz!

Während Carmel Snow, Chefredakteurin der amerikanischen Harper‘s Bazaar, den Look begeistert als „New Look“ deklarierte („It‘s quite a revolution, dear Christian. Your dresses have such a new look!“)und von dessen innovativer Ästhetik schwärmte, sorgte Christian Dior bei anderen hingegen für erzürnte Gemüter. Die Stoffknappheit zu Kriegszeiten hatte in Teilen unfreiwillig eine neue modische Freiheit mit sich gebracht. Anhängerinnen des „Below The Knee“-Clubs in den USA etwa beklagten, dass Christian Dior die gerade erst hart erkämpfte Bewegungsfreiheit mit seinen regelrecht exzessiven Stoffmassen erneut einschränkte und Frauen zurück in restriktive Kleidung beförderte. Ihre Ehemänner hingegen fürchteten die steigenden Kosten mit dem Trend der beworbenen Designs aus enormen Mengen an Material.

Design-Ikonen bei Vintage Bazaar: Dior Bar Jacket

Bis heute steht der „Bar Suit“ von Christian Dior, der seit 1947 laufend neu aufgelegt wird, für zeitlose Eleganz und feminine Mode

BAR, Haute Couture Spring-Summer 1947 - © Eugène Kammerman/Gamma-Rapho,

Christian Dior entwarf Couture für selbstbewusste Weiblichkeit

Christian Dior selbst verstand seine Kreation als innovatives Design für die selbstbewusste Frau seiner Zeit. Eine Frau, die sich durch die bewusste Entscheidung für ihre Mode von gesellschaftlichen Konventionen befreit. Die Idee für den „Bar Suit“ kam dem Modeschöpfer während eines Besuchs der Hotelbar des Plaza Athénée in Paris, wenige Schritte von der Maison Dior entfernt. Dort hielt sich der Couturier gerne zu Mittag oder für einen Drink am Abend auf, häufig in Gesellschaft seiner guten Freundin Marlene Dietrich.

Sein „Bar Suit“ lieferte den modeaffinen Damen von Paris das passende Outfit für ein Glas Champagner in den luxuriösesten Adressen der Stadt. Mit seinem heute ikonischen Entwurf begünstigte er die modische Freiheit, sich mit dem Anziehen der maßgeschneiderten Couture eine selbstbewusstere Haltung anzulegen. Und ohne Scheu den Körper zu betonen, den die wohlgeformte „Bar Jacket“ mit dem schwungvolle Rock darunter in den Fokus rückte. Trotz so mancher Kritik wurde der „New Look“ zum sofortigen Verkaufserfolg. Alleine in seiner ersten Saison reproduzierte Christian Dior sein Ensemble ganze einundzwanzig Mal.

Das macht die Bar Jacket bis heute zur zeitlosen Design-Ikone

Durch ihre architektonisch konstruierte Silhouette und charakteristische Formgebung zählt die „Bar Jacket“ bis heute zu Designs aus dem Hause Dior, die in ihrer Kreation äußerst aufwendig sind und von den Schneider*innen entsprechendes Savoir-faire erfordern. Höchste Handwerkskunst und Detailverliebtheit – Christian Diors originaler „New Look“ erforderte rund 150 Arbeitsstunden –, eine zeitlose Eleganz und Wandelbarkeit machen die Bar Jacket zu einem Design, das kurzlebige Trends überdauert und dabei eine enorme Anpassungsfähigkeit besitzt. Ob im authentischen Dior-Ensemble zum Midirock kombiniert, der die Sanduhr-Silhouette auf die Spitze treibt, als Stilbruch zu Jeans, Formgeber zu schmalen Hosen oder zu zarten Kleidern getragen, die „Bar Jacket“ ist heute gleichermaßen wie schon 1947 eine Investition mit Gehalt, die gewiss noch in vielen Jahren Bestand haben wird. Ihre charakteristische Linie passt sich beinahe jedem Körpertypen an – rückt Menschen mit vorhandenen Kurven ins beste Licht und zaubert dort galant welche hinzu, wo sich die Person mehr Harmonie in ihren Proportionen wünscht. Die enorme Wandelbarkeit des Designs bewiesen die Kreativdirektor*innen des Hauses nach dem Maisongründer, die dessen „New Look“ und ikonischen „Bar Suit“ mit ihren eigenen Handschriften garnierten.

Zu diesen Chefdesigner*innen Diors zählte Marc Bohan, künstlerischer Leiter des Hauses von 1960 bis 1988: Während er dem Zeitgeist gemäß in einigen Kollektionen auf für die jeweilige Dekade typische Silhouetten setzte, zitierte er in Saisons wie Frühjahr/Sommer 1987 mit einem Ensemble aus einer kragenlosen und locker sitzenden Blazerjacke zum Rock in Midilänge auch den „Bar Suit“ des Maisongründers. Oder nach ihm Gianfranco Ferré, der von 1989 bis 1997 für Dior verantwortlich zeichnete und zu dessen Neuinterpretationen der ikonischen Jacke ein etwa hüftlanges Modell sowie eine dekonstruierte „Bar Jacket“ zählen, die, wie viele Designs des Modeschöpfers, Ferrés unverkennbaren Background als studierter Architekt kunstvoll in Mode übersetzten. Oder John Galliano, der die Design-Ikone des Hauses immer wieder als Inspiration für seine ganz eigenen Dior-Kollektionen nutzte und mit Entwürfen wie dem verspielten Ensemble aus einer eng um die Taille geschneiderten „Bar Jacket“ aus cremefarbenem Seidentaft zum skulpturalen Midirock mit Krinoline seiner Couture-Kollektion für Frühjahr/Sommer 2009 zu modischem Träumen anregte.

Design-Ikonen bei Vintage Bazaar: Dior Bar Jacket
Design-Ikonen bei Vintage Bazaar: Dior Bar Jacket

Marc Bohan für Christian Dior Frühjahr/Sommer 1987

Donato Sardella/WWD/Penske Media via Getty Images,
Design-Ikonen bei Vintage Bazaar: Dior Bar Jacket

Gianfranco Ferré für Christian Dior Haute Couture Frühjahr/Sommer 1995

Steve Wood/Mirrorpix via Getty Images,
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John Galliano für Christian Dior Haute Couture Frühjahr/Sommer 2009

Antonio de Moraes Barros Filho/WireImage,

Auch die Interpretationen von Raf Simons, Chefdesigner von Dior von 2012 bis 2015, und gegenwärtig von Kreativdirektorin Maria Grazia Chiuri, aus vielseitigen Texturen wie Strick oder gestepptem Taft zeigen, dass gutes Design und aufwendige Handwerkskunst lange währen und sich immer wieder neu erfinden können. Die „Bar Jacket“ von Dior ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Beständigkeit von Mode und den Stoff, aus dem zeitlose Design-Ikonen gemacht sind. Und wird sich sicherlich in Zukunft weiterhin aufs Neue beweisen.

Design-Ikonen bei Vintage Bazaar: Dior Bar Jacket

Raf Simons für Christian Dior Haute Couture Herbst/Winter 2013/14

Pascal Le Segretain/Getty Images,
Design-Ikonen bei Vintage Bazaar: Dior Bar Jacket

Maria Grazia Chiuri für Dior Haute Couture Herbst/Winter 2017/18

Launchmetrics SpotlightSM,
Design-Ikonen bei Vintage Bazaar: Dior Bar Jacket

Maria Grazia Chiuri für Dior Haute Herbst/Winter 2020/21

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