Ausstellungstipp: Fotopionierin Katharina Sieverding in Düsseldorf
Betrachtet man die teils gigantischen Close-ups der Künstlerin Katharina Sieverding, große Nahaufnahmen ihres Gesichtes, kann man nicht wegschauen. Eigentlich leben wir im Selfie-Jahrzehnt: Sein eigenes Gesicht zu fotografieren, ist mittlerweile völlig normal. Aber diese riesigen Aufnahmen, mit denen Sieverding als eine der ersten 1969 startete, haben nichts mit den Handy-Selfies unserer Zeit gemein. Bei Selfies von anderen möchte man in der Regel wegsehen. Bei den Close-ups von Sieverding will man hinschauen, denn sie sind vielschichtig und verwirrend zugleich. Mit durchdringendem Blick schaut die mehrfache „documenta“-Teilnehmerin von großformatigen Fotografien das Publikum an. Jedes Bild unterscheidet sich vom nächsten. Sie scheinen wie eine Selbstbefragung: Wer bin ich eigentlich in dieser Welt?
Foto-Close-ups machten Katharina Sieverding bekannt
Die Close-up-Serien ihres Gesichtes und Großfotografien machten die 1941 in Prag geborene Künstlerin berühmt. Das Medium Fotografie war Ende der 1960er-Jahre noch recht neu in der Kunst und noch nicht sehr akzeptiert. „Katharina Sieverdings Selbstdarstellung, ihr eigenes Gesicht, das uns in vielen Serien begegnet, scheint vor allem dazu zu dienen, fotografische Abbildlichkeit radikal in Zweifel zu ziehen. Es ist ein maskenartiges, theatralisiertes Gesicht, eine ‚Persona‘ eher, im Sinne eines selbst inszenierten, öffentlichen Bildes“, schreibt Ulrike Matzer im Ausstellungskatalog. Die fotografische Selbstdarstellung umfasst aber nur einen Schaffensbereich der Künstlerin. Auch auf gesellschaftspolitischen Themen lag ihr Fokus. Das Düsseldorfer K21 widmet Katharina Sieverding bis zum 23. März 2025 eine große Überblicksausstellung mit teils nie veröffentlichten Arbeiten. Kuratorin der Ausstellung ist Isabelle Malz von der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Zu sehen sind Fotografien, Diaprojektionen, performative Arbeiten, Installationen, Filme, Video und auch Plakataktionen der Künstlerin.
Experimente, Fotografie und Wirklichkeit: Fotopionierin Katharina Sieverding
Für ihre Close-ups arbeitete Katharina Sieverding meist mit Klaus Mettig zusammen, ihrem langjährigen Lebenspartner. Manche Fotos schoss sie auch per Selbstauslöser. Nicht immer ist klar, wer den Auslöser betätigte. Für die Fotoarbeiten experimentierten Sieverding und Mettig mit Mehrfachbelichtungen, Überblendungen, Spiegelungen, Filtern und Solarisation. So zeigte sie schon – in einer prädigitalen Filter-Welt –, dass Fotografien nicht die Realität abbilden und Grenzen verschwinden lassen können. Die Arbeiten von Katharina Sieverding sind nie nur auf das Werk beschränkt. Auch die Titel scheinen Teil ihrer Kunst zu sein, denn sie fügen eine weitere Dimension zur Arbeit hinzu. Didaktisch sind ihre Werke nie. Sprich: Sie lassen viel Raum für Interpretation.
Katharina Sieverding im K21 – eine Ausstellung passend zu unserer Zeit
Katharina Sieverding, die bei Joseph Beuys lernte und selbst als Dozentin arbeitet, glaubt an die gesellschaftliche Verantwortung von Künstler*innen. Ihre Arbeiten, in denen sie sich kritisch mit der Politik auseinandersetzt, haben nicht an Aktualität verloren. So sieht man auf der Fotoarbeit „Steigbild V/1997“ die Rückführung von Waisenkindern nach Sarajevo. Die Situation ist nur unscharf zu erkennen, in Sepiafarben. Das Bild könnte von heute oder von 1945 sein – es ist zeitlos. Das Werk „XLI/1992 Deutschland wird deutscher“ produzierte Sieverding ursprünglich für den öffentlichen Raum. Hinter den Worten ist Sieverdings von Messern umrahmtes Gesicht zu sehen. Vielleicht entstand es, als sie sich in einem Zirkus mal mit Messern bewerfen ließ. „Du musst eben entspannt sein“, sagte sie der „Süddeutschen Zeitung“ einmal. Der Titel entstammt einer Zeitungs-Headline der „Zeit“, in der es nach der Wiedervereinigung um die gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands und europakritische Stimmen ging. Heute ist das Thema genauso aktuell wie damals. Katharina Sieverdings Arbeit passt perfekt in unsere Zeit und so auch diese Ausstellung im Düsseldorfer K21, die unbedingt einen Besuch wert ist.
Über die Künstlerin Katharina Sieverding
Die deutsche Künstlerin wurde 1941 in Prag als Tochter einer Künstlerin und eines Radiologen geboren und wuchs im Ruhrgebiet auf. Ein Medizinstudium brach sie ab und besuchte – nach diversen Stationen – die Düsseldorfer Kunstakademie, wo sie 1967 in die Bildhauerklasse von Joseph Beuys wechselte. Zu ihren Mitstudierenden gehörten große deutsche Künstler wie Jörg Immendorff, Imi Knoebel, Blinky Palermo, Verena Pfisterer und Sigmar Polke. Sieverding lebt und arbeitet in Düsseldorf und in Berlin.