Meine Tochter zieht zum ersten Mal aus: Warum das für mich als Mutter eine größere Herausforderung ist als für sie
Im vergangenen Jahr hat meine jetzt 22-jährige Tochter ihren College-Abschluss gemacht, ist ausgezogen und hat mir (mit nicht allzu vielen Worten) gesagt, dass sie gut alleine zurechtkommt beim Erwachsen werden; vielen Dank.
Natürlich wollen wir alle, dass unsere Kinder aus dem Nest fliegen. Wir beten dafür, dass sie stark, unabhängig und selbstständig sind. Ich bewundere ihre Stärke, Entschlossenheit und Widerstandsfähigkeit – ganz zu schweigen von ihrer Fähigkeit, sich im New Yorker U-Bahn-System zurechtzufinden.
Dennoch sind meine Sorgen von früher, als sie noch ein Kind war und zu aufgeschürften Knien neigte, nichts im Vergleich dazu, wie sehr ich mich heute um sie sorge.
In meinen Gedanken tritt immer der schlimmste Fall ein
Immer wenn sie nicht auf einen Anruf oder eine Nachricht antwortet, denke ich sofort an das schlimmste Szenario.
Als sie von ihrer Reise nach Island erzählte, musste ich mir auf die Zunge beißen und schaltete irgendwo zwischen „Gletscher klettern“ und „Eishöhlen erforschen“ ab. Zu ihrem 21. Geburtstag ging sie Fallschirmspringen. Ich rief meine Therapeutin an und flehte sie an, mir Valium zu verschreiben. Stattdessen einigten wir uns darauf, dass es in Ordnung sei, wenn ich einfach tagsüber etwas Alkohol trinke, bis ich höre, dass sie wieder auf festem Boden ist. Habe ich schon erwähnt, dass sie vor kurzem auf einen Wolkenkratzer geklettert ist und Axt-Werfen ausprobiert hat?
Ich weiß, dass mein in New York geborener und aufgewachsener Sprössling sich verteidigen und ihre eigenen Finanzen ausgleichen kann. Außerdem beherrscht ihr Freund Kampfkunst und würde sich jederzeit vor einen Marvel-Bösewicht werfen, nur um sie zu beschützen.
Ich muss einfach darauf vertrauen, dass sie die Dinge googelt, die sich nicht weiß, wenn sie mich nicht fragen will. Aber dem Drang, sich nicht einzumischen zu widerstehen kostet Nerven aus Stahl. Manchmal verliere ich die Nerven oder gebe ein bisschen zu nachdrücklich Ratschläge: „Nein! Du kannst keinen eine Woche alten Lachs essen! Nein! Du darfst keine Alufolie in die Mikrowelle stellen! Ja! Du musst deine Bettwäsche einmal pro Woche waschen!“ Ich mische mich eben auch ein, wenn ich nicht nach meinem Standpunkt gefragt werde. Das ist die Macht der Gewohnheit.
Sie muss (leider) alleine erwachsen werden
Ich kenne sie besser, als sie sich selbst kennt. Ich weiß, was sie auf einer Speisekarte bestellen würde, welche Schuhe zu diesem Kleid passen würden und welche Netflix-Sendungen sie lieben würde. Ihr soll der Schmerz erspart bleiben, Fehler zu machen und etwas zu verpassen. Mir ist jedoch klar, dass sie dadurch nicht von alleine wachsen kann.
Stattdessen schicke ich ihr meine Vorschläge per SMS oder Direktnachrichten. Auf diese Weise kann sie diese ignorieren, wenn sie will. Aber insgeheim freue ich mich jedes Mal, wenn sie darauf antwortet oder einen Vorschlag mit einem „Herz“ beantwortet. Ich fühle mich wertgeschätzt und als Teil ihres engsten Kreises angesehen, obwohl ich eindeutig außen vor bin. Wenn Nachrichten nicht „geöffnet werden“, ist es ein vernichtender Schlag für mein Mutterherz. Aber ich weiß, dass ich darüber hinwegkommen muss – oder zumindest so tun, als wäre ich nicht verletzt.
Mein Mann ist da viel zurückhaltender und sagt Sachen wie: „Wenn sie ihren Flug verpasst, weil sie sich erst eine Stunde vor Abflug auf den Weg zum Flughafen macht, wird sie daraus lernen.“ Aber wird sie das? Wird sie sich tatsächlich selbst korrigieren, ohne dass ich daneben stehe? Wenn sie das tut, möchte ein Teil von mir vor Freude springen, während der andere Teil ein wenig traurig ist. Heißt das, dass ich nicht mehr gebraucht werde?
Ein Babyschritt nach dem anderen
Für Eltern ist dieser Teil der Elternschaft schwierig. Ich fühle mich ein bisschen wie beinahe abgelaufene Milch, die in den hinteren Teil des Supermarktregals geschoben wurde. Aber ich weiß, dass es so sein soll. Man zieht sie groß, um sie dann gehen zu lassen, um alleine erwachsen zu werden.
All das ist neu und beängstigend und voller Emotionen (und oft auch Tränen), nicht anders als ihre Baby- und Kleinkindjahre. Manchmal schmerzt mein Herz, als ob jemand ein Stück herausgerissen hätte. Aber ich habe mich in den letzten zwölf Monaten angepasst und versucht, meiner Tochter Raum zu geben. Und mir selbst auch. Wie mein inzwischen erwachsenes Kind werde auch ich meine Stärke und mein Gleichgewicht finden – ein kleiner Babyschritt nach dem anderen.
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