Werbung

Wie sich das Stigma der Menstruation auf Frauen und die ganze Gesellschaft auswirkt

Als Autorin von Büchern wie “Periode ist politisch. Ein Manifest gegen das Menstruationstabu“ und “Überfällig. Warum Verhütung auch Männersache ist“ rückt Franka Frei dem Stigma der Menstruation auf den Leib. Im Interview mit Yahoo Life erzählt die Journalistin und Podcasterin, was bis heute schiefläuft und was passieren muss, um das ewige Tabu zu brechen.

Auch heute noch wird die Menstruation in der Werbung als
Auch heute noch wird die Menstruation in der Werbung als "blau-steril" angedeutet und blumig umschrieben. Warum? (Bild: Getty Images)

Yahoo Life: Woher kommt das Stigma rund um die Menstruation?

Franka Frei: Die Kulturgeschichte der Periode zeigt vor allem im christlich-abendländischen Kontext, dass Menstruation häufig mit "Unreinheit" oder sogar Giftigkeit in Verbindung gebracht wurde. Sowohl Religion als auch die modernen Wissenschaften haben zu diesem Negativimage beigetragen. In der Bibel heißt es, dass eine "Frau mit Blutung" erst nach sieben Tagen und der Opferung von zwei Turteltauben wieder "rein" sei.

Es hieß, Frauen sollten wegen der Periode keine Priesterinnen werden oder später, sie wären aufgrund des vermeintlichen "Hormonchaos" nicht kompetent genug, um zu wählen, zu studieren, ein Auto zu lenken oder als Astronautin ins All zu fliegen. Wir sehen: Die Menstruation wurde oft dazu instrumentalisiert, Frauen aus höheren gesellschaftlichen Positionen fernzuhalten.

Wie sieht es heute aus?

Wir halten uns für gleichberechtigt und aufgeklärt. Doch bis heute hält sich das Bild der "irrationalen, PMS-getriebenen Frau" hartnäckig. Frauen wird teils immer noch die Kompetenz abgesprochen, ein Unternehmen zu leiten oder in der Politik Entscheidungen zu treffen. Oft erlebe ich auch, dass Leute Menstruation mit Körperfunktionen wie Durchfall, Rotz oder Erbrochenem vergleichen. Dabei ist sie kein Zeichen von Krankheit, sondern im Gegenteil astreiner Gesundheit und Reproduktionsfähigkeit! Tabus, Mythen und Stigmata äußern sich oft nur in Nuancen und sind uns häufig nicht einmal bewusst. Das ist das Schwierige daran.

Mit welchen Gefühlen ist die Menstruation für Frauen verbunden?

Alle Menstruierenden kennen diesen schrecklichen Moment. Man sitzt im Restaurant, in der Schule oder im Büro, plötzlich schießt die Angst durch die Venen und man denkt sich: "Bitte nicht. Bitte, bitte laufe ich gerade nicht aus". Blutflecken auf der Hose sind laut einer Umfrage von Plan International für 97 Prozent das Worst Case Szenario.

Zum Vergleich: Wenn ein Glas Wein umfällt, ist das auch peinlich und verursacht Flecken, aber das Gefühl ist nicht vergleichbar mit dieser abgrundtiefen Scham, die damit verbunden ist, sich unfreiwillig als Menstruierende zu outen – die Angst, ausgelacht, beschämt und ausgeschlossen zu werden, sitzt tief in uns drin und verursacht intensive Stressgefühle. Die Umfragen von Plan International zeigen auch, dass sich immer noch ein Drittel der Befragten während der Periode "unrein" fühlt. Das hat nichts Natürliches, sondern wurde uns so beigebracht.

Wie werden solche Bilder weitergegeben?

Tabus reproduzieren sich oft unbewusst. Zum einen dadurch, dass die Kommunikation über das Thema fehlt, zum anderen durch negative Zuschreibungen. Beispielweise durch blöde Kommentare und dadurch, dass die Periode einfach sehr selten offen besprochen wird. Auch in Filmen und Serien kommt sie kaum vor, dabei ist sie quasi omnipräsent.

Tipp: Warum du trotz deiner Periode bedenkenlos Sex haben kannst

Die Hälfte der Weltbevölkerung hat rund 40 Jahre lang einen Zyklus, theoretisch blutet im Schnitt jede vierte bis sechste Frau im reproduktiven Alter, das sind bis zu 800 Millionen Menschen, genau jetzt, allein in diesem Augenblick. Die Konsequenz ist, dass wir uns unwohl fühlen und uns die Frage nach einem Tampon zuflüstern, als würden wir nach Drogen fragen und damit das Tabu weitertragen – ein Teufelskreis.

Welchen Einfluss auf die Wahrnehmung der Menstruation hat die Anti-Baby-Pille?

Die Anti-Baby-Pille unterdrückt den Eisprung und damit auch die Menstruation meist komplett – vielen ist das nicht einmal bekannt. Der Umgang mit der Pille zeigt, dass auch in den modernen Wissenschaften der Zyklus häufig als etwas betrachtet wird, das es von außen zu kontrollieren gilt. Als sei mit Menstruierenden von Natur aus etwas falsch. Dabei ist der gesamte Zyklus samt Menstruation, Eisprung und natürlicher Hormonproduktion, die damit einhergeht, wichtig für die Hirn-, Haut- und Knochengesundheit, gerade bei jungen Frauen, die sich körperlich noch entwickeln.

Welches Bild wird in der Werbung für Hygieneprodukte gezeichnet?

Ich bin damit aufgewachsen, dass die Periode etwas ist, dass im öffentlichen Bereich nur dann ansatzweise tolerierbar ist, wenn sie blau-steril angedeutet wird und blumig umschrieben. In der Werbung wird nicht einmal das Wort Menstruation erwähnt, geschweige denn, dass sie auch mal keinen großen Spaß machen kann. Stattdessen springen gut gelaunte Frauen im Sportdress durchs Bild.

Die meistgenutzten Wörter in der Periodenproduktewerbung sind übrigens "frisch", "sicher" und "geschützt". Heißt das nicht im Umkehrschluss, dass wir ohne diese Produkte "unfrisch" etc. wären? Das größte Werbeversprechen von Tamponherstellern ist, dass die Menstruation möglichst unsichtbar bleibt. Scham, besonders die weibliche Scham, ist nach wie vor ein riesiges Geschäft.

Welchen Einfluss hat das auf Frauen?

Wir lernen dadurch nicht nur die Menstruation, sondern auch all die Fragen und möglichen Probleme wie Schmerzen für uns zu behalten. Es wird unterbewusst vermittelt: Verstecke die Periode, ohne Tampons oder extra duftende Binden, die an allen Ecken und Enden mit extra saugfähigen Flügelchen, Kügelchen und anderen Chemikalien versehen sind, kannst du das Haus nicht verlassen. Es ist deine Aufgabe, dass die Periode möglichst unsichtbar bleibt.

Tampons und Binden
Bis heute müssen Hersteller von Tampons und Binden nicht deklarieren, was genau in den Hygieneprodukten steckt. (Foto: Getty)

Die meisten sind so damit beschäftigt, die Periode unsichtbar zu machen und weg zu hygienisieren, dass sie gar nicht dazu kommen, die Dinge zu hinterfragen. Was ist eigentlich in Tampons und Binden genau drin? Und welche Alternativen wie Menstruationstassen könnte es geben, die vielleicht gesundheitlich, finanziell und umwelttechnisch sinnvoller wären? Auch an Verbraucherschutz mangelt es. Wir tragen diese Produkte jeden Monat durchschnittlich 5 Tage an den empfindlichsten Schleimhäuten unseres Körpers und dennoch unterliegen Hersteller keiner Deklarationspflicht zur genauen Inhaltsangabe.

Wie beeinflusst all das die Selbstwahrnehmung vor allem von jungen Frauen?

Franka Frei: Natürlich macht diese tabuisierte und negative Darstellung etwas mit dem Selbstbewusstsein. Die Befürchtung, kein Periodenprodukt zur Hand zu haben oder ein Menstruationsprodukt auf Toiletten nicht wechseln zu können, ist vermeidbar und führt dennoch auch im 21. Jahrhundert in Deutschland dazu, dass Menschen aus Angst davor sogar Aktivitäten absagen.

Endometriose: Was du über die Krankheit wissen musst

Wer sich schämt und ständig befürchten muss, durch die Menstruation negativ aufzufallen, kann das eigene Potenzial nicht voll ausschöpfen. Sei es bei einer Prüfung, einem Referat oder einem Meeting. Das beeinflusst nicht nur das seelische Wohlbefinden einer Person, sondern nimmt auch Einfluss auf die ganze Gesellschaft, in der alle Menschen gleichermaßen das Recht haben sollten, sichtbar zu sein und am öffentlichen Leben teilzunehmen.

Wie ließe sich die Menstruation anders besetzen?

Die Periode ist ein Zeichen für Gesundheit und Reproduktionsfähigkeit. Eigentlich hätten Menschen allen Grund, stolz zu sein und sich zu freuen, wenn sie bluten. Bei mir hat sich die Einstellung gegenüber meiner Menstruation mit meiner Arbeit stark verändert. Früher dachte ich: "Oh nein, nicht jetzt, nicht schon wieder". Heute bin ich erleichtert und denke: "Ich bin gesund und zum Glück nicht schwanger.“ Aber niemand muss die Periode feiern oder sie glücklich allen kommunizieren. Wir haben auch ein Recht auf Privatsphäre. Das Ziel ist es, die Periode zu normalisieren und Menschen dazu zu motivieren, Probleme zu äußern und anderen zu helfen, wenn sie Hilfe brauchen.

Zwei Mädchen mit Tampons sitzen auf einem Sofa
Unverkrampft und locker: So sollte über die Periode gesprochen werden! (Foto: Getty)

Wie lange dauern solche Prozesse?

Eine Enttabuisierung ist ein langer Prozess, der nicht von heute auf morgen passiert und auch nicht geradlinig verläuft, sondern in vielen gesellschaftlichen Gruppen und Altersschichten ein anderes Tempo hat. Oft wird mir berichtet, dass frühere Generationen bereits einen schambefreiteren Umgang mit der Periode hatten und das Tabu durch neue Narrative von Leistung und Makellosigkeit wieder gefestigt wurde. Dennoch habe ich das Gefühl, dass sich in den letzten Jahren schon sehr viel getan hat, gerade durch die sozialen Medien. Bis wir wirklich kein Problem mehr mit der Periode haben, werden jedoch wohl noch ein paar Generationen vergehen.

In Schottland gibt es in öffentlichen Gebäuden kostenlose Hygieneprodukte, in Spanien könnten Frauen extra Krankentage bei starken Schmerzen bekommen. Zu welchen Maßnahmen rätst du als politische Beraterin?

Es freut mich sehr, dass die Menstruation auch im politischen Kontext immer mehr Beachtung findet. Denn der Umgang mit ihr führt oft dazu, dass Menschen ausgeschlossen oder nicht optimal unterstützt werden. Annalena Baerbock hat bei der Vorstellung der Leitlinien der neuen feministischen Außenpolitik auf die Wichtigkeit von Menstruationsprodukten in der humanitären Hilfe hingewiesen. Das ist ein guter Anfang, aber das Thema muss noch viel mehr Beachtung finden.

Das umfasst vor allem umfangreicheres Bildungs- und Aufklärungsangebot für Kinder, Erwachsene und medizinische Fachleute, eine bessere Zugänglichkeit zu Menstruationsprodukten und das Bereitstellen weiterer Forschungsgelder in Sachen Menstruationsbeschwerden sowie eine Deklarationspflicht für Hersteller von Menstruationsprodukten.

Ihr neues Buch heißt “Überfällig. Warum Verhütung auch Männersache ist". Inwiefern könnten neue Verhütungsmethoden für Manner zur Enttabuisierung der Periode beitragen?

Ich finde es erschreckend, mit welcher Selbstverständlichkeit gerade jungen Frauen in entscheidenden Entwicklungsphasen immer noch die Anti-Baby-Pille als ein Medikament verschrieben wird, bei dem nicht einmal wissenschaftlich abschließend alle Risiken und Nebenwirkungen geklärt sind. Die hundertmillionenfache Einnahme synthetischer Hormone nimmt erwiesenermaßen Schaden auf Tiere und Umwelt und steht mit großer Wahrscheinlichkeit auch mit wachsenden Zahlen von Unfruchtbarkeit zusammen.

Was ist Periodenunterwäsche? Alle Infos zur nachhaltigen Alternative zu Tampons & Co.

Medikamentenreste landen im Abwasser und damit auch wieder bei uns – ob wir wollen oder nicht. Es könnte längst mehr und gesundheits- wie umweltfreundlichere Alternativen geben, und zwar unabhängig vom Geschlecht. Wichtig ist an der Stelle, dass auch dem Thema geschlechtergerechtere Verhütung die Forschungsgelder zukommen, die der Koalitionsvertrag versprochen hat. Wir brauchen bessere Verhütung für alle. Und dazu zählt auch allumfängliches Wissen zur Menstruation und ein neuer Blick auf den Zyklus samt Periode. Gäbe es die Menstruation nicht, gäbe es uns alle nicht.